Anhand der Morat`schen Bilder kann Textil-Experte Müller nachweisen, dass es im Jahr 1822, in dem ein Wiesentäler Heimatroman spielt, eben noch keinen Qualm aus Fabrikschloten gab.
Blütezeit nach dem Zweiten Weltkrieg
„Dampfkraft wurde im Wiesental vermutlich erst Mitte des 19. Jahrhunderts durch den Einsatz der Kohle genutzt“, beteiligt sich Müller gerne an dem wissenschaftlichen Detektivspiel. Als die Eisenbahn 1876 bis nach Zell gebaut wurde, stand der weiteren Expansion der Textilindustrie nichts mehr im Weg. Gearbeitet wurde damals an 307 Tagen im Jahr und zwar elf Stunden am Tag, zusätzlich kam der oft weite und beschwerliche Heimweg, dazu Lärm, Faserflug und Staub am Arbeitsplatz – alles absolut ungesund. Korff und Mohr fassen zusammen, dass es in den 1920er Jahren 80 Textilbetriebe mit rund 18 000 Beschäftigten an Wiese und Hochrhein gab.
Nach dem Zweiten Weltkrieg erlebte die heimische Textilindustrie nochmals eine Blütezeit; die heimischen Arbeitskräfte reichten bei Weitem nicht aus und es mussten Gastarbeiter aus Italien und der Türkei angeworben werden. Das Ende einer 200-jährigen Textil-Geschichte, bedingt durch die Billigproduktion in Asien, ist in der Dokumentation ebenfalls enthalten. Es zeigt die Sprengung von „Spinni“ und „Webi“ im Jahr 1993 in Zell, ein Bild, das jeden Zeller rührt.
Aber zurück zum Maler Morat. Müller findet es faszinierend, dass man in den detailgetreue Bildern die alten Häuser wiederentdecken kann, die heute noch ortsbildprägend sind. Sei es das Schlössle, die ehemalige Fabrikanten-Villa oder die „Laborantenhäuser“, die in Atzenbach plötzlich neben Bauernhäusern auftauchen.
Die fruchtbare Zusammenarbeit zwischen der Uni Freiburg und den lokalen Experten vor Ort ist in zwei Publikationen dokumentiert: „Blauer Himmel über Baden“, Ortsansichten des 19. Jahrhunderts von Johann Martin Morat, Jan Thorbecke Verlag, sowie Alemannisches Jahrbuch 2019/2020, Alemannisches Institut Freiburg.