Zell im Wiesental Spontan, schlagfertig, witzig

Markgräfler Tagblatt

Serie Zeller Fasnacht Teil 5: Chappeobe der Vogteien: Eine besondere Eigenart der Narretei in Zell

Fast 400 Jahre alt ist die Zeller Fasnacht. Seit spätestens den 1870er Jahren wird die Fasnacht mit Umzügen und Saalveranstaltungen bis heute ähnlich durchgeführt. Fast jedenfalls. Einiges hat sich geändert, Neues kam hinzu, manch Altes ist auch auf der Strecke geblieben. Eines hat sich erhalten: Fasnacht ist für die meisten Zeller das höchste Ereignis im Jahresablauf. Jedenfalls fast immer. Dieses Jahr wird die Fasnacht eine andere sein.

Von Uli Merkle

Zell. Üblicherweise fänden nach Dreikönig bis zur eigentlichen Fasnacht die Chappeobe der einzelnen Vogteien statt. Da laufen die Bühnenakteure der Vogteien zur Hochform auf und bieten, oft im kleinen Rahmen, ein närrisches Programm, das es mit jedem Zunftabend aufnehmen kann.

Die Chappeobe der Zeller Vogteien haben sich erst in den 1950er und 1960er Jahren etabliert. Der Begriff Chappeobe ist etwas irreführend. Er stammt daher, dass es bis in die 1980er Jahre üblich war, während der Veranstaltung Chäppli aus Papier an die Besucher zu verkaufen. Chappeobe sind quasi eine Weiterentwicklung der zuvor durchgeführten „Abende mit Belustigung“ oder den „Bunten Abenden“.

Persiflage auf die Stadtverwaltung

Der Grundgedanke war, dass sich die Vogteien als eigenständige fasnächtliche Verwaltung ihres Ortsteils sahen. Somit waren sie eine perfekte Persiflage auf die eigentliche Zeller Stadtverwaltung und waren auch einer Behörde ähnlich strukturiert. Es gab die offiziellen Figuren eines Polizisten, einer Hebamme, eines Schermusers und eines Bürgermeisters. Sie nannten sich auch Fasnachtsgemeinden. Erst später wurden daraus Vogteien und aus den Bürgermeistern wurden Vögte.

Die Chappeobe waren organisiert wie Bürgerversammlungen, bei denen die offiziellen Amtsträger ihre jeweiligen Jahresberichte abgaben. Jeder dieser Berichte war im Prinzip ein einzelner Auftritt, der am ehesten mit einer Büttenrede zu vergleichen ist. Jedenfalls bekamen stets „die Oberen“ von der Stadtverwaltung bis hin zur Weltpolitik ihr Fett ab. Die Hebammen speziell wussten auch immer viel über das Privatleben in der Vogtei zu erzählen, die Schermuser hingegen suchten unter der Oberfläche nicht nur nach Schermäusen, sondern konnten auch manches entdecken, was im Untergrund gärte. Unvergessen sind die Auftritte von Gerold Vollherbst, der über Jahrzehnte hinweg in seiner Rolle als „Bolizischt vom Obertal“ manche Ordnungswidrigkeit aufdecken konnte.

Obligatorisch war bei diesen Veranstaltungen auch der Verzehr des Bürgernutzens in Form eines mehr oder weniger opulenten Gerichts auf Gemeindekosten. Noch heute wird der Bürgernutzen in den meisten Vogteien serviert. Die Figuren Polizist, Hebamme und Schermuser treten allerdings nicht mehr überall auf.

Mit der Einführung des Hürusses im Jahr 1968 änderte sich der Ablauf der Chappeobe. Denn jeder einzelne wird vom jeweiligen Hürus mit seinem Gefolge besucht. Rein historisch gesehen war der Hürus über Jahrhunderte hinweg derjenige gewesen, der für das Eintreiben von Steuern und aller möglichen Abgaben zuständig war. Eine Person also, die nicht unbedingt gerne gesehen wurde. So hat sich eine fasnächtliche Streitkultur zwischen dem Hürus mit Gefolge und den einzelnen Vogteien herausgebildet, die heute noch leidenschaftlich gepflegt wird.

Humorvoller Schlagabtausch

Obwohl die Zeller Fasnächtler ihren Hürus lieben, muss er sich beim Besuch jedes einzelnen Chappeobe Prüfungen oder unangenehmen Fragen stellen. Die Kunst für alle Beteiligten dabei ist, die jeweilige andere Partei verbal herauszufordern, so dass es bisweilen zu heftigen Disputen kommt. Dabei muss das ganze Gezeter aber immer humorvoll und lustig über die Bühne gehen. Dazu sind eine gewisse Schlagfertigkeit und eine gehörige Portion Mutterwitz notwendig. Zwei Eigenschaften, die an der Zeller Fasnacht ohnehin gut vertreten sind.

Jede Vogtei hat ihr eigenes Rathaus, das heißt, eine Wirtschaft, die sie für sich beansprucht. Dies stellte vor Jahrzehnten kein Problem dar. Heute, bei wesentlich weniger Wirtschaften, müssen sich einzelne Vogteien Rathäuser teilen. Auch kommt es bei insgesamt elf Vogteien vor, dass mehrere Chappeobe parallel stattfinden. Waren die einzelnen Chappeobe früher nur für die eigenen Vogteimitglieder zugänglich, sind sie heute meist öffentlich. Es ist inzwischen ein guter Brauch, dass Abordnungen einzelner Vogteien die Chappeobe anderer Vogteien besuchen. Wenn auch teilweise hochkarätige Programmpunkte geboten werden, ist die Atmosphäre eine völlig andere als bei einem Zunftabend in einer großen Halle. Die Akteure stehen oft mitten im Publikum, anstelle einer Bühne tut`s auch mal ein Stuhl, auf den man sich stellt. Die Interaktion mit dem Publikum ist immer gegeben und sogar erwünscht.

Der Zeller Schauspieler und Fasnächtler Egon Klauser ist schon viele Jahre beim Chappeobe der Vogtei Sunneland dabei. Er tauscht gern die Theaterbühne mit dem Nebenzimmer im Hotel-Restaurant „Löwen“, um in der Druggede des Sunneländer Chappeobe aufzutreten. „Der unmittelbare direkte Bezug zum Publikum, die Spontanität und schlussendlich die ungezwungene Fröhlichkeit wie bei einem Chappeobe gibt es beim Theater nicht. An einem Zeller Chappeobe ist es viel wichtiger, die Schwingungen aus dem Publikum aufzunehmen, zu improvisieren und schlagfertig zu reagieren, als einen auswendig gelernten Monolog zu rezitieren“, so Egon Klauser.

Fasnachtsstars in Norddeutschland

Dass ein solcher Auftritt auch ernst genommen werden kann, zeigte sich vor Jahren bei einem Auftritt zusammen mit Elke Hochstatter als „Mariandl und Michl“. Was als reine Verulkung der Volksmusik gedacht war, wurde teilweise als eine reale Show von echten Volksmusikstars angesehen. Es gab danach sogar Angebote für Auftritte außerhalb der Fasnacht bis hin zu einem Schützenfest in Norddeutschland, wo die beiden vermeintlichen Stars zusammen mit der Sunneländer Damentrachtenkapelle im Sommer 2011 aufgetreten sind.

Das Programm für den Chappeobe auf die Beine zu stellen, obliegt in den Vogteien in aller Regel dem Vogt und seinen Akteuren. Der Aufwand dazu kann sehr unterschiedlich ausfallen. Teilweise wird wochenlang geprobt oder es werden stundenlang Tänze einstudiert, anderes geschieht mehr oder weniger spontan. Inzwischen haben die meisten Vogteien auch an ihrem Chappeobe ein eigenes Thema oder Motto. Dementsprechend wird die Örtlichkeit passend dekoriert. Dazu hat jede Vogtei auch ein eigenes Deko-Team.

Die Damen der Narrenzunft Gresgen beispielsweise treffen sich bereits ab Oktober bis kurz vor Weihnachten wöchentlich zum Basteln der Dekoration, um nach Weihnachten direkt in die Produktion der Fasnachtskostüme überzugehen. Bei den meisten anderen Vogteien laufen diese Arbeiten parallel zum Wagenbau.

Es gibt also für Zeller Fasnächtler immer viel Arbeit, um vom Umzugswagen über die Kostüme bis hin zum Chappeobe alles vorzubereiten. Allerdings nicht in diesem Jahr. Oder doch? Die Arbeiten sind sicherlich weniger aufwendig als sonst. Aber alle Vogteien, Musiken und andere Gruppierungen haben die Schaufenster des Einzelhandels im Zeller Städtli dekoriert und manch eine Vogtei hat ihren Chappeobe irgendwie virtuell durchgeführt. Das geht zwar alles, dennoch freuen sich alle auf die nächste, „richtige“ Fasnacht. Dann gibt es wieder echte Chappeobe: spontan, schlagfertig, lustig und mit viel Mutterwitz.

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