Todtnau Literarischer Familientreff auf dem Berg

Ulrike Jäger

Literaturtage: Buchpreisträger vor gewaltiger Kulisse .

Todtnauberg - Die Verspätung zur Eröffnungslesung der Literaturtage in Todtnauberg nahmen die Zuhörer Hansjörg Schneider nicht übel, hatte er doch kurz zuvor an der Universität Basel die Ehrendoktorwürde der philosophisch-historischen Fakultät erhalten.

Traditionell wird am Freitagnachmittag das „Lesen auf dem Berg“ von Mitinitiator Hansjörg Schneider im Hotel Engel eröffnet. Über 100 lesebegeisterte Zuhörer im voll besetzten Saal warteten gerne auf den bekannten Schweizer Schriftsteller. Der promovierte Dramatiker, der im Aargau groß wurde und heute in Basel und Todtnauberg lebt, las aus seiner neu erschienen Autobiografie „Kind der Aare“, in der er beschreibt, „wie er wurde, was er ist“. Der heute 80-Jährige liest aus der Zeit seines Studiums der Germanistik, Geschichte und Psychologie, von seinem Wunsch, eine Dissertation über frühexpressionistische Sprache zu schreiben und dem vernichtenden Urteil von Adolf Muschg, er habe keine Beziehung zur deutschen Sprache.

Schneider beschreibt eindringlich seine Zeit als Journalist, als Buchrezensent, Regieassistent, Lehrer, Schriftsteller und Dramatiker. Der Leser erfährt aber auch viel über den ganz persönlichen Hansjörg Schneider, der von häufig auftretenden Panikattacken gequält wurde, die mithilfe einer Traumtherapie behandelt wurden. Und man erfährt gleichzeitig viel über die politischen Verhältnisse in jener Zeit in den 1960er Jahren und danach. Manchmal bedrückend, manchmal heiter sind die Geschichten aus seinem Leben, die Schneider da vorliest.

Auch seine Leidenschaft fürs Theater kommt in der Autobiografie nicht zu kurz, humorig die Beschreibung des „Landschaftstheaters“ im Emmental, wo Gotthelfs „Schwarze Spinne“, das Libretto hatte Schneider geschrieben, mit viel Aufwand aufgeführt wurde. Der Theatererfolg mit seinem skandalumwitterten Stück „Sennentuntschi“, und die spätere Verfilmung, umstritten und heiß diskutiert, nehmen ebenfalls breiten Raum ein.

Schneiders Autobiografie „Kind der Aare“ macht neugierig auf das Leben des bescheiden auftretenden Schriftstellers, dem „pseudoliterarischer Kitsch zuwider“ ist, wie er sagt, und der mit seiner Lesung wieder alle Besucher in seinen Bann zog.

Hans Gelpcke, der mit der Familie Boch des Hotel Engel die Lesetage organisiert, hatte die große Schar der Literaturfreunde zuvor zum „Familienfest“ begrüßt, denn das scheinen die Literaturtage mittlerweile nach 14 Jahren wirklich zu sein. Viele bekannte Gesichter, aber auch neue Gäste, Leseratten allesamt, treffen sich alljährlich im beschaulichen Ferienort Todtnauberg, der an diesem Novemberwochenende nicht – wie sonst fast immer – mit Schnee aufwarten kann. Dafür jedoch mit zahlreichen Protestplakaten der Gegner des Projekts „Ferienresort“ auf dem Radschert, der geplanten Hotelanlage auf jenem Höhenzug. Hier fand die traditionelle „Lesung am Winterfeuer“ statt. Und der Schweizer Buchpreisträger Peter Stamm hatte diverse Schnee- und Berggeschichten im Gepäck, die wenigstens verbal ein Gefühl von Winter am echt prasselnden Lagerfeuer vermittelten.

Peter Stamm ist bereits der zweite Schweizer Buchpreisträger, der bei den Literaturtagen in Todtnauberg auftritt. Vor genau zehn Jahren war es Rolf Lappert, der kurz vorher ebenfalls den Schweizer Buchpreis erhalten hatte. Initiator Hansjörg Schneider scheint ein Händchen für Preisträger zu haben, denn in beiden Fällen wusste er nichts von den Auszeichnungen, als er die Autoren zu den Lesetagen einlud.

Die Zuhörer hatten sich auf dem Radschert vor dem Jakobuskreuz mit Decken und Glühwein versorgt, und lauschten bei eisigem Wind Stamms Lesung aus Kapiteln seiner verschiedenen Erzählungen und Romanen, die alle mit Schnee und Winter zu tun haben. Zuvor hatten die Alphornfreunde Belchenland musikalisch auf dieses besondere Ereignis eingestimmt, auch zur Verabschiedung der zahlreich erschienenen Zuhörer ließen sie ihre Alphörner erklingen.

Vor 20 Jahren war Stamms Debütroman „Agnes“ erschienen, eine Pflichtlektüre für das Abitur in Baden-Württemberg, aus dem er entsprechende Passagen las. „Es schneit, es schneit“, sagt Stamm lächelnd in die Runde, auch in den Erzählungen aus „Lauf der Dinge“, ob in New York, ob in der einsamen Nacht im Hospiz am Gotthard oder in Stockholm. Stamm liest aus seinen Erzählbänden „Seerücken“, aus dem Roman „Weit über das Land“ und aus dem aktuellen Werk „Die sanfte Gleichgültigkeit der Welt“. Seine Schnee- und Berggeschichten, so leise und kühl vorgetragen, präzise und analytisch wie auch ihre Sprache ist, passten hervorragend zur Kulisse, in die sich am späten Nachmittag dann auch dichter Nebel schob.

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