Basel Zwischen Hoffen und Traurigkeit

Die Oberbadische
Leidenschaftlicher Vorleser: der Schauspieler Peter Schröder bei der ersten „Wintergäste“-Lesung. Foto: Jürgen Scharf Foto: Die Oberbadische

Wintergäste: Dostojewski: Lesung im Basler Ackermannshof

Von Jürgen Scharf

Basel. Einen gelungenen Neustart mit viel Publikum erlebten die „Wintergäste reloaded“ im Basler Ackermannshof. Die literarische Reihe kann nach schon befürchtetem Abgesang also ihren Platz behaupten.

Symbolisch war der Einstand in der Druckereihalle, einem besonderen Ort für dieses erste Zusammentreffen, weil hier das gedruckte Wort über 500 Jahre gepflegt und buchstäblich Weltgeschichte gemacht wurde, wie die Präsidentin des neuen Wintergäste-Vereins, Maria Iselin, betonte.

Der Weiterbestand der traditionellen Reihe scheint mit den rührigen Initiantinnen unter der künstlerischen Leitung von Birgit Degenhardt (Werkraum Schöpflin) gesichert. Der erste Zyklus obliegt der Dramaturgin Marion Schmidt-Kumke, die alle szenischen Lesungen erarbeitet hat.

Zum Auftakt gab es mit Dostojewskis Novelle „Weiße Nächte“ eine der berührendsten Liebesgeschichten der Weltliteratur zu hören, die in der Jahreszeit der berühmten St. Petersburger Nächte spielt, in denen es nicht ganz dunkel wird und ein geheimnisvolles silbriges Licht die Stadt in eine mystische Atmosphäre taucht.

Es ist eine melancholische Geschichte zwischen Hoffnung und Traurigkeit, die in vier Nächten und einem Morgen spielt, in denen sich Zauber, Melancholie, Sehnsucht und Träumerei ereignen: Ein Mann begegnet nachts einem traurigen Mädchen, das verzweifelt durch die Straßen irrt. Die junge Nastenka, gerade mal 17, offenbart dem Mann ihre Sorgen. Sie hat Liebeskummer, ist bitter enttäuscht, weil sich ihr Bräutigam, in den sie unsterblich verliebt ist, nicht meldet.

Im Laufe dieser Wunder-Nächte verliebt sich der namenlose Ich-Erzähler, ein hoffnungsloser Tagträumer, heiß und innig in die zufällige Bekanntschaft. Mit diesem kurzen empfindsamen Roman hat der 27-jährige Dostojewski menschliche Verzweiflung und unerfüllte Liebe beschrieben, und so geht die Geschichte für den einsamen Protagonisten nicht gut aus. Das Ende ist herzzerreißend, tränenreich, tragisch, lässt einen unglücklichen Erzähler zurück.

Eigentlich eine romantische Liebesgeschichte, aber nicht kitschig. Die lesenswerte Erzählung eignet sich sowohl als Einstiegslektüre zu Dostojewskis großen Romanen als auch in diese literarische Themenreihe über Liebe. Wieder konnten gute Schauspieler, die man vom Basler Theater kennt, engagiert werden.

Peter Schröder – inzwischen am Schauspiel Frankfurt – liest sehr authentisch, leidenschaftlich und einfühlsam, mit innerer Beteiligung und voller Anteilnahme mit dem Schicksal der Figuren. Die Geschehnisse untermalt er gestenreich mit sprechenden Händen. Vehement steigert sich Schröder in die euphorischen Momente und großen Gefühle des von Liebe geblendeten Erzählers. Auch die Gefühlswelt von Nastenka zeichnet er wunderbar nach, spricht geziert das gute Mädchen, schluchzt mit ihr, leidet still mit, liest immer erregter zwischen Jauchzen und Weinen, teils mit erstickter Stimme.

Wie auf einer imaginären Bühne wendet sich Peter Schröder den Figuren zu, stellt die Charaktere sprachlich differenziert dar, so dass der Zuhörer gebannt ist und meint, der Vorlesende erlebe gerade alles in diesem Augenblick selber. Fesselnd, wie dieser Sprecher die Liebesnöte emotional rüber bringt bis hin zur dramatischen Entsagung: „Mein Gott, dass es so enden würde!“ Man verlässt die Lesung ganz ergriffen.

Weitere Informationen: Nächste „Wintergäste“-Lesung: Sonntag, 10. Januar, 11 Uhr, im Werkraum Schöpflin in Lörrach-Brombach und 16.30 Uhr in der Druckereihalle des Ackermannshofs in Basel: „Die Wiedervereinigung der beiden Koreas“ von Joël Pommerat. Es lesen Angela Buddecke, Emilia Haag, Christian Heller, Chantal Le Moign, Sibylle Mumenthaler, Stefan Saborowski und Doris Wolters.

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