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Kandern Schock über Unfall wirkt einfach nach

Markus Adler und Gudrun Gehr
Der Maiwagen war am Ortseingang umgekippt. Foto:  

Einen Tag nach dem Maiwagen-Unfall in Kandern werden die Vorgänge aufgearbeitet: Die Polizei befragt Zeugen, die Einsatzleitungen bei Feuerwehr und Rettungsdienst analyisieren die Bewältigung der Lage, aber der gefährliche Brauch der Maiausflüge mit ungeeigneten Fahrzeugen bleibt als Thema erhalten.

„Ich bin jetzt seit sieben Jahren bei der Pressestelle und 20 Jahre bei der Polizei. An einen solchen Unfall in Südbaden kann ich mich in dieser Zeit nicht erinnern“, sagte Polizeipressesprecher Thomas Spisla.

Die Polizei war am Donnerstag beschäftigt, die Zeugen des Geschehens zu befragen, um zu klären, wie es genau zum Unfall kommen konnte. „Diese Befragung wird Monate dauern“, sagte Spisla auf Anfrage unserer Zeitung. „Es ist einfach ein sehr großer Personenkreis zu vernehmen“, betonte er.

An der abknickenden Vorfahrtsstraße bog das langsam fahrende landwirtschaftliche Gespann aus Richtung Malsburg-Marzell nach links in die Kanderner Waldeckstraße ein. Aufgrund des dortigen Quergefälles von neun Prozent nach rechts sowie der Beladung und Besetzung des Anhängers mit etwa 40 Personen kippte dieser nach rechts um, berichtet die Polizei. Von den Insassen verletzten sich 29 Personen, zehn davon schwer. Lebensgefahr kann weiterhin ausgeschlossen werden. Nach den Ermittlungen der Polizei befand sich der Traktor und der für den Personentransport nicht zugelassene Anhänger in einem technisch einwandfreien Zustand.

Polizei verweist auf gefährliche Bräuche

Der als Maiwagen benutzte Anhänger hatte nach Mitteilung der Polizei keine Zulassung. Ferner müsse nun geprüft werden, ob Versicherungsschutz für den Anhänger bestanden habe. „Ein solches Gefährt ist aus nahe liegenden Gründen nicht zum Personentransport zugelassen“, erläutert Spisla.

Allenfalls auf einem Privatgelände oder auf einem abgesperrten Gelände seien solche Sonderfahrten nach besonderer Genehmigung der Straßenverkehrsbehörde denkbar. „Auf keinen Fall kann ich mit einem solchen Fahrzeug am öffentlichen Straßenverkehr teilnehmen.“ Es habe sich um eine private Freundesgruppe von überwiegend jungen Leuten zwischen 20 und 30 Jahren gehandelt, berichtet die Polizei.

Der Ablauf des Unfalls zeigt auf, was das Problem bei einem solchen Anhänger ist. Wenn sich zu viele Menschen darauf befinden und sich dazu eventuell auch noch bewegen, was nach Zeugenberichten der Fall gewesen sein soll, kann sich in einer Kurve oder an einer abschüssigen Stelle der Schwerpunkt so stark und schnell verlagern, dass der Anhänger als Folge umkippt.

Kopfverletzungen, Brüche und Prellungen als Folgen

Das Problem für die „Fahrgäste“ auf dem Hänger ist, dass sie bei einem Sturz selbst bei geringer Geschwindigkeit so gut wie keine Chance haben, sich zu schützen. „Wir hatten bei den Verletzungsmustern Kopfverletzungen, Brüche und Prellungen“, sagt Einsatzleiter Simon Redling vom DRK-Kreisverband Lörrach. Sein erster Gedanke sei aber gewesen: „Wir können von Glück sagen, dass niemand unter dem umgestürzten Anhänger zum Liegen gekommen ist.“

Die Verletzungsmuster waren nicht so schwer, dass Lebensgefahr bestand, aber bei mehrfachen Frakturen oder einem Schädel-Hirn-Trauma sind vor Ort auch nicht alle organischen Folgen ohne optische Diagnoseverfahren wie CT oder Röntgen zu erkennen. „Wir hatten immerhin zehn Schwerverletzte“, betont Polizeisprecher Spisla. „Die Folgen dieses Unfalls sind für uns gravierend.“

Der 22-jährige Fahrer war nicht alkoholisiert. Gegen ihn wird nun wegen fahrlässiger Körperverletzung ermittelt – ob dies Auswirkungen auf seine Fahrerlaubnis habe, entscheide die Staatsanwaltschaft nach dem Ergebnis der Ermittlungen, sagte Polizeisprecher Spisla.

Ehrenamtliche Helfer eilen als Ergänzung herbei

Die erste Alarmierung erfolgte gegen 13.06 Uhr, die Rede war von vier Verletzten. Die Integrierte Leitstelle Lörrach schickt in solchen Fällen die hauptamtlich verfügbaren Kräfte los – in diesem Fall drei Rettungswägen und zwei Notarzteinsatzfahrzeuge. In den folgenden Meldungen stieg die Zahl der Verletzten rasch an – zuerst auf zehn, dann auf 30 bis 40.

„Wir haben in solchen Fällen Kräfte aus dem ehrenamtlichen Bereich, auf die wir zurückgreifen können“, erläutert Redling. Insgesamt sechs Fahrzeuge aus dem gesamten Landkreis Lörrach wurden nachalarmiert – bis aus Schopfheim wurden Helfer herangezogen. Ebenfalls im Einsatz sind sogenannte Kriseninterventionskräfte, die sich um Angehörige oder um seelischen Beistand von Betroffenen bemühen, die die das Geschehen verarbeiten müssen. „Wir haben solche Einsatzlagen im Schnitt etwa einmal pro Jahr – bislang aber vor allem im Zusammenhang mit Bränden und nicht mit einer so großen Zahl von Verletzten“, sagt Redling. Ein Team aus erfahrenen Notfallmedizinern und Rettungsdienstpersonal übernimmt nach einer ersten Phase an der Unfallstelle die Eingruppierung der Verletzten in drei Schweregarde – eine sogenannte Triage. Danach kümmert sich jeweils ein Team um die Erstversorgung eines Schwerverletzten am Verbandsplatz, stabilisiert ihn für den Transport und sorgt dafür, dass der Patient per Rettungswagen oder auch bei Dringlichkeit per Hubschrauber in eine geeignete Klinik kommt.

Ehrenamtliche Einsatzkräfte unterstützten den Rettungsdienst. Foto: Gehr

Hilfe aus der Schweiz wäre als Option möglich gewesen

„Die Leitstelle fragt in solchen Fällen vorsorglich die Kapazitäten der Kliniken im gesamten Umkreis ab und verteilt die Patienten dann entsprechend“, sagt Redling. Im vorliegenden Fall wurden die Patienten teilweise bis in drei Freiburger Kliniken, nach Müllheim und Lörrach verteilt. Wären es mehr Verletzte gewesen, hätte auch die Option mit der Schweiz bestanden – sowohl was die Bereitstellung zusätzlicher Hilfskräfte als auch was die klinische Versorgung von Patienten anbetraf. Er lobt ausdrücklich die gute Zusammenarbeit mit den Eidgenossen. Auch eine Zusammenarbeit mit Frankreich sei möglich – neben anderen Strukturen käme aber auch die Sprachbarriere als zusätzliches Hindernis hinzu.

„Von unserer Seite waren etwa 65 Einsatzkräfte vor Ort, davon waren 45 bis 50 aus dem ehrenamtlichen Bereich“, berichtet Redling. Die Zusammenarbeit mit „First Respondern“ von der Feuerwehr Kandern habe gut funktioniert. „Aber bei solchen Einsätzen gibt es hinterher immer neue Erkenntnisse, was es noch zu verbessern gilt“, sagt Redling. Im vorliegenden Fall dauerte der Einsatz bis zum Transport des letzten Patienten genau 2:45 Stunden.

Kanderns Bürgermeisterin Simone Penner war am Mittwochnachmittag selbst zur Einsatzstelle gefahren und sagte beim Rückblick auf den Unfall im Telefonat: „Natürlich war es enorm, welche Kreise der Unfall gezogen hat. Allerdings war es ein außergewöhnlich heftiges Unfallereignis“. Sie wünscht den verletzten Personen eine baldige und gute Genesung und auch für deren Angehörige viel Kraft.

Gleichfalls sprach sie von der großen Ratlosigkeit und Betroffenheit der Beteiligten. Sie sagte: „Warum muss erst sowas passieren, um hier etwas sensibler zu werden?“. Die Fahrt mit diesen Gespannen sei wohl nicht zulässig und werfe einen Schatten auf fröhliche Maifeiern.

Stolz auf die Leistung der Kanderner Feuerwehr

Besonders dankbar und stolz war sie auf die Brandschützer der Feuerwehr Kandern mit dem neuen Gesamtkommandanten Matthias Meisinger, die in Minutenschnelle bei diesem herausfordernden Einsatz vor Ort waren. Ihr Dank galt auch der Firma Arnold, die unkompliziert und zügig ihre Werkstatträume für den Einsatz der Rettungskräfte zur Verfügung stellte.

Einige Stimmen von Personen, die das Unfallfahrzeug sahen, sprachen von großem Leichtsinn, sich so in Gefahr zu begeben. Ein Kanderner sagte: „Für die jungen Leute oben auf dem Anhänger war dies wohl als Gruppenerlebnis ein großer Spaß.“ Das Problembewusstsein fehlt ganz offensichtlich nicht nur in Kandern, denn in der ganzen Region waren solche „landwirtschaftlichen Gespanne“ mit teilweise alkoholisierten Gästen unterwegs. Nicht nur im Kandertal wurden viele andere ähnlich leichstinnige „Maitransporte“ beobachtet, die teilweise auch noch mit lautstarker Musik unterwegs waren. Der Unfall mit dem Maiwagen bescherte Kandern darüber hinaus jede Menge medialen Aufmerksamkeit – inklusive eine dreimütigen Live-Schalte in der 18-Uhr-Tagesschau.

Neuer Kommandant besteht die Feuertaufe

Matthias Meisinger ist als neu ernannter Feuerwehrkommandant offiziell genau seit sechs Tagen im Dienst und bestand seine erste „Feuertaufe“ mit Bravour – nicht nur in der medialen Aufbereitung im zweifachen Fernsehinterview. Im Telefonat mit unserer Zeitung erklärte er: „Feuertaufe ja, aber ohne Feuer“. Wichtig sei, das erlernte Führungskönnen routiniert anzuwenden und den Situationen anzupassen – und mit den vorhandenen Mitteln das Beste für die Betroffenen zu erreichen.

Im ersten Einsatzfahrzeug der Kanderner Feuerwehr saßen glücklicherweise insgesamt fünf „First Responder“ als Spezialisten, die halfen, die Zeit bis zum Eintreffen der weiteren Rettungskräfte basismedizinisch abzudecken. Die eingesetzten 16 Feuerwehrleute der Kanderner Wehr hatten am Abend nach dem Einsatz Gelegenheit, nochmals gemeinsam das Erlebte durchzusprechen. Matthias Meisinger sagte: „Wir haben es alle gut überstanden.“

Etwaige Zeugen können sich weiterhin beim Verkehrsdienst des Polizeireviers Weil am Rhein unter Tel. 07621/98 00 00 melden.

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