Dem Verbot zum Trotz kamen Hunderte Menschen vor dem Gebäude der Stadtverwaltung in Istanbul zusammen, um gegen die Festnahme zu protestieren. Auch an der Istanbul-Universität protestierten Studierende. Medien berichteten von Tränengaseinsatz vonseiten der Polizei. Auch in anderen Städten der Türkei wurde Berichten zufolge demonstriert.
Etliche soziale Netzwerke sowie Kurznachrichtendienste waren nur eingeschränkt nutzbar. Viele Türken beschrieben Drosselungen und Beschränkungen unter anderem auf X, Youtube, Instagram, Tiktok, Whatsapp sowie Signal und Telegram.
Imamoglu sollte mit großer Wahrscheinlichkeit bei kommenden Präsidentschaftswahlen als Gegner Erdogans antreten. Aktuellen Umfragen zufolge wäre ein Sieg möglich.
"Die Demokratie mit Füßen getreten"
Imamoglus Frau machte die Regierung Erdogans als Verantwortliche aus. Dilek Imamoglu sagte in einer Videobotschaft: "Diejenigen, die bei der nächsten Wahl nicht verlieren wollen, haben diesen seit langem geplanten Schritt getan und dabei die Demokratie mit Füßen getreten."
Erdogan führt die Türkei seit mehr als 20 Jahren als Regierungschef oder Präsident. Viele Oppositionelle sehen in dem Vorgehen nun den Versuch, einen politischen Gegner auszuschalten.
Erdogan darf laut geltender Verfassung beim regulären Termin 2028 kein weiteres Mal als Präsident antreten - es sei denn, das Parlament stimmt für vorgezogene Neuwahlen. Erdogans Partei und ihre Verbündeten können dies im Parlament nicht ohne Oppositionsstimmen veranlassen.
Neue Repressionswelle im Gang
Beobachter sahen die geplante Aufstellung Imamoglus so weit im Voraus der Wahl als Versuch, ihn vor politischen Repressionen zu schützen. Imamoglu drohen in einer Reihe weiterer Verfahren Haftstrafen und Politikverbote. Er bestreitet seine Schuld in all den Verfahren.
Seit mehreren Monaten mehren sich juristische Verfahren gegen Mitglieder der türkischen Opposition und der Zivilgesellschaft. Beobachter bezeichnen sie als neue Repressionswelle. Die Justiz in der Türkei gilt als politisiert. Ebenfalls am Mittwoch wurde etwa der Investigativjournalist Ismail Saymaz in Zusammenhang mit den Gezi-Protesten im Jahr 2013 festgenommen.
Imamoglus Sieg in Istanbul gilt als größte Niederlage der AK-Partei
Der türkische Exiljournalist Can Dündar sagte der dpa: "Erdogan hat heute den Putsch durchgeführt, den er lange geplant und vorbereitet hat und ließ seinen engsten Rivalen ins Gefängnis stecken." Auch die Bundesregierung sprach von einem Rückschlag für die Demokratie in der Türkei. Die Achtung demokratischer und rechtsstaatlicher Prinzipien sei "Grundbedingung für eine funktionierende Demokratie", sagte ein Sprecher des Auswärtigen Amtes. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bezeichnete die Festnahme als "äußerst besorgniserregend".
Imamoglus Sieg im Jahr 2019 in Istanbul, der bevölkerungsreichsten Stadt und Provinz, gilt bis dorthin als größte Niederlage der AK-Partei Erdogans. Seine Partei hatte die Metropole bis dahin regiert. Imamoglu gewann Istanbul bei den Kommunalwahlen 2024 dann sogar ein zweites Mal.
Die Festnahmen erschütterten auch die Finanzmärkte. Die Landeswährung Lira sackte zum US-Dollar auf ein Rekordtief ab, der Aktienmarkt brach ein und am Anleihenmarkt zogen die Renditen deutlich an.