Weil am Rhein „Vermisse Verständnis für Israel“

Marco Fraune
An der israelischen Gaza-Grenze: schon im Kriegszustand? Foto: sba/Ilia Yefimovich

Interview: Gaza-Konflikt schürt Judenhass / Weiler Pfarrer betont besondere Verbindung zum Judentum

Weil am Rhein - Der Gaza-Konflikt ist seit kurzem neu entbrannt. Massive Raketenangriffe militanter Palästinenser auf der einen Seite und Vergeltungsaktionen von israelischer Seite zeugen von einer Eskalation der Auseinandersetzung. Auch in Weil am Rhein richten sich die Blicke auf den Nahen Osten.

Der evangelische Pfarrer Michael Hoffmann hat in Jerusalem studiert. Er hält bis heute Kontakte ins Gelobte Land. Im Gespräch mit unserer Zeitung bewertet der Geistliche die Konfliktlage und wie die Weiler diese betrachten.

Frage: Der Nahostkonflikt ist wieder enorm entbrannt: Sind es für Sie Kampfhandlungen oder herrscht dort eigentlich schon Krieg?

Ob Krieg oder Kampfhandlung ist eher eine theoretische Frage. In jedem Fall ist es eine reale und dramatische Bedrohung der Israelis in den Städten durch den andauernden Raketenbeschuss, der um Leib und Leben fürchten lässt.

Doch ist Gott sei Dank eine gesamte Mobilmachung nicht nötig, da es sich um lokalisierbare Angriffe aus Gaza handelt und nicht die Armeen der Nachbarstaaten daran beteiligt sind. Immerhin bestehen mit Ägypten und Jordanien Friedensverträge. Wir Jüngere hier in Deutschland können uns nicht vorstellen, was das heißt, im Alltag vor Beschuss in Bunker und Sicherheitsräume flüchten zu müssen.

Für die Israelis ist das immer wieder eine bittere Realität, über die wir hier oft nur etwas erfahren, wenn Israel sich verteidigen muss. Und deshalb vermisse ich auch oft echtes Verständnis für Israel und die Verurteilung der Angreifer.

Frage: Die jüngsten Demonstrationen zeigen: Der Judenhass ist angesichts des Konflikts neu entfacht. Ist das ein „eingewanderter Antisemitismus“, wie der CDU-Chef Laschet es nennt?

Leider ist der Antisemitismus hier in Deutschland nie überwunden worden, sondern war immer präsent. Das reicht von dem vulgären Antisemitismus der Rechten bis zu dem als Antizionismus getarnten „Salon-Antisemitismus“ (nenne ich mal so) auf der linken Seite, der unter dem Vorwand der Israel-Kritik in Wirklichkeit das Existenzrecht Israels bestreitet.

Dass in den meisten arabischen Ländern Israel und Juden als Sündenbock für alle Übel der Welt angesehen und schon in den Schulen zum Antisemitismus erzogen wird, ist bekannt, wird aber kaum wahrgenommen. Neu ist nicht, dass so unverhohlen und öffentlich auf Demonstrationen Israel mit dem NS-Staat verglichen und Kindermord vorgeworfen wird, sondern dass jetzt endlich auch die Politik und Öffentlichkeit dies merkt, es unerträglich findet und hoffentlich bereit ist, dies mit aller Konsequenz zu verhindern und zu bestrafen.

Das gilt auch für den Antisemitismus im Alltag, wenn nur als Beispiel etwa jüdische Schüler nicht nur ausgegrenzt und beschimpft, sondern sogar angegriffen werden. Jeder Antisemitismus darf nicht mehr verharmlost, sondern muss tatsächlich erkannt und verhindert werden. Es muss endlich allen klar werden, dass Juden zu uns gehören und hier ihre Heimat haben. Dass Antisemitismusbeauftragte nötig sind, ist eigentlich ein Armutszeugnis, aber absolut notwendig und wichtig.

Frage: Gibt es in Weil am Rhein Gesprächsbedarf hierzu in Ihrer Gemeinde, oder ist der Nahostkonflikt angesichts der Pandemie kein Thema?

Der ist natürlich überall und immer ein Thema, das schnell sehr emotional wird. Gerade dann, wenn man Verständnis für Israel zeigt und die Verantwortung der palästinensischen Nachbarn anspricht. In den Predigten spreche ich solche aktuellen Ereignisse immer wieder an, weil nicht nur das Christentum, sondern auch unsere ganzen Wertvorstellungen auf der jüdischen Tradition basieren und wir mit Juden und dem Judentum verbunden sind und bleiben.

Falls wieder Veranstaltungen möglich sind, haben wir unter dem Format unserer „Lindengespräche“ einen Abend zum Thema der Verschwörungstheorien geplant, weil die immer Antisemitismus – offen oder auch verborgen – verbreiten. Ein Abend zum Thema Nahostkonflikt werden wir sicher auch noch anbieten.

Frage: Inwiefern stehen Sie denn in Kontakt mit den Betroffenen vor Ort?

Mit meinen Freunden in Israel bin ich immer in Kontakt und bange auch mit ihnen. Gerade auch die jetzigen Spannungen zwischen arabischen und jüdischen Israelis bereiten vielen Sorge. Hier in Lörrach bin ich natürlich in stetem Austausch und Gespräch mit Rabbiner Moshe Flomenmann und den befreundeten Gemeindegliedern.

Frage: Sie engagieren sich im Kirchenbezirk im jüdisch-christlichen beziehungsweise interreligiösen Dialog: Leidet dieser?

Bis jetzt hat ja Corona alle geplanten und auch gewohnten Veranstaltungen verhindert. Weder unser Gebetsweg noch die immer wieder von Museumsleiter Markus Moehring angeregten Veranstaltungen zu Themen im Zusammenhang mit den aktuellen Ausstellungen waren leider nicht möglich. Wir trennen zwischen politischen Konflikten im Ausland und unserem Zusammenleben hier. Dass wir alle hier zuhause sind und jede Religion zum Frieden dienen und für Freiheit und Sicherheit einstehen muss, eint uns. Ich bin guter Zuversicht, dass wir für ein Zusammenleben ein gutes Beispiel geben.

Frage: Der Schutz des jüdischen Lebens gehört zu den deutschen Werten. Wie können Sie als evangelischer Pfarrer aus Weil am Rhein hier Positives bewirken?

Das frage ich mich auch immer wieder. Klar ist, dass ich in Unterricht und Gottesdienst, in Vortrag und Gespräch immer wieder diese besondere Verbindung zum Judentum betone und daran erinnere, dass Juden und Judentum nichts Fremdes sind, sondern zu uns gehören. Dazu gehören auch Besuche und Führungen in der Synagoge und persönliche Begegnungen. Und natürlich werbe ich auch immer um Verständnis für das heutige Israel.

Dass dazu auch Kritik gehört, ist selbstverständlich, allerdings mache ich dann auch darauf aufmerksam, dass vor allem Protest gegen Israel geäußert wird und es kaum Empörung oder Demonstrationen gegen das Morden in Syrien, im Jemen oder wo auch immer in der arabischen Welt gibt.

Frage: Und was erhoffen Sie sich von Ihren Gemeindegliedern?

Da freut mich, dass das Interesse am Judentum groß ist und wir bald mal persönlich einen Austausch wieder anbieten können. Und ich hoffe nicht nur, sondern ich bin mir auch sicher, dass immer mehr die Erkenntnis wächst, dass gerade die Erkenntnis der besonderen Verbindung zum Judentum ein Zeichen der Glaubwürdigkeit von uns Christen ist.

Frage: Eine gewagte Frage zum Schluss: Wird der Nahostkonflikt irgendwann einmal befriedet?

Diese Hoffnung haben viele – ich auch – nicht aufgeben. Es wird dann sein, wenn Israelis und Palästinenser in guter Nachbarschaft leben werden und merken, dass sie in diesem kleinen Land aufeinander angewiesen sind. Und das hoffentlich – um es in gut jüdischer Tradition zu sagen – noch vor der Ankunft des Messias.

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