Steinen Lokalgeschichte erlebbar gemacht

Markgräfler Tagblatt
Der Lokalhistoriker Hansjörg Noe, Autor, des Buchs „Hingeschaut - Steinen im Nationalsozialismus“ (rechts), nahm die Besucher mit auf einen geschichtsträchtigen Rundgang durch die Wiestentalgemeinde.                                                                                                                                                                                                                                                                                                  Foto: Sarah Trinler Foto: Markgräfler Tagblatt

Hansjög Noe, Autor des Buchs „Hingeschaut - Steinen im Nationalsozialismus“, lädt zu Rundgang ein

Steinen (sat). Hansjörg Noe hat mit der Veröffentlichung seines Buchs „Hingeschaut – Steinen im Nationalsozialismus“ für viel Diskussionsstoff gesorgt. Jetzt lud Noe zu einem Rundgang durch Steinen ein, bei dem Geschichte erlebbar wurde.

Als Ausgangspunkt wählte Hansjörg Noe jenen Ort aus, an dem im November 2012 alles angefangen hatte: das Rathaus. Hier hatte Noe zwei Jahre lang rund 2200 Akten für seine Aufarbeitung der NS-Zeit in Steinen gesichtet.

Direkt neben dem Rathaus befindet sich die ehemalige Schule, die nach dem umstrittenen nationalsozialistischen Kulturpolitiker Hans-Adolf Bühler benannt war. 2011 beantragte die Gemeinschaft für ein lebenswertes Dorf, Hans-Adolf Bühler die Ehrenbürgerwürde zu entziehen und die nach ihm benannte Straße umzubenennen. Dieser Antrag fand zwar keine Mehrheit im Gemeinderat, führte aber in der Folge dazu, dass Hansjörg Noe beauftragt wurde, die Geschichte Steinens in der Zeit des Nationalsozialismus aufzuarbeiten.

„Steinen wurde schon frühzeitig, noch vor Hitlers Machtergreifung, als Nazinest bezeichnet“, sagte Hansjörg Noe den zwei Dutzend Teilnehmern des Ortsrundgangs. Er richtete den Blick auf die Stelle, an welcher sich damals das Rathaus befand. Es wurde 1944 bei einem Bombenangriff völlig zerstört, fünf Menschen waren ums Leben gekommen.

Dann ging es weiter zum Elternhaus der Künstlerin Meret Oppenheim in der Eisenbahnstraße. Erich Alfons Oppenheim und seine Schweizer Frau Eva Wenger waren 1914 aus Berlin nach Steinen gekommen, wo Erich Oppenheim als Arzt praktizierte. „Er hat mich einst zur Welt gebracht“, sagte ein Teilnehmer des Ortsrundgangs. Der 1937 von der Gestapo angeordneten Verhaftung entkam die Familie Oppenheim dank einer Warnung des Bürgermeisters in letzter Minute durch Übersiedelung nach Basel.

Dann ging es weiter zur ehemaligen Maschinenfabrik in der Rotzlerstraße. „Hier befand sich einst ein kriegsvorbereitender Betrieb“, betonte Noe. „Um die Wirtschaft im Krieg aufrecht zu erhalten“, hat es während des Krieges einige Zwangsarbeiterlager in Steinen gegeben – so auch auf dem Firmengelände Rotzler. Erst wurden hier Polen, dann Franzosen und später Russen gefangen gehalten. Ein Teilnehmer erinnerte sich, dass die Zwangsarbeiter zusammengepfercht untergebracht waren und Kontakte zu Bürgern streng verboten waren.

Zwangsarbeiter mussten auch in der Schuhfabrik Bogenschütz mitarbeiten, weshalb die Gruppe zum ehemaligen Firmenareal in der Kanderner Straße weiterzog. Direkt gegenüber befand sich damals das Pförtnerhaus der Spinnerei und Weberei. Auch hier offenbarte sich für Noe ein spannender Fund: Die Spinnerei lieferte der Gemeinde damals den Strom.

„Hier befand sich sozusagen die erste Kita Steinens“, sagte Hansjörg Noe, als es weiter zum „Lindenhof“ ging. Tatsächlich brachten die Frauen, die Anfang der 30er-Jahre in der Spinnerei gearbeitet hatten, hier morgens ihre Kinder hin und holten sie abends wieder ab. Später wurde das Haus zum Parteiheim der NSDAP.

Nach Ende des Zweiten Weltkriegs wurde das Haus von Fritz Schneider, dem Gründer der KPD im Wiesental, gekauft. Er war ein umstrittener Mann, sagte Noe. Einige Teilnehmer des Ortsrundgangs hatten Fritz Schneider in guter Erinnerung und erinnerten sich an die Teilnahme am Kinderaustausch in die DDR, der von Schneider organisiert wurde. Auch sei Schneider ein großer Förderer des Musikvereins Steinen gewesen.

Auf dem Weg zur Petruskirche erzählte Hansjörg Noe vom Heereszeugamt, wo Kriegsmaterial aufbewahrt wurde – immerhin befanden sich während des zweiten Weltkriegs etwa 500 Soldaten in der Gemeinde Steinen. Im Ortskern und in den Teilorten befanden sich insgesamt fünf Baracken, die Teil einer Verteidigungslinie waren.

Das Kriegerdenkmal auf dem evangelischen Kirchplatz durfte beim Rundgang nicht fehlen, da es in den vergangenen Monaten für reichlich Diskussionen sorgte. 1936 war es gebaut worden, doch erst durch die Recherchen Noes wurde bekannt, dass sich im Grundstein des Sandsteinquaders bis heute eine Urne mit einer Rede Adolf Hitlers, dessen Buch „Mein Kampf“ und weiteren Nazi-Dokumenten befindet (wir berichteten). Ein „Runder Tisch“ sucht nun nach einer Lösung.

Letzte Station des Rundgangs war der Standort des ehemaligen Denkmals für den Nationalökonom Karl Winter, der neben Albert Schöni, Arbeiterführer und Begründer der SA im Wiesental, für den Aufstieg der NSDAP im Raum Steinen mitverantwortlich war. Hier war Winter bei einer Messerstecherei zu Tode gekommen, was ihn für die Nazis zum Märtyrer machte. Im April 1945 hatten die Franzosen den Abbau des Denkmals erwirkt. Auch die Straßennamen erinnern nicht mehr an die lokalen Nazi-Größen Schöni und Winter – die Eisenbahnstraße hieß einst Albert-Schöni-Straße, die Lörracher Straße Karl-Winter-Straße. „Nur wenn man sich der Vergangenheit stellt, können daraus Lehren für die Zukunft gezogen werden“, so Noe zum Schluss.

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