Von Jürgen Scharf Basel. Der Ausnahmezustand: Parkett und Balkonplätze reichten beim AMG-Konzert mit dem Kammerorchester Basel und der Cellistin Sol Gabetta am Freitag im Großen Musiksaal des Stadtcasinos Basel nicht aus. Es musste noch auf dem Konzertpodium bestuhlt werden. Auch für den Kritiker mal eine ganz neue Perspektive und ein anderer Höreindruck, so nah bei den Musikern auf der Bühne zu sitzen, hinter Naturtrompeten und Pauke, mit direktem Blick auf den Dirigenten Giovanni Antonini. Dafür erhaschten wir von der berühmten Solistin nur ihren Rücken und die gestählten Finger der linken Hand, die man noch nie so übers Griffbrett sausen sah wie aus diesem Blickwinkel. Das Basler Kammerorchester hat bei diesem Konzert den Frühling begrüßt, der ja mit voller Macht hereinbricht. Schumann schrieb seine erste Sinfonie am Ende des Winters 1841, „in jenem Frühlingsdrang, der den Menschen wohl bis in das höchste Alter hinauf und in jedem Jahr von neuem überfällt“. Vom Komponisten selbst stammt der Beiname „Frühlingssinfonie“, doch dieses poetische Programm findet sich dann allerdings nicht mehr in den Druckausgaben. Und doch war der erste Satz als Frühlingsbeginn gedacht. Seinem Tagebuch vertraut Schumann den Freudenjauchzer an: „Juchhe! Symphonie fertig!“. Diesen Impetus des Schaffensrausches greift Antonini in seiner historischen Lesart der Sinfonie mit heftigen Akzenten auf. Die Musik bekommt bei ihm einen unwiderstehlichen Schwung, etwas Fröhliches, in der Tat eine frühlingshafte Frische. In der perfekten musikalischen Ausleuchtung, einer extrem präzisen Feinarbeit und dem plastischen Herausarbeiten der Einzelheiten (wie dem Bläserruf im Kopfsatz oder dem Posaunensatz am Ende des Larghettos) zeigt sich der Barockspezialist Antonini („Il Giardino Armonico“). Dem Hauptthema, das den Aufbruch der sprießenden Natur spiegelt, verleiht seine Sicht geradezu Flügel – und dem Frühling Züge, die man sonst von anderen Interpretationen nicht kennt. Das Finale ist dann wirklich „voller Frühling“ und bricht wie eine Apotheose aus. Mit seinem gesteigerten Sinn für Dynamik und Details versteht es dieser Dirigent, die von Schumann eindeutig mit dem Frühling in Verbindung gesetzte Lyrik sinfonisch aufzufrischen. Selbst im Fortissimo wird deutlich, dass ein Lyriker diese Sinfonie geschrieben hat. Überdies weiß Antonini die Vorzüge der Leipziger Erstfassung ins rechte Licht zu rücken. Mit dem Basler Klangkörper steht dem Mailänder ein Instrument zur Verfügung, das sensibel und klangschön reagiert. Die gegenseitige Wertschätzung zeigt sich auch darin, dass beide ein Projekt für die kommenden 19 Jahre besiegelt haben: die Aufnahmen aller 107 Haydn-Sinfonien unter Antoninis Leitung – ein bis ins Jahr 2032 reichendes Mammutunternehmen. Sol Gabetta verbindet als Solistin eine ebenso langjährige erfolgreiche Zusammenarbeit mit dem Kammerorchester und mit Antonini, mit dem sie hörbar auf einer Wellenlänge ist. Das Schumann-Cellokonzert spielt sie voller Intensität, emotional erregt und expressiv, mit ihrer bekannten energetischen Art, im melodienseligen zweiten Satz schön ausdifferenziert. Dem virtuosen Vortrag der Solistin stand eine spannungsgeladene Orchesterbegleitung zur Seite, und so wurde Schumanns Cellokonzert nie zu einem Selbstgespräch mit Orchesterstaffage. Das Publikum konnte sich gleich über zwei Zugaben freuen, vor der Pause noch über das elegische Lied „Apres un reve“ von Fauré in einer atmosphärischen Orchesterbearbeitung mit Gabetta und dem Kammerorchester.