Theater im Kesselhaus Ratten und Menschen werden betört

Jürgen Scharf
Szene aus der „Ballade vom Rattenfänger“ mit dem Spielzeitteam von Tempus fugit im Kesselhaus Foto: Jürgen Scharf

„Die Ballade vom Rattenfänger“ hatte in Weil am Rhein Premiere. Das Stück um einen Außenseiter ist vom Theater Tempus fugit packend inszeniert.

„Ich habe keinen Namen, ich bin niemand, ich bin der Rattenfänger“. Das ist die Kernaussage der Hauptfigur in der „Ballade vom Rattenfänger“ des tschechischen Dichters Viktor Dyk nach der berühmten Sage der Gebrüder Grimm. Diese Geschichte unterscheidet sich von der bekannten Version aus der Sammlung der „Deutschen Sagen“, steht doch hier eine Liebesgeschichte im Zentrum.

Genau das fasziniert Vaclav Spirit, der die Bühnenfassung für das Spielzeitteam des Theaters Tempus fugit erstellt hat, an dieser Novelle seines Landsmanns. Seit Jahrzehnten hat der Theatermann und Regisseur Spirit diesen etwas anderen „Rattenfänger“ mit sich herumgetragen und den Stoff, die tragische, typische Außenseitergeschichte, immer im Kopf gehabt.

Geheimnisvoller Wanderer

Dieser Rattenfänger ist nämlich ein geheimnisvoller Wanderer, eine zeitlose Gestalt, ermüdet und enttäuscht vom Leben, ein Ausgestoßener der Gesellschaft, psychologisch gesehen eine moderne Figur. Und dieser Namenlose glaubt in Hameln, nachdem er seine Arbeit getan und die Ratten vertrieben hat, in Agnes die große Liebe gefunden zu haben. Doch auch sie enttäuscht ihn. Zwar liebt sie diesen sonderbaren Menschen, aber sie verrät ihn und wird ihm untreu.

Spirit hat die Theaterversion eigentlich für zwölf Darsteller geschrieben, aber dieses Jahr sind es nur sieben junge Schauspieler zwischen 18 und 21 Jahren, die dabei sind. So müssen einige zwei oder gar drei Rollen verkörpern und diese teils gleichzeitig spielen.

Das ist eine sehr spannende Schauspielarbeit, und man sieht und erlebt das auch bei der Aufführung. Die Frage ist, ob es für den Zuschauer „lesbar“ ist, scheint es auf den ersten Blick doch recht kompliziert, die Figuren auseinander zu halten. Aber es wird so überzeugend gespielt, mit so viel Engagement und Empathie, dass die Mehrfachbesetzungen gut nachvollziehbar sind.

Dramatischer Spannungsbogen

Dazu kommt die poetische, archaische Sprache des tschechischen Autors, die auch in der Übersetzung ihre Wirkung behält. Das Grundgerüst bleibt dasselbe wie bei den Brüdern Grimm: Im 13. Jahrhundert befreit ein Rattenfänger die Stadt Hameln von den Ratten, doch wird er von den Ratsherrn um seinen Lohn betrogen.

In der neueren Novelle gibt es eine sehr wirkungsvolle Auseinandersetzung zwischen dem Kaufmann Frosch und dem um sein Geld betrogenen Rattenfänger, den die Leute nicht lieben, sondern fürchten.

In der mit dramatischem Spannungsbogen und starken Theatermitteln aufwartenden Inszenierung haben die Kleinbürger weiß geschminkte Gesichter, stehen stilisiert und karikaturhaft gezeichnet oder anonymisiert für die Gesellschaft. Dagegen können die Hauptfiguren wahre Emotionen zeigen.

Trotz Liebe der Verrat

Allen voran Zenith Trott als Rattenfänger, der mit seiner umgehängten Pfeife, einem ganz besonderen Instrument und Lockmittel, mit dessen magischem Klang er Ratten und Menschen gleichermaßen betören kann, durch die Gegend zieht.

Bewegend gespielt ist die Begegnung, Annäherung und die folgende Liebesszene zwischen dem rätselhaften Fremden und Agnes (Liliane Rieckmann). Sie liebt ihn wirklich, man spürt es, doch es kommt dennoch zum Verrat.

Eine Nebenfigur wird in dieser Ballade eingeführt und nimmt auch bei Spirit eine wichtige Rolle ein: eine andere Ausgestoßene, die etwas zurückgebliebene und verspottete Jorga (mit eindringlicher Ausdruckskraft: Luzie Kühn), die das Einzige, was sie besitzt, ihre Drossel im Vogelkäfig, umbringt. Da stockt dem Zuschauer der Atem und er fühlt mit ihr.

Magister Faust taucht auf

Einmal meint man, in Goethes „Faust“ gelandet zu sein. Taucht doch der Magister Faust aus Wittenberg (Leonie Blöchlinger) höchst persönlich auf.

Wandlungsfähig und eindrucksvoll in ihren verschiedenen Rollen zeigen sich ebenso Merlin Stefan als Rivale des Rattenfängers um die Gunst von Agnes, Angelika Ebert als Frosch und Teufel sowie Astrid Iberg als Mutter und Fremde.

Die Ausstattung ist einfach gehalten mit mobilen Holzelementen (Bühnenbild, Kostüme, Choreografie und Maske: Vaclav Spirit, Philipp Kröning und Spielzeitteam); die barocken Kleider und Perücken schaffen zusätzlich einen Verfremdungseffekt. Die Musik (Johan Olsson) unterstreicht die balladeske, mystische Stimmung. Es wird auch gesungen, gleich zu Beginn ein Gedicht von Goethe im Chor angestimmt.

Weitere Aufführung: Samstag, 18. Januar, 19.30 Uhr, im Kesselhaus

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