Basel Ein Abend von seltener Intensität

Die Oberbadische
Szene aus „When the mountain changed its clothing“ Foto: zVg/Guillaume Musset Foto: Die Oberbadische

Auftakt Theaterfestival Basel: Heiner Goebbels Stück „When the mountain changed its clothing“

Von Dorothee Philipp

Basel. Wenn sich vor dir 40 weibliche Teenager in einer langen Stuhlreihe nebeneinander sitzend aufbauen, mit starrem Grinsen im Gesicht, kann die Freude an den hübschen Mädchen leicht unbehagliche Züge annehmen. Wenn diese Pose dann dauert und dauert und du merkst, wie sich das gefrorene Lächeln in Zeitlupe in einen grimmig drohenden Blick verwandelt, kommt leichter Stress hinzu. Was passiert als Nächstes? Explodiert alles in einem schrillen, markerschütternden Schrei, wie gerade zehn Minuten zuvor? Das „Chérie“ auf einem der T-Shirts beginnt wie blanker Hohn zu wirken. Eines der Bilder, die der Komponist, Regisseur und Theaterwissenschaftler Heiner Goebbels in seinem 2012 entstandenen Stück „When the mountain changed its clothing“ in das Gedächtnis der Zuschauer brennt.

Das Publikum im ausverkauften Theatersaal der Basler „Kaserne“ war fasziniert vom Auftakt des Basler Theaterfestivals am Mittwochabend. Es geht in dem genreübergreifenden Stück um existenzielle Fragen wie Altern und Tod und das Nicht-Funktionieren der Gesellschaft, um die Jahreszeiten des Lebens, die vom lichten unbekümmerten Frühling über einen dschungelgrünen Sommer in die eisigen Weiten des Winters übergehen.

Bild-Sprache-Klang-Collage

Die Perspektive der jungen Frauen steht für die der ganzen Menschheit, auch wenn man zu Beginn meinen könnte, es gehe vorrangig um pubertierende Zicken, die an „Messer und Blut“ denken. Goebbels hat für seine Bild-Sprache-Klang-Collage mit dem Vocal Theatre Carmina Slovenica einen genialen Partner für die Umsetzung gefunden. Der Chor aus 40 zehn- bis 20-jährigen Mädchen verfügt nicht nur über eine erstaunlich breite Palette an Gesangs- und Sprechtechniken, sondern auch über die Beweglichkeit, Präzision und Schnelle eines Balletts. So entstehen wunderschöne, klingende Bilder, etwa, wenn die Mädchen unter bonbonbunten Regenjacken eng zusammengekauert zu einem imaginären Wolkenbruch ein rhythmisches Sprachgewitter aus Staccato-Silben losbrechen lassen.

Das immer wiederkehrende Motiv eines Frage-Antwort-Spiels zwischen einer Einzelnen und dem Kollektiv greift in der Manier des absurden Theaters die Lebensthemen auf, die die Menschheit seit Anbeginn beschäftigen, ohne dass sie dafür befriedigend Antworten oder gar Lösungen gefunden hat. Zeitweise nimmt diese Befragung den Charakter einer gerichtlichen Vernehmung an.

Das zu Beginn zu einer Art Prozession in Zeitlupe immer wiederkehrende Ostinato „Hör mir zu - alles wird gut“ wird im Lauf der knapp anderthalb Stunden immer fraglicher. Ab und zu blitzen Fragmente von schön gesungener Volksmusik des Balkans auf, Textfetzen von „tausend Blumen schön und fein“ begleiten hektische Betriebsamkeit auf der Bühne, auf einmal haben die Darstellerinnen, die vorher im legeren Turnhallen-Outfit aufgetreten waren, bunte Kleidchen an.

Noch so ein Bild, das bleibt: Ein Mädchen holt aus einem aufgeschnittenen Teddybären die Füllung heraus, eine andere verarbeitet das Gewölle zu weißen Bäuschen, aus denen ein langer Faden kommt. Im Dialog mit den Umstehenden – im Hintergrund drehen zwei einen Bratspieß überm Lagerfeuer, das aus einer Lichterkette zusammengeknotet ist – geht es ums Geldverdienen und die Feststellung, dass man die Reichen leicht, die Armen aber nur sehr schwer loswerden kann. Auch wenn manches kryptisch blieb und somit der eigenen Interpretation überlassen, war es ein Abend der Bilder, die Dichte der einzelnen Momente, komponiert aus Bild, Ton, Geräusch und Bewegung von seltener Intensität. u  Das Basler Theaterfestival dauert noch bis zum 7. September, mehr Informationen unter www.theaterfestival.ch

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