Kandern Vom Flüchtling zum Unternehmer

Weiler Zeitung

Angekommen: Skender Ramaj aus dem Kosovo: „Jetzt weiß ich, dass ich in Kandern akzeptiert bin“

Von Kaja Wohlschlegel

Skender Ramaj hatte gerade sein Diplom als Krankenpfleger erhalten, als der damals 19-Jährige vor seinen Mitbürgern im Dorf bei Prizren eine flammende Rede hielt. Öffentlich beklagte er, dass die jungen Menschen im Kosovo ihrer Jugend beraubt und in den Krieg gegen Serbien eingezogen werden.

Kandern. Ramaj hatte Pläne: Arzt wollte er werden und vor allem eines nicht: weg von Zuhause. Er war das jüngste von acht Kindern. Der Vater starb, als Skender sechs Monate alt war. Die Mutter zog die Kinder alleine groß, schuftete Tag und Nacht, damit sie ihnen eine gute Ausbildung und überhaupt eine Zukunft bieten konnte.

Doch Ramajs Rede auf dem Marktplatz blieb nicht ohne Folgen; am nächsten Morgen stand die Polizei vor dem Haus. „Da musste ich aus dem Kosovo abhauen“, erzählt er. 5000 Mark kostete die Flucht. Allein der Schlepper, der ihn bei Nacht und Nebel in einem Schlauchboot von Albanien nach Italien übersetzte, nahm ihm 3000 Mark ab.

Drei Wochen war Skender Ramaj unterwegs, bis er ohne Pass und nur mit den Kleidern, die er am Leib trug, in einem Auffanglager in Karlsruhe ankam, bevor er nach Rastatt „transferiert“ wurde. In dieser ehemaligen Kaserne lernte er auch gleich typisch deutsche Gewohnheiten kennen: der ganze Tagesablauf war durchstrukturiert, die Essenszeiten fix und die Termine getaktet. „Ich war auf einmal in einer anderen Welt“, blickt Ramaj zurück. Im Kosovo lebte die Familie in ärmlichen Verhältnissen, zwar hatte sie ein eigenes Haus, aber kein Geld. Und gelebt wurde von dem, was im Garten gedieh. Doch hatten die Kinder vor allem eines: ihre Freiheit.

Heute könne er im Kosovo nicht mehr leben, sagt der Vater zweier Kinder: „Ich komme mit der Mentalität nicht mehr klar“, meint er grinsend. Denn ihn nerve schon, wenn jemand unentschuldigt zu einem Termin fünf Minuten zu spät komme.

Arbeiten durfte er während der Zeit im Flüchtlingslager nicht. Doch nutzte Ramaj seine Zeit und lernte Deutsch. „Wer eigenständig leben will, muss die Sprache beherrschen“, sagt er. Heute spricht er sogar Alemannisch – fast ohne Akzent.

Während die Flüchtlinge heute mit dem Smartphone Kontakt zu ihrer Familie in der Heimat halten, musste Ramajs besorgte Mutter oft wochenlang auf ein Lebenszeichen ihres Jüngsten warten: „In unserem Dorf gab es kein Telefon“, erzählt er. Alle paar Wochen besuchte die Mama eine befreundete Familie in der 180 000 Einwohner-Stadt Prizren, die bereits einen Anschluss hatte. Ungeduldig hockte man zusammen auf dem Sofa, bis endlich zur vereinbarten Zeit das Telefon klingelte.

In Bad Krozingen, Ramajs nächster Station, lernte er den Architekten Richard Stoll kennen, der ihn als „Ziehsohn“ in jeder Lebenslage unterstützte und sich insbesondere dafür einsetzte, dass Ramaj eine Arbeitserlaubnis erhielt. Anfangs jobbte er auf dem Bau, später, als er sich besser verständigen konnte, erhielt durch Unterstützung des Sitzenkircher Ortsvorstehers Ernst-Peter Scherer eine Stelle als Pflegehelfer im Luise-Klaiber-Haus in Kandern. Nach acht Jahren wechselte Ramaj, der inzwischen sein Diplom zum examinierten Altenpfleger abgelegt hatte, in das private Pflegeheim „Kanderner Hof“. Über seinen damaligen Chef, Harald Preinl, lernte er eine Menge Leute kennen. „Diese Kontakte ebneten mir später den Weg in die Selbstständigkeit“, erzählt Ramaj dankbar.

Seine Frau Kimete erklärte ihn für verrückt, als er ihr eines Tages eröffnet hatte, dass er sich zukünftig als Gärtner ein paar Euros hinzuverdienen werde. Ein Golf II, eine Rebschere und ein Meter waren seine Ausrüstung, als er bei der Stadt Kandern sein Gewerbe angemeldet hat. Der Beruf als Altenpfleger sicherte ihm den Lebensunterhalt. Nach Feierabend, an den Wochenenden und natürlich jeden Urlaubstag schuftete er in den Gärten seines immer größer werdenden Kundenkreises, schnitt die Bäume, setzte Stauden, verlegte Pflastersteine.

Und heute? „Jetzt habe ich einen großen Lastwagen mit Winde, kleinere Fahrzeuge, zwei Bagger und sechs Mitarbeiter“, erzählt Ramaj dankbar, aber zu Recht nicht ohne Stolz und fügt gleich hinzu: „Wer in Deutschland fleißig und ehrgeizig ist, der bringt’s auch zu etwas“.

Als Ramaj in Sitzenkirch ein altes Haus kaufte, da spürte er die Skepsis in der Nachbarschaft: „Wie kann sich ein ehemaliger Flüchtling ein Haus leisten?“ Mittlerweile lassen sich die Gärten im Dorf, in denen er noch nicht zugange war, bald an einer Hand abzählen, berichtet Ramaj lächelnd.

Er baut gerade ein Doppelhaus – in Eigenleistung, natürlich. Eine Hälfte für den Bruder, die andere für sich und seine Familie. „Ich arbeite Tag und Nacht, weil ich meinen beiden Kindern dasselbe bieten will, was ein deutsches Kind auch hat“, sagt er, „ein eigenes Zimmer oder einen Laptop“. Ihm sei wichtig, dass der zwölfjährige Albion und die zehnjährige Gerta aus den guten Voraussetzungen etwas machen. Am liebsten sähe er es, wenn die beiden einmal studierten.

Vor etwa drei Jahren setzte Ramaj alles auf eine Karte. Er kündigte den Beruf als Altenpfleger, um sich ganz dem Gartenbau zu verschreiben. Heute, sagt er, habe er so viel Arbeit, dass er auch seine Frau anstellen könnte. Aber Kimete Ramaj arbeitet in Kandern in der Apotheke, „…und das ist gut so: ich möchte, dass sie auf eigenen Beinen steht“, sagt ihr Mann.

Kürzlich fragte ihn ein Bekannter, ob er bereit wäre, bei einem Treffen von Flüchtlingen und Ehrenamtlichen seine Geschichte zu erzählen, „vom Flüchtling zum Unternehmer“ sozusagen. Für Skender Ramaj war das eine Bestätigung, er sagt: „In dem Moment wusste ich, dass ich in Kandern integriert und akzeptiert bin“.

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