Von Jürgen Scharf Basel. Er trinkt gern ein Glas Champagner nach den Proben in der Theaterkantine. Jetzt hat sich der spanische Starregisseur Calixto Bieito wieder etwas Prickelndes für seine aktuelle Basler Arbeit einfallen lassen: Mozarts „Cosi fan tutte“, aber in einer etwas anderen Version. Das Stück fängt bei ihm dort an, wo Mozarts Treuebruch-Oper aufhört: nach dem Partnertausch. Das markante Symbol dafür: ein Bett. Ein großes französisches Doppelbett steht auf der Bühne im Theater Basel, und bei Einlass des Publikums räkeln sich vor offenem Vorhang Körper unter den weißen Decken. Nackte Füße und Arme ragen heraus, Schultern drehen sich herum. Klamotten liegen verstreut auf der Bühne, hochhackige Pumps, nur zwei Nachttischlämpchen brennen. Zwei junge Pärchen kriechen verschlafen aus dem Bett, nach einer durchgemachten Nacht. Ernüchterung macht sich breit nach diesem Bäumchen-wechsel-dich-Spiel. Die Youngster in ihrer knappen Unterwäsche sind recht groggy, rauchen, es herrscht Katerstimmung nach dem Liebesrausch. Wow! Das könnte eine tolle Operninszenierung der „Cosi“ werden. Doch der Katalane, der gern und oft in Basel Regie geführt hat, inszeniert nicht die Handlung, sondern eine, wie er es nennt, „Geschichte über Liebe, Enttäuschung und Wunschträume“. In seinem 80-minütigen szenischen Abend nähert er sich über das Nachtleben der Hauptpersonen thematisch den Figuren an. Für dieses „kleine kammerspielartige Oratorium über die Liebe“ hat er die für ihn schönsten und stärksten musikalischen Nummern aus der Oper ausgewählt und neu angeordnet. Das tut er kühl wie ein Wissenschaftler. Er legt seine Minen aus und sieht zu, wie sie hochgehen. Zu Mozart und Da Ponte liefert er das moderne Zeitbild dazu. Bieito spürt den Fragen nach, was nach dem Sex und dem Partnertausch kommt, was sich in Beziehungen und beim Geschlechterkampf so abspielt. Und lässt dabei Mozart auf Houellebecq treffen - und die trostlosen, sarkastisch-depressiven Texte des französischen Skandalautors klingen wie ein Beleg zu Bieitos Inszenierung, die trotz aller Erotik von kalter Einsamkeit geprägt ist und ein unterkühltes Experiment bleibt. Im Zentrum steht ein desillusioniertes Paar so um die vierzig: Despina und Don Alfonso, der Strippenzieher. Diese beiden Protagonisten könnten Figuren aus Michel Houellebecqs Romanen sein, in denen es immer um die sexuelle Selbstverwirklichung, Enttäuschung und nackte Verzweiflung geht. Dazu passt, dass das Luder Despina, bei Calixto Bieito die Femme fatale im schicken blauen Kostüm, die Liebe irgendwann nur noch als Seifenblasen abtut. Aber zuerst lehnt sie noch ganz lasziv an der Wand, bevor sie mit ihren hochhackigen Absätzen über die Bühne wankt, anzüglich auffordernde Blicke ins Publikum wirft und ihre erste Arie wie eine Jazzsängerin in einem Nachtclub haucht. Die wunderbare Noëmi Nadelmann ist eine verführerische Despina, die neben ihren Femme fatale-Qualitäten mit sinnlich-leidenschaftlich eingedunkeltem Mezzotimbre auch hochwertigen Mozart-Belcanto demonstriert. Auf französisch zitiert sie die Verse von Houellebecq („Es gibt keine Liebe“) und führt auf Englisch Dialoge mit dem zynisch-brutalen Don Alfonso (machohaft im eleganten Kaschmirmantel: der Ire Andrew Murphy). Überhaupt ist das Gesangsensemble sehr homogen besetzt und im Stimmtimbre ideal aufeinander abgestimmt. Vokal schöne Momente gelingen Anna Princeva als Fiordiligi, Iurii Samoilovs Guglielmo hat einigen jugendlichen Papagallo-Charme. Solenn Lavanant-Linke als Dorabella, die sich auch mal aufreizend ins kurze Höschen greift, und Matthew Newlin als Ferrando singen ausgewogen, haben aber noch nicht das Profil und die darstellerische Reife wie die Hauptdarsteller Nadelmann und Murphy, und steuern eher nebeneinander ihre Partien bei. Nur als Schemen sichtbar sind bis kurz vor Ende der Chor des Theaters Basel und das von Ryusuke Numajiri geleitete, flexibel und mit Esprit spielende Basler Sinfonieorchester, das man hinter dem transparenten Gaze-Vorhang musikalisch etwas gedämpft wahrnimmt. Beim Schlussapplaus sehen die jungen Paare wieder sehr manierlich aus, die Herren in feinen Anzügen, die Damen in glitzernden Paillettenkleidern. Zuvor hat Despina das Bett für die nächsten Aufführungen frisch bezogen. Und die Zuschauer werden wieder zu Voyeuren. u  Nächste Aufführungen: 3., 7., 14., 16., 25., 31. Mai.