Binzen Gesangverein, Leseverein und Kindergarten entstehen

Weiler Zeitung
Der Schnaufer-Brunnen wurde von Bürgermeister Georg Friedrich Schnaufer gestiftet. Repro: zVg Foto: Weiler Zeitung

Ortsgeschichte Teil IV: Binzener Geschichte in zehn Teilen / Eine Bürgergesellschaft entwickelt sich / Revolution wird abgelehnt  

Von Hubert Bernnat

Binzen. Eine Zeit von fast 200 Jahren aufeinanderfolgenden Kriegen war 1815 mit dem Wiener Kongress zu Ende gegangen. Binzen hatte mittlerweile rund 700 Einwohner, und die ersten Anfänge von Fabrikarbeit hatten begonnen. Seit 1806 gehörte das Dorf dem durch Napoleons Wirken neu geschaffenen Großherzogtum Baden an.

1818 ließ Großherzog Karl eine für die damalige Zeit vorbildliche Verfassung schaffen. Doch litt das Land darunter, dass die staatlichen Haushalte nach den vielen Kriegen zerrüttet und viele Menschen verarmt waren. Erwartungen weckte, dass die Regierung angekündigt hatte, alle noch bestehenden Abgaben und Dienste an die Grundherren abzuschaffen.

So ist es als mutiges und hoffnungsvolles Zeichen zu werten, dass die Binzener beschlossen, nun endlich ihre längst baufällige Kirche abzureißen und neu zu bauen. 1824 war die neue Kirche fertig, nur den Turm hatte man weitgehend belassen. Sie wurde im Stil des bedeutenden großherzoglichen Baumeisters Weinbrenner errichtet. Die Ausrichtung der Kirche wurde um 180 Grad mit dem Chor nach Westen gedreht, ein großer Innenraum sollte für 700 bis 800 Gläubige aus Binzen und Rümmingen Platz bieten.

1825 wurde zudem der Binzener Vogt und Küfermeister Karl Sulzer in den badischen Landtag gewählt. Er sollte der einzige Abgeordnete eines Landes- oder nationalen Parlaments bleiben, der aus Binzen stammte.

Die Gemeindereform des Jahres 1831 stärkte die Selbstverwaltung der Gemeinden. Und mit dem Jahr 1833 begann tatsächlich die Ablösung aller feudaler Verpflichtungen, allerdings gegen Entschädigung der adligen Grundherren und der Kirche, so dass sich der Prozess bis 1865 hinzog.

Zeichen einer sich entwickelnden Bürgergesellschaft war die Gründung von Vereinen. Schon für 1842 ist in Binzen ein Gesangverein nachzuweisen. Seine Tradition wird durch den Männergesangverein Eintracht Binzen bis heute fortgesetzt.

Erstaunlich ist, dass in Binzen 1847 ein Leseverein existiert hat. Es wurden Bücher besprochen, vorgelesen oder Zeitschriften bestellt, die dann unter den Mitgliedern reihum verteilt wurden.

Während es im Markgräflerland schon etliche Gesangvereine gab, sind Lesevereine bisher nur in Müllheim und Brombach nachgewiesen. Sie hatten häufig eine demokratische Tendenz und ihre Initiatoren beteiligten sich aktiv an der Revolution 1848/49.

Binzen war nicht wohlhabend, man konnte aber ein bescheidenes Auskommen haben. Es gab wenige größere Bauern, viele kleinere und mittlere Höfe, Handwerker und einige Arbeiter. Zu den wohlhabenderen gehörten die drei Mühlenbesitzer und die Wirte von „Ochsen“ und „Schwanen“. Aus diesem Kreis stammten Bürgermeister und Gemeinderäte.

Doch es hat in Binzen auch Armut gegeben. 1846/47 wurden aus dem Almosenfonds für arme Konfirmanden Frack und Hose beschafft. Zudem nahmen im Hungerjahr 1847 wohlhabendere Bürger arme Kinder in Kost und eine Suppenküche wurde eingerichtet.

Obwohl Baden reichlich fortschrittlich aufgestellt war im Vergleich zu den meisten Mitgliedern des deutschen Bundes, vor allem Preußen, wuchs die Unzufriedenheit. Dies hatte mit der Nähe zur Schweiz und Frankreich zu tun, wo freiheitliche Traditionen noch ausgeprägter waren, und mit einem gestiegenen Selbstbewusstsein der Bürger. Vor allem reagierte man sensibler auf die Einschränkung von Freiheiten, vor allem in der Presse und in der Selbstverwaltung der Gemeinden. Als dies nach 1833 geschah, verstärkte sich der Widerstand. Das großherzogliche Beamtentum galt zudem als selbstherrlich und wurde nicht als Dienstleister der Bürger wahrgenommen.

In ländlichen Gemeinden waren häufig Wirte, Bürgermeister, Gemeinderäte, Lehrer und Pfarrer Träger revolutionärer Ideen. In Binzen, und das gilt für das ganze Kandertal, verhielten sich die Dorfhonoratioren dagegen sehr staatstragend und großherzoglich. Der Ort wurde nach der Revolution 1850 vom Bezirksamt dafür gelobt, dass sich die Bürger durch „gesetzliches Verhalten vorteilhaft ausgezeichnet und sich nur wenige an den aufrührerischen Unternehmen beteiligt“ hätten.

Dies gilt vor allem für Bürgermeister Georg Friedrich Schnaufer, der Ochsenwirt war und von dem der Schnaufer-Brunnen gestiftet wurde. Biographisch interessant ist, dass Schnaufer der Cousin des glühenden Rümminger Freiheitsdichters Ludwig Friedrich Schnaufer war.

Noch mehr gilt diese loyale Haltung allerdings für Pfarrer Frommel, dessen Name Programm war. Er gehörte der neu entstanden pietistischen Erweckungsbewegung innerhalb der evangelischen Landeskirche an. Diese grenzte sich deutlich von der Mehrheit der liberalen Pfarrer ab, von denen etliche der Revolution zuneigten. Er kam 1841 nach Binzen, in ihm ist wohl auch der Initiator des Lesevereins zu sehen, in dem auch Bürgermeister Schnaufer und Hauptlehrer Gerhard Mitglied waren.

Unter ihm entstand ein Kern von Gläubigen, die zu den Gemeinschaften des Augsburger Bekenntnisses gehörten und ab 1849 auch Verbindung zur Basler Chrischona-Gemeinde hatten. Von dieser AB-Gemeinschaft, die bis 2000 ein eigenes Versammlungsgebäude am Seilerweg in Binzen hatte und die auch 1844 den ersten Kindergarten hier gründeten, gibt es bis heute Verbindungen über den CVJM. Frommel war damit nicht einfach nur ein Revolutionsgegner, sondern er war ein sehr engagierter, sozial denkender und in seinem Glauben authentischer Pfarrer.

So haben weder die vorrevolutionären Ereignisse, noch der Hecker-Zug im April und der Struve-Putsch im September 1848 in Binzen eine Rolle gespielt. Tragisch ist allerdings, dass durch einen Schuss des Binzener Wanner auf die Regierungstruppen beim Gefecht in Staufen nicht nur seine, sondern auch die standrechtliche Erschießung der eigentlich unbeteiligten fünf Weiler Musikanten ausgelöst wurde. Mit dem 30-jährigen Johann Moser fiel zudem ein weiterer Binzener in Staufen.

Aufregend wurde es aber während des dritten Aufstands in Baden im Jahr 1849, als versucht wurde die von der Paulskirche geschaffene moderne Verfassung zu verteidigen. Als Revolutionsgegner unter Führung des Kanderner Altbürgermeisters Schanzlin sich in Binzen treffen wollten, wurden sie von Freischärlern gefangen genommen.

Doch dies war nur eine Episode, denn die Revolution scheiterte endgültig durch den vehementen Einsatz preußischer und württembergischer Truppen. Der Großherzog konnte im September 1849 wieder in seine Karlsruher Residenz zurückkehren.

An einer dafür veranlassten Feier nahmen vier Vertreter aus dem Amtsbezirk Lörrach teil. Unter ihnen war auch Binzens Bürgermeister Schnaufer, die dem Großherzog eine Solidaritätserklärung brachten, worin sie „die treue Anhänglichkeit der Markgräfler an ihr angestammtes Fürstenhaus auf das Entschiedenste aussprachen“.

Trotz des loyalen Binzener Verhaltens wurden auch hier nach der gescheiterten Revolution die beiden Vereine verboten und man hatte unter der preußischen Besatzung zu leiden. Der Männergesangverein konnte 1852 wieder gegründet werden, der Leseverein 1862. Der Leseverein, der von den örtlichen Lehrern und Pfarrern getragen wurde, ging 1939 unter dem Druck der nationalsozialistischen Diktatur ein.

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