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Grenzach-Wyhlen „Reden wir doch über die Zukunft“

Die Oberbadische
Mit großem Interesse folgten Bürgermeister Dr. Tobias Benz und seine Stellvertreterin Ulrike Ebi-Kuhn (r.) den Ausführungen Günther Steins. Begleitet wurde dieser unter anderem von seiner Gattin Viorica. Foto: Tim Nagengast Foto: Die Oberbadische

Günther Stein, 1937 aus Grenzach geflohener Jude, besuchte gestern seine alte Heimatgemeinde

Von Tim Nagengast

Grenzach-Wyhlen. Im Jahre 1937 verließ der junge Jude Günther Stein seine Heimatgemeinde Grenzach, um der drohenden Deportation zu entgehen. Gestern wurde der knapp 93-Jährige in Begleitung seiner Ehefrau Viorica von Bürgermeister Dr. Tobias Benz und einigen Ratsmitgliedern im Grenzacher Rathaus empfangen.

Die Heimat – und das ist für Stein wohl immer noch Deutschland – hat ihn nie losgelassen. Das hört man immer wieder heraus, wenn Stein aus seinem bewegten Leben erzählt. Nicht umsonst hat sich der seit seiner Flucht vor 78 Jahren in Tel Aviv lebende Mann später noch ein Haus in Kirchzarten bei Freiburg gekauft. Er lebt mal hier, mal dort – mal in Israel, mal in Deutschland. Denn immer wieder zieht es ihn hierher zurück. „Der schönste Platz auf der Welt ist für meinen Mann der Schwarzwald – das betont er immer wieder“, bekräftigt seine Ehefrau Viorica. Und Günther Stein nickt.

Die Krawatte sauber gebunden, das Hemd geglättet, der Kragen sitzt, das weiße Haar ist akkurat frisiert. Man sieht Günther Stein seine bald 93 Lebensjahre wirklich nicht an. Und auch nicht das, was in ihm vorgegangen sein muss, als er – gerade 15 Jahre alt – mit seiner Familie die Heimat verließ. Seine Heimat. Sein Grenzach.

Hier kannte er alle. Und hier kannten sie ihn, den hoffnungsvollen Nachwuchskicker des FC Grenzach, der in Lörrach das Hebel-Gymnasium besuchte. In Grenzach hatte der junge Günther seine Freunde und Spielkameraden. Sie waren wie er: Sie kickten gerne und sprachen alemannisch. Eben so wie Günther.

Mit Walter Schilling, dem Sohn der Nachbarn, war Stein gut befreundet. Doch eines abends kam Walter nicht vorbei, um sich mit Günther zu treffen. Vielmehr ließ ihn sein Vater, Polizeiobermeister Helmut Schilling (Stein: „Der war ein frommer Katholik.“), ausrichten, dass die Gestapo am kommenden Morgen Vater Leopold Stein verhaften wolle. Dieser stand auf – und saß eine Stunde später im Zug nach Basel. Er war damit in Sicherheit. Und Schilling hatte Kopf und Kragen riskiert.

Die Vertreter der Geheimen Staatspolizei erfuhren dann am Folgetag, als sie vor Steins Haus standen, dass Vater Leopold „gerade auf Reisen“ sei – und zogen ab.

Günther Stein, seine Mutter und sein Bruder setzten sich nach nur wenigen Tagen ebenfalls in den Zug nach Basel. Mithilfe der dortigen jüdischen Gemeinde, die Fahrkarten bezahlte und „Kapitalistenzertifikate“ besorgte, schaffte es Familie Stein via Triest nach Palästina, wo man sich eine neue Existenz aufbaute. Weitere Mitglieder der Familie – Onkel, Tante, Großvater – hatten weniger Glück: Sie starben in Gurs und Auschwitz.

Die Reise der Familie ins „Gelobte Land“ war, wie Stein, augenzwinkernd erzählt, „kein Picknick“. Auf ihn wartete bald schwere körperliche Arbeit in einem Kibbuz.

Steins fühlten sich deutsch, waren sehr patriotisch gesinnt. Genau deshalb hatte Günther Steins Großvater Salomon Bloch nach dem Ersten Weltkrieg die Stadt St. Ludwig (heute Saint Louis) verlassen müssen. Im wieder französisch gewordenen Elsass waren deutsche Patrioten nicht wohl gelitten. Und Blochs hatten nach jedem deutschen Sieg die deutsche Fahne gehisst.

Auch Günther Stein dachte noch zu Beginn des Dritten Reichs, „dass ich Arier bin, aber jüdischen Glaubens“. Auch, weil die Familie ihr Judentum eigentlich gar nicht im bekannten Sinne praktizierte.

„In Grenzach hat es eigentlich nur sehr wenige richtige Nazis gegeben“, sagt Günther Stein heute. Überhaupt ist ihm der stetige Blick zurück eigentlich gar nicht wichtig. „Reden wir doch lieber über die Zukunft“, sagt Stein beim Empfang gestern Vormittag im Grenzacher Rathaus. Das Zurückliegende ist das Seine nicht. Er schaue lieber nach vorne, bekräftigt er mehrfach. Überhaupt: Aus seinen Worten ist Optimismus herauszuhören, auch Tatkraft und Schaffensfreude. „Ich stecke nicht so schnell ein. Ich wehre mich – und ‘Das geht nicht’ kenne ich nicht“, sagt er gut gelaunt und nachdrücklich.

Dass Günther Steins Leben nun verfilmt wurde (wir berichteten, siehe Kurzinfo), hat er selbst nicht forciert, „aber jetzt freue ich mich auf den Film“. Und betont: „Ich möchte nichts Besonderes sein. Ich suche keine Ehre.“

Als Bürgermeister Dr. Tobias Benz zum Ende seiner Begrüßungsrede ihn um Verzeihung bittet, „für das, was Ihnen und Ihrer Familie zugefügt wurde“, winkt Günther Stein ab. „Niemand ist dafür verantwortlich, was ein anderer getan hat – ich halte niemandem etwas vor“, betont der 93-Jährige. Doch freut er sich sichtlich über das Ortswappen und die zwei Flaschen „Roten“ vom Hornfelsen, die der Rathauschef ihm als Gastgeschenk überreicht. Auch ein Buch über Grenzach-Wyhlen nimmt Stein dankend aus der Hand von Helmut Bauckner vom Heimat- und Geschichtsverein entgegen.

Die vielen Dankesworte, die gesprochen werden, nimmt Stein ruhig zur Kenntnis. „Sie brauchen mir nicht zu danken. Vielmehr bedanke ich mich, dass Sie mich eingeladen haben“, sagt er in die Runde, nippt am Kaffee und am Glas Wasser.

Gastfreundschaft ist ihm sehr wichtig. Gleich mehrfach wird er an diesem Vormittag eine Einladung nach Israel aussprechen. „Wer mich besuchen möchte, darf mich kontaktieren und ist dann mein Gast. Ich habe ein schönes Haus, und Kost und Logis sind frei. Ein prima Fremdenführer bin ich übrigens auch – ich kenne mich sehr gut aus in Israel“, schmunzelt Stein.

Wer dem Gespräch als Zuhörer folgt, neigt dazu, sich zu entspannen. Obwohl es keine erbaulichen Dinge sind, die Stein aus seiner Jugend berichtet. Aber die Art, wie er erzählt, wie an entscheidenden Stellen ein feiner Humor, gepaart mit Optimismus, durchbricht, zwingt fast zum Schmunzeln. „Ich hab halt eine große Gosch“, sagt Stein. Und auf die mehr rhetorische Frage hin, ob er denn nach 78 Jahren noch Alemannisch könne, kommt geschwind ein „Besser wie manche, die hier leben“ aus seinem Mund. Die Stimmung am Tisch im Grenzacher Rathaus bleibt gelöst und locker.

Wie war es denn für den jungen Fußballer damals in den mittleren 30er Jahren? Günther Stein muss nicht lange nachdenken. Ehe er aufgrund seiner „Rassenzugehörigkeit“ anno 1936 das Lörracher Gymnasium verlassen musste, spielte er begeistert in der Schulmannschaft mit. „Einmal haben wir gegen die Gewerbeschule gespielt. Als dann hinterher herauskam, dass ein Jude – also ich – mitgespielt hatte, musste das Spiel wiederholt werden – aber dann haben sie verloren“, erinnert sich Stein verschmitzt.

Er möchte lieber nach vorne blicken, „denn man kann die Vergangenheit nicht ändern, sondern nur aus ihr lernen. Reden wir doch über die Zukunft“.

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