Weil am Rhein „Weil am Rhein hat mich geprägt“

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Enjott Schneider in seinem großen Tonstudio Foto: zVg/M. Vietmaier

Interview: Der Komponist Prof. Dr. Enjott Schneider erhält den Ehrenpreis für Deutsche Filmmusik

Weil am Rhein - Er sammelt Auszeichnungen und Preise wie andere Leute Briefmarken: Professor Dr. Enjott Schneider, ein vielfach ausgezeichneter und bedeutender Komponist, Interpret, Musikwissenschaftler und Dozent. Er stammt aus Weil am Rhein, wuchs in der Grenzstadt auf, machte hier sein Abitur und spielte in der Stadtmusik, ehe er studierte und danach seine große, eindrucksvolle Karriere began

„Weil am Rhein hat mich geprägt und irgendwie geerdet“, sagt Enjott Schneider, der auch Präsident des Deutschen Komponistenverbands ist und am 9. November in Halle den Ehrenpreis für Deutsche Filmmusik verliehen bekommt. Siegfried Feuchter unterhielt sich mit ihm.

Frage: Jetzt kommt zu Ihrer reichen Sammlung an Ehrungen und Preisen eine weitere hinzu. Was bedeutet Ihnen der Ehrenpreis für Deutsche Filmmusik?

Natürlich freut es mich sehr. Aber nicht, um showmäßig einen weiteren Preis ins Regal zu stellen (die sind alle unsichtbar verstaut), sondern wegen der Resonanz an sich, die meine Musik zunehmend erhält.

Frage: Wie viele Opern sowie Kirchen- und Filmmusiken haben Sie im Laufe Ihres Lebens komponiert?

Oje, ich zähle es nicht. Neun Opern, sieben orchestrale Sinfonien, 16 Orgelsinfonien, mehrere Hundert Konzert- und Kammermusikwerke. Die Anzahl der Filme beträgt weit über tausend, wenn man Mehrteiler und Serien einzeln zählen würde. Auf über 50 CDs ist schon vieles dokumentiert und auf www.enjott.com, wo man auch ‚tagelang‘ Musik hören kann, ist alles minutiös gelistet.

Frage: Welche Komposition würden Sie als Ihr größtes Werk und welche als Ihren größten Erfolg bezeichnen?

Ein Vater liebt jedes seiner Kinder und darf keines besonders hervorheben. Alles ist mit Herzblut komponiert. Und manchmal ist gerade in den kleineren Sachen ein wunderbarer kosmischer Funke verborgen.

Frage: Vor Kurzem gab es in Mailand und in Genua die europäische Erstaufführung der von Ihnen in chinesischer Sprache komponierten Oper „Marco Polo“. Wie kam es dazu?

2017 hatte ich im Auftrag der chinesischen Regierung, die dreistündige Monumentaloper „Marco Polo“ komponiert – in chinesischer Sprache und chinesisch gesungen. Die Weltpremiere war im Opernhaus Guangzhou, das übrigens von der Architektin Zaha Hadid erbaut wurde. Alles weitgehend mit dem Kreativteam (Regie, Bühne, Kostüme, Licht, Tanz) der Royal Opera Covent Garden in London. Es folgten Inszenierungen in Beijing (2018), Quanzhou (2019) und eben jetzt in Italien: das war dort ein überraschender Donnerschlag, denn niemand hatte erwartet, dass ein deutscher Komponist und eine chinesisches Team etwas auf die Beine stellen könnten, was Verdi und Puccini in den Schatten stellen könnte. Ein großer Erfolg!

Frage: Sind Sie bei den Premieren Ihrer Kompositionen rund um den Globus immer dabei?

Ja, leider raubt das viel Zeit, die ich eigentlich fürs Komponieren bräuchte. Die Sommermonate allein waren Aufführungen in China, Singapur, Hongkong, Krasnoyarsk (Sibirien), Akropolis Athen, Puebla (Mexiko), Sotschi (Russland), Milano, Genova, Forli und Taiwan. So ähnlich geht es seit vielen Jahren.

Frage: Ihre kreative Schaffenskraft und Leidenschaft für Musik scheint ungebrochen. Was bedeutet Ihnen Musik?

Musik ist die Kunst der Schwingungen und Frequenzen, die mit „Geist“ und „Bedeutung“ erfüllt sind. Die „Welt“ ist – wie der Name schon sagt – das „Wellende“. Und deshalb ist Musik für mich Welterkenntnis. Sprache und Begriffe sind begrenzt. Die Sprache der Musik ist international, grenzenlos, kosmisch. Hiermit die Menschen berühren zu können und ein weltumspannendes „Statement“ abliefern zu dürfen, ist eine riesige Freude und ein Geschenk Gottes.

Frage: Wurde Ihnen das Komponieren in die Wiege gelegt? Wie kamen Sie zur Musik?

Niemand in Elternhaus und in der ganzen Verwandtschaft in Weil am Rhein hatte Kontakt zu Musik. Ich wollte mir meine eigene Welt bauen. Und diese hat klein angefangen, zum Beispiel mit Trompete in der Weiler Stadtmusik und im Jugendorchester Markgräflerland. Nach 20 Jahren Kultur in Weil und Lörrach kam Freiburg und der Hochschwarzwald dazu, dann mit 29 Jahren die Professur an der Musikhochschule München, wo sich dann gleich der Film und Filmmusik in mein Leben eingeschlichen hatten.

Frage: Welche Instrumente spielen Sie selbst? Haben Sie überhaupt noch Zeit für das Musizieren?

Es waren vor allem Trompete, Violine, Klavier und dann das Konzertinstrument Orgel, womit ich auch Tonträger einspielte. Später kam Dirigieren dazu. In meinem großen Tonstudio in München sitze ich eigentlich täglich am Klavier, um meine Musiken als Demo einzuspielen. Öffentliches Musizieren habe ich schon vor Jahren eingestellt: die Zeit zum professionellen Üben fehlt.

Frage: Sie sind unter anderem auch Präsident des Deutschen Komponistenverbands. Was ist dabei Ihre Hauptaufgabe? Was leistet der Verband?

Kulturpolitik und Lobbyarbeit für die Kollegenschaft ist anstrengend, aber eine ehrenwerte Sache: Seit 2003 bin ich im Aufsichtsrat der Verwertungsgesellschaft GEMA, die ja international dafür sorgt, dass bei Nutzungen von Musik die Urheber auch fair vergütet werden. Sechs Jahre war ich auch Aufsichtsratsvorsitzender, um diesem Konzern mit derzeit etwa einer Milliarde Euro Umsatz vorzustehen. Daher war es dann naheliegend, seit 2013 auch Präsident des Deutschen Komponistenverbands zu werden. Für unsere drei Säulen „Klassik“, „Filmmusik“ und „Pop/Rock/Elektro“ muss sowohl bei Bundesregierung wie auch auf Europa-Ebene in Brüssel viel Präsenz gezeigt werden, um ein faires Lebensklima für Kreative im Bereich der Musik zu schaffen. Themen wie Urheberrecht, Tarife, Altersversorgung, Jobvermittlung, demokratische Mitsprache in Gremien, Rundfunkrat, Wettbewerben – all das ist ein ausuferndes Feld.

Frage: Haben Sie neben der intensiven Beschäftigung mit Musik noch Zeit für Hobbys?

Mein Werk ist mein Leben und mein Hobby. Erholung suche ich in allen Formen der Natur. Bäume, Wasser, Berge sind meine Themen.

Frage: Sie sind in Weil am Rhein aufgewachsen. Ist die Grenzstadt noch in guter Erinnerung?

Meine Mutter Gisela Schneider haben wir eben im Frühjahr 2019 in Weil am Rhein beerdigen müssen. Sie war meine persönlichste Bindung in die Heimat, wo ich immer wieder gerne hinkam und hinkommen werde. Auch mit den Klassenkameraden (wir feiern eben das 50. Jahr des Abiturs) ist reger Kontakt und periodisches Treffen. Selbst mit meinem geschätzten Lehrer der ersten Grundschulklasse in Friedlingen, Rudolf Andris, habe ich noch Kontakt. Wir mailen und telefonieren. Weil am Rhein hat mich geprägt und irgendwie geerdet, um auf dem Boden einer unverkrampften Realität zu bleiben.

Frage: Sie leben jetzt in München. Was unterscheidet die bayerische von der markgräfler Lebensart?

Ich bin Kosmopolit geworden, bin fast das ganze Jahr irgendwo ein „Ausländer“. Da lernt man, nicht Grenzen zu ziehen, sondern aufeinander zu zugehen. Ich sehe inzwischen in jedem Menschen den Freund, den ‚göttlichen Funken‘, den ausnahmslos jeder in sich trägt. Genauso ist jede Form der Kultur eine abgeschlossene perfekte Welt, ein Diamant. Deswegen könnte ich jetzt „bayerische“ und „markgräflerische“ Lebensart nicht auseinanderdividieren. In beiden gibt es Wunder zu entdecken, in beiden gibt es eher gute und eher bösartige Individuen, Dumme und Gescheite, Schwätzer und Schweigsame. Ich könnte da nirgends eine regionale Unterscheidungsgrenze einziehen.

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