Badenweiler Von der Hölle ins Paradies

Weiler Zeitung
Bei der Vernissage: (v.l.) Heinz Setzer, Dr. Thomas Schmid, Prof. Dmitri Bak, Bürgermeister Karl-Eugen Engler, Anastasia Alexandrowa, Sergej Maguta, Rolf-Dieter Kluge und Prof. Jürgen Brodwolf Foto: zVg Foto: Weiler Zeitung

Tschechows Reise: deutsch-russische Ausstellung in Badenweiler

Badenweiler. Bis auf den Flur drängten sich die Besucher, als im Großherzoglichen Palais Badenweiler die Ausstellung über das größte Abenteuer des russischen Schriftstellers Anton Tschechow, seine Reise auf die ehemalige Sträflingsinsel Sachalin, eröffnet wurde.

Anlässlich des 125-jährigen Reisejubiläums konnten sich das Deutsche Literaturarchiv in Marbach und das Literarische Museum Badenweiler „Tschechow-Salon“ die Ehre teilen, dieses zum nationalen Kulturgut Russlands zählende originale Bildmaterial zeigen zu dürfen. Das Staatliche Literaturmuseum der Russischen Föderation in Moskau hatte es erstmals für eine öffentliche Präsentation freigegeben.

Ergänzt wurde die Präsentation durch das „Glasbuch“ zu Tschechows Sachalinreise des bekannten Künstlers Prof. Jürgen Brodwolf, sodann durch Dokumente zu den Sachalin-Kontakten Badenweilers sowie durch einen von Anastasia Alexandrowa vom russischen Literaturmuseum für diese Ausstellung gedrehten Dokumentarfilm.

13 Wochen war Tschechow damals von Moskau aus unterwegs, um auf eine karge Insel zu gelangen, die noch „hinter Sibirien“, im „fernen Osten“ Russlands liegt. Sachalin wurde das östlichste Zentrum der „Katorga“, des Straflagerregimes, das zumeist keine Rückkehr erlaubte. Tschechow selbst, als 30-jähriger Arzt mit seiner bisherigen Wirkungsmöglichkeit als Schriftsteller unzufrieden, brach auf, um der Gesellschaft über den unmenschlichen Strafvollzug der „Hölle Sachalin“ die Augen zu öffnen – eine abenteuerliche Weltreise mit radikal aufklärerischem Potenzial, die ihm kein Einziger in seinem Umfeld zugetraut hatte. Ohne offiziellen staatlichen Auftrag führte er auf der Insel eine Volkszählung durch, erfasste in drei Monaten rund 10 000 Zuchthäusler und Strafkolonisten, alle, bis auf die „Politischen“, zu denen man ihm den Zugang verweigerte.

Als er ab Oktober über den Indischen Ozean, durch den Suez-Kanal, das Mittelmeer und das Schwarze Meer zurückreiste, erlebte er unter den Palmen der Insel Ceylon das Gegenstück zu Sachalin. Mit Eindrücken gesättigt schrieb er an einen Freund: „Ich kann sagen: ich habe gelebt! Mir reicht es. Ich war in der Hölle, auf Sachalin, und im Paradies, das heißt auf der Insel Ceylon.“ Tschechows mit fast enzyklopädischem Anspruch 1895 publiziertes Buch „Die Insel Sachalin“ sollte die russische Gesellschaft erschüttern, noch heute prägt es die Identität der Inselbewohner.

Dr. Thomas Schmidt, Leiter der Arbeitsstelle für die Literarischen Museen in Baden-Württemberg in Marbach, ging auch auf die Rolle Badenweilers ein: Zwar habe Tschechow bis zu seinem Tod nur wenige Wochen im Kurort gelebt, doch aufgrund der zweitausendjährigen Tradition der Märtyrer besäßen Sterbeorte grundsätzliche Bedeutung für jegliches Gedenken, Badenweiler erfülle diese Aufgabe in hervorragender Weise.

Und der aus Berlin angereiste Erste Botschaftsrat und Kulturattaché der russischen Botschaft, Sergej Maguta, würdigte nicht nur die Reise, die der „Heldentat eines Entdeckers“ gleichgekommen sei, sondern auch die herausragende Bedeutung der jetzigen Ausstellung. Dank des von beiden Ländern anerkannten Genies könne dieser deutsch-russische Kulturdialog das gegenseitige Verstehen „auch bei Unwetter“ fördern.

Altbürgermeister Dr. Rudolf Bauert, der bislang als einziger Vertreter Badenweilers 1995 die Insel anlässlich des 100-jährigen Buchjubiläums besucht hat, gab mit einem Bildvortrag seine Sachalin-Impressionen von der tiefen Tschechow-Verehrung zur Sowjetzeit wieder.

Umfrage

Bargeld

Die FDP fordert Änderungen beim Bürgergeld. Unter anderem verlangt sie schärfere Sanktionen. Was halten Sie davon?

Ergebnis anzeigen
loading