Von Jürgen Scharf Basel. „Meine Zeit wird kommen“, prophezeite einst Gustav Mahler, der letzte Groß-Sinfoniker der klassischen Moderne. Jetzt dürfte endlich auch die Zeit von Bohuslav Martinu gekommen sein, dem tschechischen Komponisten, der 1959 in Liestal starb und den der Dirigent Ernest Ansermet für den „größten Sinfoniker des 20. Jahrhunderts“ hielt. Zum 125. Geburtsjahr des Komponisten gelang den Martinu-Festtagen in Basel ein herausragender Coup. Das Eröffnungskonzert absolvierte das London Symphony Orchestra, eines der weltweit führenden Spitzenorchester, und der Musiksaal im Stadtcasino war ausverkauft – keine Selbstverständlichkeit bei einem fast reinen Martinu-Programm. Ein großes Ereignis also. Der künstlerische Leiter Robert Kolinsky war mit Recht dem Orchester für seine Offenheit dankbar. Offenbar zum ersten Mal konnte man in Basel gleich zwei Sinfonien Martinus live erleben. Der Dirigent des Abends, Tamás Hanus, war als Tscheche prädestiniert für die Musik Martinus. Hanus erweist den beiden 1943/46 in Amerika komponierten Sinfonien Nr. 2 und 5 den bestmöglichen Dienst, indem er ihre extrem große Ausdruckssphäre deutlich macht, die lichten pastoralen Momente in der zweiten Sinfonie wie die emotionalen Ausbrüche in der fünften. Gleich im Kopfsatz der Zweiten erinnert Hanus daran, dass sein Landsmann an die sinfonische Tradition Dvoráks anknüpft (da passte die Zugabe, Dvoráks Slawischer Tanz Nr.13, denn auch perfekt!). Der Beginn zeigt einen böhmischen Tonfall, das wilde Scherzo folkloristische Fröhlichkeit. Die Fünfte sodann, da ist Energieballung auf engstem Raum, teils bombastische Musik, aber auch – typisch Martinu – klagende Streicher. „Die Anfangstakte der Fünften klingen, als ob es gestern geschrieben wäre“, so der Dirigent, „als Echo für alle Leiden unserer Zeit“. Natürlich war es das Echo auf das Leid seiner Zeit, der von Martinu. Martinu hat zwar hier ein Zuhause gefunden, im Grunde genommen war er aber ein Flüchtling. Diese „aktuelle“ Musik kommt aus dem Leiden des Menschen und aus „einem heldenhaften Herzen“. Eine schöne Geste, mit der Tomás Hanus an das Publikum appellierte: „Wir brauchen diese Musik, um uns zu stützen und Kraft zu geben“. Das London Symphony Orchestra schöpfte das ganze Energiepotenzial dieser Musik, vor allem ihre rhythmische Impulsivität, in allen nur denkbaren orchestralen Valeurs in einer schlicht grandiosen Interpretation aus. Mit einer Orchesterbrillanz und einer Perfektion an allen Pulten, einem klanggesättigten, fülligen und samtigen Streichersound, glänzend disponierten Holz- und Blechbläsern, kurz: einem 1A-Orchesterklang. Plastisch und von ungeheurer Dynamik, der aber auch wunderbare Einzelmomente (Soloflöte im langsamen Satz der zweiten Sinfonie) kennt. Soviel Authentizität für Martinu war fraglos dem temperamentvollen Dirigat von Hanus zu verdanken, der zum einen die stilisierte Folklore, den „heimatlichen Zug“ in der Musik Martinus herausgearbeitet hat, neben der tschechischen Atmosphäre aber auch die Größe dieser Sinfonik mit ihren enormen Steigerungen und Ausbrüchen herausstellt. Umso mehr noch, als das Weltklasse-Orchester die künstlerische Intention des Dirigenten mit kraftvollem Impetus umsetzte und damit die atemberaubende Wirkung von Martinus Musik vor Ohren führte. Ein triumphaler Erfolg für die Londoner Gäste, den Dirigenten, die Festtage und für Bohuslav Martinu, dessen Zeit nun endlich angebrochen scheint. Weitere Informationen: www.martinu.ch