Zell im Wiesental Neue Sicht auf die Welt gewonnen

Markgräfler Tagblatt
Amelie Mahlbacher (rechts) mit ihrer jüngeren Gastschwester Isidora vor den Toren der chilenischen Stadt Copiapó. Foto: privat Foto: Markgräfler Tagblatt

Amelie Mahlbacher aus Zell hat ein Schuljahr in Chile verbracht

„Ich träume immer noch auf Spanisch“, sagt Amelie Mahlbacher. Seit knapp einem Monat ist die 17-Jährige wieder zurück im heimischen Zell, doch die Zeit in Südamerika wirkt weiter nach: „Das ist alles noch sehr lebendig.“

Von Patrick Merck

Zell. Dass sie ein Jahr im Ausland verbringen wird, stand für Amelie schon während ihrer Grundschulzeit fest. „Meine beiden älteren Schwestern haben das gemacht und danach begeistert davon berichtet. Daher hat sich für mich eigentlich nur die Frage nach dem Wohin gestellt“, berichtet die Schülerin, und Südamerika sollte es schon sein. Die guten Erfahrungen der Schwester bewogen Amelie und ihre Eltern, wieder auf die Organisation AFS zu setzen, die Schüleraustausche international organisiert. „Da hatte ich Paraguay und Chile als Wunschziele angegeben.“ Bevor die Reise losging, wurde die Schülerin an mehreren Wochenenden auf die einjährige Herausforderung vorbereitet. Mit 15 weiteren Austauschschülern aus Deutschland, die sich dort schon kennenlernten, startete Amelie Mahlbacher in ihr Abenteuer.

Über Santiago de Chile reiste die Zellerin im August 2017 zu ihren Gastgebern nach Copiapó – mitten im südamerikanischen Winter. Nachts kratzen dann die Temperaturen die Null-Grad-Grenze, tagsüber werden rund 25 Grad erreicht. Die 150 000-Einwohner-Stadt, die hauptsächlich vom Bergbau lebt, liegt in einer der regenärmsten Regionen der Welt: der Atacama-Wüste.

Über AFS hatte Amelie Mahlbacher im Vorfeld die Kontaktdaten ihrer zukünftigen Gastfamilie erhalten, was die Vorbereitung erleichterte. Doch der Austausch via E-Mail sowie Messenger-Diensten mit der gleichaltrigen Florencia allein auf schriftlicher Basis sorgte dann für eine Überraschung, als sich Amelie und ihre Gast-Schwester zum ersten Mal gegenüberstanden. Da beide ihre Texte mittels kleiner Übersetzungsprogramme verfasst hatten, dachte Florencia, dass Amelie halbwegs Spanisch versteht, und Amelie war überzeugt, dass Florencia Englisch spricht. Beides entpuppte sich als falsch. Heute lacht die Zellerin über die Situation, „damals war mir allerdings ein bisschen zum Heulen zumute.“

Sprachhürde bewältigt

Die ersten Wochen nutzte Amelie Mahlbacher, um Spanisch zu lernen, da sie kaum Vorkenntnisse hatte. Dafür wurde ihr in der Schule Raum und Zeit gelassen. „Ich habe einfach am Unterricht teilgenommen und im Lauf der Zeit immer mehr verstanden.“ Besucht hat sie die Abschlussklasse der katholischen Mädchenschule Liceo Sagrado Corazón, in der auch ihre Gast-Schwestern waren. Ähnlich lief der Spracherwerb zuhause bei ihrer Familie ab. Während die Kommunikation mit Vater Ricardo und der 15-jährigen Isidora anfangs allein mit Händen und Füßen ablief, sprach Gastmutter Karin ein bisschen Englisch. Stückchen für Stückchen erarbeitete Amelie sich so mit Hilfe ihrer Gastfamilie die Fremdsprache. Irgendwann war sie dann nicht mehr fremd. „Ich verstehe fast alles, aber so schnell wie die Chilenen spreche ich auch nicht“, fasst sie ihre Sprachkenntnisse zusammen.

„Längstes Land der Welt“

Zuhause ist Amelie Teil der Jugendmannschaft des HSV Schopfheim. „Vereine wie in Deutschland gibt es in Chile nicht“, sagt sie. Erst nach mehreren Wochen des Suchens hat sie in der Mannschaft der Universität eine Trainings- und Spielgelegenheit gefunden. „Leider hat sich das Team bald in die mehrmonatige Sommerpause verabschiedet, so dass ich auf Volleyball umgestiegen bin.“ Dafür gab es andere Höhepunkte: „Ich habe die Zeit auch genutzt, um mit meiner Familie, der Schule oder Freunden das ´längste Land der Welt` zu bereisen. Dadurch hatte ich die Möglichkeit, die wundervollen und einzigartigen Facetten Chiles, seiner Kultur und seiner Menschen kennenzulernen.“

Knapp einen Monat, nachdem sie wieder deutschen Boden betreten hat, sind die in Chile gesammelten Erfahrungen immer noch Teil ihres Alltags. Mehr noch: Die Zeit nach der Heimkehr ist eine viel intensivere, konstatiert die 17-Jährige, die nach den Sommerferien auf die Mathilde-Planck-Schule nach Lörrach geht. „Klar war ich traurig, als ich vor einem Jahr aufgebrochen bin“, berichtet Amelie rückblickend. „Doch da war ja klar, dass ich zurückkommen werde. Meine Familie, mein Zimmer, meine Freunde, mein Verein – alles hat auf mich gewartet.“ Der Abschied aus Chile sei ihr daher ungleich schwerer gefallen. „Ob und wo ich Florencia, Isidora, Karin oder Ricardo wiedersehe, weiß ich nicht. Und wenn, dann werden es komplett andere Bedingungen oder Umstände sein. Ein ‚Zurückkommen‘ gibt es nicht.“

Bittere Armut gesehen

Die Erlebnisse und Eindrücke, die Amelie Mahlbacher in Chile gesammelt hat, haben ihren Blick auf ihre Heimat verändert. „Diese bittere Armut, die ich da häufig gesehen habe, kennen wir hierzulande nicht.“ Als AFS-Austauschschülerin engagierte sich Amelie bei sozialen Projekten der befreundeten chilenischen Hilfsorganisation Techo. Dabei stand die Arbeit vor allem mit Familien im Vordergrund, die in den Campamentos – von Armut geprägte und wild gebaute Stadtviertel ohne staatliche Infrastruktur – leben. „Wenn die dann wissen wollten, ob es Campamentos auch in Deutschland gibt oder die Menschen hier hungern müssen, fiel mir das Antworten schon manchmal schwer“, erzählt die junge Zellerin, „man lernt durch solche Erfahrungen wirklich schätzen, wo man herkommt und welche Möglichkeiten es hier gibt.“

AFS legt bei seinen Programmen großen Wert auf das Verbindende und den Austausch zwischen Nationen. „Mit mir in Copiapó waren unter anderem AFSler aus Thailand, Frankreich, Italien, der Slowakei und der Schweiz.“ Auch die beteiligten sich an den Projekten und anderen Aktionen der lokalen Komitees. Durch dieses Miteinander entsteht nicht nur eine emotionale Verbindung zum Gastland, sondern auch zu Menschen aus vielen anderen Kulturkreisen. „Das war schon spannend“, sagt die 17-Jährige.

Obwohl der Austausch vorbei ist, hält Amelie Mahlbacher dem AFS die Treue und engagiert sich ehrenamtlich im Lörracher Komitee. „Es wäre schön, wenn mehr junge Menschen diese Erfahrung machen“, sagt sie und wirbt für das internationale Miteinander. Das müsse nicht unbedingt ein Jahr in einem fremden Land sein. „Wer als Gastfamilie einen Jugendlichen für einige Monate bis zu einem Schuljahr aufnimmt, kriegt diese Erfahrung sogar ohne selbst reisen zu müssen.“

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