Weil am Rhein Ein Stück Gesellschaftsgeschichte

Adrian Steineck
Susi Engler (Mitte, in Tracht) ließ 125 Jahre Frauenverein Haltingen Revue passieren. Foto: Adrian Steineck

Stadtführung: 125-jährige Geschichte des evangelischen Diakonie- und Frauenvereins beleuchtet.

Weil am Rhein-Haltingen - Eine Reise in die 125-jährige Geschichte des evangelischen Diakonie- und Frauenvereins erlebten 25 Besucher am Sonntagnachmittag. Stadtführerin Susi Engler ließ dabei anhand des lokalen Geschehens zugleich ein Stück Gesellschaftsgeschichte lebendig werden.

„Wer Kuchen will, muss denselben mitbringen. Dasselbe gilt auch für Besteck, Geschirr und Wein.“ So steht es in einer Einladung zur Mitgliederversammlung des Frauenvereins im Jahr 1948 im Badischen Hof. Weiter ist der Einladung zu entnehmen, dass an „Vergnügungen“ ein Griff in den Grabbelsack geboten wird – Preis: 50 Pfennig.

Die aus heutiger Sicht zum Schmunzeln anregende Einladung war nur eines der Dokumente, aus dem Susi Engler im Verlauf ihrer kenntnis- und anekdotenreichen Führung durch Haltingen vorlas. Diese begann beim evangelischen Gemeindehaus an der Kirchstraße, wo im Jahr 1894 auch der Haltinger Frauenverein gegründet wurde. Von Beginn an gehörten dem Verein 101 Frauen an, und das zu einer Zeit, als Haltingen insgesamt 1142 Einwohner hatte. Der Anstoß zu den Frauenvereinen ging auf Großfürstin Luise von Baden zurück, die in den 1850er-Jahren als 19-Jährige den Badischen Frauenverein mitbegründet hatte. „Der Frauenverein hatte auch erste emanzipatorische Effekte, und zwar insofern, als hier Räume von und für Frauen geschaffen wurden“, legte Engler dar.

Vom Gemeindehaus aus ging es in die kleine Dorfstraße, wo die Stadtführerin verriet, dass in einem heutigen Wohnhaus einst durch die Mitglieder des Frauenvereins Kranke gepflegt wurden. „Das war für mich die größte Überraschung bei der Vorbereitung dieser Stadtführung“, sagte Engler. Belegt ist dies durch einen „Feuerversicherungsschein für das Inventar der Krankenpflege“ aus den 1920er-Jahren, den sie bei ihren Recherchen im Weiler Stadtarchiv aufstöberte. Selbst der heutigen Besitzerin des Hauses war dies unbekannt, wie Engler auf Nachfrage erfuhr.

Aha-Effekte bei der jüngeren Vergangenheit

Damals kostete der Mitgliedsbeitrag für den Frauenverein sechs Reichsmark, und nahezu alle evangelischen sowie viele katholische Frauen gehörten ihm an. Die im Saal des Gasthauses „Rebstock“ eingerichtete Nähschule erfreute sich reger Beliebtheit. Die Machtübernahme der Nationalsozialisten im Jahr 1933 bereitete dem allerdings ein vorläufiges Ende: Die Räume und das Kapital des Vereins von 2000 Reichsmark wurden im Jahr 1938 an die Nationalsozialistische Volkswohlfahrt (NSV) übergeben. Erst nach Kriegsende im Jahr 1945 wurde der Frauenverein noch einmal aus der Taufe gehoben.

Je näher Susi Engler bei ihrem Vortrag der Gegenwart kam, desto mehr sorgte sie bei ihren 25 Zuhörern – unter ihnen auch ein Mann – für Aha-Effekte und dafür, dass ihnen selbst Anekdoten einfielen. „In den 1960er-Jahren waren die Versammlungen des Frauenvereins stets ein großer Tag, zu dem die Frauen in ihre traditionellen Trachten schlüpften und sich die Hörnerkappen aufsetzten“, sagte die Stadtführerin, die selbst einen Trachtenrock aus Egringen trug und diesen im Lauf der Führung durch eine traditionelle Hörnerkappe ergänzte. Eine Zuhörerin erinnerte sich, dass sie ihrer Schwiegermutter Locken ins Haar drehen musste, wenn die Hauptversammlung des Frauenvereins anstand.

Immer wieder galt es für die Vereinsmitglieder auch, Widerstände zu überwinden. Als etwa im Jahr 1998 die „Kükenstube“ eingerichtet wurde, in der Kleinkinder für einige Stunden in Obhut gegeben werden konnten, erinnerten sich einige Zuhörerinnen an Stellungnahmen von Männern im Haltinger Ortschaftsrat. „Es hieß damals, die Frauen müssten dann in der Betreuungszeit auch berufstätig sein und dürften keinesfalls nur ihrem Vergnügen nachgehen“, sagte eine Teilnehmerin.

Ihren Abschluss fand die 90-minütige Stadtführung vor der Haltinger Festhalle, wo Susi Engler an die im Jahr 2005 erstmals angebotenen Seniorennachmittage erinnerte. Auch hier war der Frauenverein von Anfang an beteiligt, auch wenn diese Nachmittage mittlerweile aufgrund der relativ geringen Resonanz im evangelischen Gemeindehaus stattfinden.

Gefeiert wird das 125-jährige Bestehen des Frauenvereins Haltingen am Sonntag, 26. Mai, ab 10 Uhr mit einem Festgottesdienst in der Kirche St. Georg. Im evangelischen Gemeindehaus ist begleitend dazu eine Ausstellung mit Fotos zur Vereinsgeschichte zu sehen.

Die nächste Stadtführung findet am Sonntag, 23. Juni, ab 16 Uhr statt. Susanne Volk-Augustin berichtet über „30 Jahre blaue Kirche“. Treffpunkt ist vor der Stadtbibliothek, Humboldtstraße 1.

Näheres unter www.vhs-weil-am-rhein.de.

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