Weil am Rhein Mit der Kamera in den Kanal

Marco Fraune

Instandhaltung: Stadtwerke müssen 130-Kilometer-Netz in Schuss halten.

Weil am Rhein - Je nach Wohngebiet ist der Zustand des Kanals in Weil am Rhein unterschiedlich. Aktuell im Blick sind die Schillerstraße und der Ortsteil Haltingen. Der in diesen Tagen angeheuerte TV-Operator Jürgen Bay sieht auf seinem Bildschirm hochauflösend, wo es Handlungsbedarf gibt und die Stadtwerke ausbessern müssen.

Ein großes Blatt taucht auf dem Bildschirm plötzlich auf, danach ist ein komischer flacher Haufen zu sehen – nasser Dreck. Weiter geht die Fahrt mit der zuvor im Kanalschacht heruntergelassenen, hochempfindlichen und bestens geschützten Kamera. Der TV-Operator weiß, worauf er achten muss. Tote Katzen oder einen im Kanal liegenden Fuchs sind ihm neben den vielen Klopapierresten und Exkrementen auch schon untergekommen. „Wertvolles habe ich noch nicht gefunden.“

„Volksvermögen“ pflegen

Der Wert besteht in der Infrastruktur selbst, erklärt Stadtwerke-Mitarbeiter Roman Rohleder. Das Kanalnetz in Deutschland sei wertvoller als die Autobahnen und Straßen, von „Volksvermögen“ spricht er, wohlwissend um die mangelnde Beachtung und teilweise geringe Wertschätzung. „Die Pflege des Kanalnetzes ist Gesundheitsschutz, Arbeitssicherheit und Lebenssicherheit.“

In Weil am Rhein müssen 130 Kilometer Schmutz- und Regenwasserkanäle sowie mehrere tausend Schächte in Schuss gehalten werden. Die Eigenkontroll-Verordnung gibt außerdem vor, alle Kanäle regelmäßig anzusehen, bei der Analyse der Anschlussleitung handele es sich zur Hälfte um eine freiwillige Leistung.

Der von den Stadtwerken beauftragte Martin Weis von der Firma Betaplan aus Grenzach kümmert sich darum, dass die Kamera durch die Kanäle fährt und diese gespült werden. In diesen Tagen ist die Firma Lebküchner aus Leingarten angeheuert, die Läublinstraße, Schillerstraße und Haltingen zu analysieren.

„Zustandserfassung“ ist angesagt, die Grundlage für weitere Planungen – womit gegebenenfalls Erneuerungen und Ausbesserungen folgen. „Wenn es hier einen Kanalbruch gäbe, würde im Rathaus alles still stehen“, führt Weis beispielhaft vor Augen.

600 Meter Kabel zur Kamera

Häufig muss bei Schäden nicht mehr die Straße aufgerissen werden, sondern in den Kanal wird ein neues Rohr platziert, „Liner“ kommen zum Einsatz. Seit längerem ist die Technik auch soweit, dass ein Rohr aufgebrochen wird, um dann ein dickeres einzuziehen, was sich dann „Berstlining“ nennt. Zwar gibt es weitere Entwicklungen bis zum Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI), doch aktuell ist das begrenzende Element auch die Stromversorgung der Kamera. Der gestern an der Rathaus-Apotheke eingesetzte Spezialwagen hatte sogar 600 Meter Kabel auf der Rolle.

Kräftig durchspülen

Es wird aber nicht einfach nur eine Kamera den Schacht heruntergelassen und durch die Rohre geschickt: Das Hochdruck-Saug-Spül-Fahrzeug mit acht Kubikmeter Wasser im Tank und inte-grierter Abwasseraufbereitung im Gepäck spült mit 80 Bar Druck zudem kräftig durch. Kies, Schlamm und einige wenig wohlriechende Toilettengang-Reste gilt es, in Richtung Klärwerk zu schicken. Denn: Flossen früher wahre Wassermassen durch die Kanäle, bleibt mittlerweile wegen WC-Wassersparknöpfen & Co. einiges auf der Strecke. „Das Abwasser steht, fault und greift das Material an“, weiß Rohleder aus leidvoller Erfahrung. „Das erhöht den Reinigungsbedarf.“

Bis zu 80 Jahre alte Kanäle

Doch reinigen und filmen kostet nicht nur Geld, sondern auch Zeit. Für den 400-Meter-Abschnitt der Schillerstraße sind drei Tage drauf gegangen. Denn nicht nur im Hauptkanal muss geguckt werden, sondern auch die Anschlussleitungen zu den Häusern gilt es zu betrachten. Hier auf der Leopoldshöhe handelt es sich um einen 1950er-Jahre-Bestand.

Während in der in den 1930er-Jahren entstandenen Gartenstadt altes Steinzeug für den Kanal verwendet wurde, wo die Muffen mittlerweile undicht sind und Dichtungen sich auflösen, weiß der Stadtwerke-Mitarbeiter schon, dass in Haltingen der verwendete Stahlbeton Probleme machen wird, da der Schwefelwasserstoff aus dem Abwasser diesen angreift. Rohleder: „Jedes Quartier hat sein Charakteristikum.“ Sogar in den 1980er-Jahren gebaute Kanäle machen Probleme, da seinerzeit schnell, aber nicht immer ganz so sorgfältig vorgegangen worden sei.

Insgesamt spricht der Experte vorsichtig von einem „Instandsetzungs- und Erhaltungsstatus“, wohlwissend um bis zu 80 Jahre alte Kanäle in Weil am Rhein. Auch viele Hausanschlüsse seien alt, ergänzt Weis.

Positive Veränderungen

Die TV-Inspektion soll detaillierte Aufschlüsse über Anschlüsse, Schäden und Besonderheiten geben. Videos und Textdateien landen nach der Erfassung bei den Stadtwerken, damit dort der Investitionsplan erstellt werden kann. „Ich möchte schließlich nicht erleben, dass eine Straße einbricht.“ Der Erhalt der Leistungsfähigkeit des Netzes sei auch angesichts von Starkregenereignissen wichtig.

Nach und nach wird daher das ganze Stadtgebiet mit der Kamera unterirdisch befahren, um nach 15 Jahren beim Ursprungsort zu starten, so die Vorgabe. Daher sind pro Jahr die Spezialfahrzeuge 15 Wochen in Weil im Einsatz. „Die Schadensmengen werden aber weniger“, bemerkt Rohleder positive Veränderungen. Und das zeige sich auf den hochauflösenden Bildern, die nun viel zuverlässiger ein Abbild der Realität bieten. Es sei wie „Street View“, nur unter der Erde.

Positiv bemerkbar machen würden sich in den vergangenen Jahren hochwertigere Materialien, die beispielsweise auch im Neubaugebiet „Hohe Straße“ unter der Erde landen. Hinzu komme, dass alles genormt sei und Normen auch bei der Abnahme Anwendung finden. „Zuverlässiger, berechenbarer und wirtschaftlich“ seien zudem die „Inliner“, die von innen die alten Kanäle verkleiden können. Mit den Sanierungen einher gehe außerdem, dass es danach weniger Rückzugsorte für Ratten gibt.

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