2007 wurde die AOK Hochrhein-Bodensee aus der Taufe gehoben. Seitdem ist Dietmar Wieland deren Geschäftsführer. Bevor der 63-Jährige morgen feierlich in den Ruhestand verabschiedet wird, blickt das AOK-Urgestein im Gespräch mit unserer Zeitung auf die vergangenen Entwicklungen und die aktuellen Herausforderungen. In der Bundesliga dominieren die Bayern aus München, in der Region Hochrhein-Bodensee ist bei den Krankenkassen die AOK der Klassenprimus. Welche Herausforderungen brachte das in den vergangenen Jahren für Sie mit sich" Weil wir den Kunden in den Mittelpunkt unseres Handelns stellen, bedeutet ein Mehr an Versicherten immer auch ein Mehr an personellen Ressourcen. Und Fachkräfte zu bekommen, ist in unserer Region bekanntlich sehr schwierig. Deshalb bilden wir seit Jahren über unseren eigentlichen Bedarf hinaus aus und konnten, dank der überdurchschnittlichen Versichertenentwicklung in den letzten Jahren immer auch alle Auszubildenden übernehmen. Mehr Personal braucht aber auch mehr Platz. Der fehlt uns aktuell vor allem an unserem Hauptstandort in Waldshut, wo wir aus allen Nähten platzen. Aber auch in Konstanz und Lörrach ist unsere räumliche Situation ausgereizt. Da wir aber weiter wachsen wollen, haben wir uns unter Berücksichtigung aller möglichen Varianten und nach zahlreichen Wirtschaftlichkeitsberechnungen dazu entschlossen, in Waldshut neu zu bauen. Wir hoffen, dass wir 2018 in ein neues Verwaltungsgebäude mit einem neuen Gesundheitszentrums einziehen können. 2015 war das erfolgreichste Jahr für die AOK im Land. Mit 190 000 Versicherten kann Ihre Bezirksdirektion die 200 000er-Schallmauer bald knacken. Der Arbeitsmarkt boomt – und damit auch die Krankenkassen, kann hier die Formel lauten, oder" Bis Oktober 2014 hat die Zahl der Versicherten bundesweit im GKV-Durchschnitt um 0,8 Prozent zugenommen. Dieser Wert spiegelt die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt wider. Allerdings wachsen nicht alle Krankenkassen gleichermaßen, denn es gibt deutliche wettbewerbsbedingte Verschiebungen. Es gibt Verlierer und Gewinner. Die AOK Baden-Württemberg ist in den ersten zehn Monaten dieses Jahres um 1,6 Prozent gewachsen und gehört damit ganz klar zu den Gewinnern. Wir konnten an Hochrhein und Bodensee in diesem Jahr mehr als netto 5600 Versicherte dazu gewinnen. Das entspricht einem Zuwachs von über drei Prozent. Wie hart ist der Wettbewerb unter den Kassen" Leider haben wir durch die unterschiedlichen Zusatzbeiträge jetzt wieder einen Preiswettbewerb. Richtiger wäre ein Qualitätswettbewerb um die beste Versorgung der Versicherten. Wir sind unseren Versicherten mit einem Netz von 230 Kunden-Centern in Baden-Württemberg nah und begleiten unsere Kunden in persönlichen Gesprächen durch das nicht selten komplizierte Gesundheitswesen. Ein weiterer Wettbewerbsfaktor sind die Leistungen und Zusatzangebote. Bei den Leistungen braucht die AOK Baden-Württemberg keinen Vergleich zu scheuen. Und bei den Zusatzangeboten zur Prävention unserer Versicherten sind wir nicht zu toppen. Welchen größten Verdienst schreiben Sie sich auf die Fahne" Alle Erfolge verdankt die AOK Hochrhein-Bodensee ihren fantastischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Sie haben die Erfolgsgeschichte der AOK Hochrhein-Bodensee geschrieben. Auch unsere Partnerschaft mit den Akteuren im Gesundheitswesen befördert die Qualität in der Gesundheitsversorgung. Wenn ich mit meinen bescheidenen Mitteln dazu beitragen konnte, hat es sich gelohnt. Und was war das prägendste Erlebnis während Ihrer Amtszeit" In den 47 Jahren meines Berufslebens waren viele Höhen und Tiefen zu überwinden und wir mussten mehrere Gesundheitsreformen durchleben. Neben dem Wandel der AOK von der Zuweiser-Kasse alter Prägung hin zu einer Gesundheitskasse, welche die Versicherten und Kunden in den Mittelpunkt des Handelns stellt, war sicher die Einführung der Wahlfreiheit ein besonderes Ereignis. Seitdem müssen sich die gesetzlichen Krankenkassen im Wettbewerb bewähren. Regional war sicher der Zusammenschluss der früheren AOK-Bezirksdirektionen Konstanz, Lörrach und Waldshut zur AOK Hochrhein-Bodensee im Jahr 2007 ein bedeutendes Ereignis. Und ich glaube, es ist uns ganz gut gelungen, daraus eine leistungsstarke Einheit zu formen. Wo Licht ist, gibt es auch Schatten: Bei welchem Thema und Anliegen mussten Sie kapitulieren" Mehr regionale Gestaltungsmöglichkeiten im Gesundheitswesen und nicht so viele detaillierte Vorgaben der Gesetzgeber wären mir wichtig gewesen. Leider fehlt uns innerhalb des gesetzlichen Rahmens oft der regionale Gestaltungsspielraum. Auch mit Blick auf die grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Gesundheitswesen sind wir in den vergangenen Jahren nicht wirklich weiter gekommen. Das ist schade, denn die Landkreise Konstanz, Lörrach und Waldshut verbindet die Grenze zur Schweiz, und es wäre sehr schön, wenn wir die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung grenzüberschreitend regeln könnten, um unnötige und unwirtschaftliche Doppelstrukturen zu vermeiden. Kommen wir zu den Strukturen. Die Hausarzt- und Facharztverträge bezeichnet Ihre Kasse als „herausragendes Alleinstellungsmerkmal“. Mittlerweile nehmen in der Hochrhein-Bodensee-Region 163 Hausärzte, 52 Fachärzte und fast 45000 Versicherte das Angebot wahr. Sind die Begriffe Kostenreduzierungsmodell oder auch Patientenlotsenmodell auch zutreffend" Kostenreduzierungsmodell – dieser Begriff setzt einen falschen Akzent. Gesundheitspolitisches Ziel war die Stärkung der niedergelassenen Ärzte, hohe Qualitätsorientierung für unsere Versicherten und eine bessere Vernetzung. Gerade chronisch kranke Menschen profitierten nachweislich von der strukturierteren Versorgung. Zwei wissenschaftliche Studien der Universitäten Frankfurt am Main und Heidelberg belegen eindeutig, dass der Hausarztvertrag und die Facharztverträge der AOK zu einer besseren Betreuung der Patienten führen. Sie sind nicht nur Garanten für eine flächendeckende und zukunftsweisende medizinische Versorgung im Land, sondern leisten angesichts eines drohenden Hausarztmangels auch einen gewichtigen Beitrag zur Steigerung der Attraktivität des Arztberufes. Und obwohl wir die teilnehmenden Ärzte komfortabler und deutlich besser honorieren, sparen wir unter dem Strich noch Kosten. Der Hausarzt übernimmt in der Tat die Rolle des Lotsen für die Patienten. Beim Hausarzt laufen alle Fäden zusammen, das hat für die Patienten nur Vorteile. Dem Hausarztmangel begegnen Sie unter anderem mit Autos. Den vierrädrigen Untersatz erhalten für Hausbesuche Versorgungsassistentinnen in der Hausarztpraxis (Verah) im Rahmen des AOK-Hausarztvertrages in Baden-Württemberg. Speziell in Landarztpraxen kann der Hausarzt so von Routinebesuchen entlastet werden. Ist das der Weisheit letzter Schluss" Mit unseren Verträgen setzen wir auf zukunftsorientierte Teamstrukturen in den Praxen. Dazu tragen vor allem speziell weitergebildete Versorgungsassistentinnen in der Hausarztpraxis (Verah) bei, die den Hausarzt wirkungsvoll entlasten, etwa bei der Durchführung von Routinehausbesuchen. Dafür steht den HZV-Praxen (hausarztzentrierte Versorgung) mit dem Verah-Mobil ein von den Vertragspartnern geförderter Kleinwagen zur Durchführung von Hausbesuchen zur Verfügung. Die Verahs übernehmen delegationsfähige Aufgaben und tragen so zur weiteren Verbesserung der Patientenversorgung bei. In der Kliniklandschaft stehen im Landkreis Lörrach große Veränderungen bevor. Begrüßen Sie die Pläne, ein Zentralklinikum zu errichten – oder sind zwei Standorte besser" Letztlich ist eine bedarfsgerechte und qualitativ hochwertige Krankenhausstruktur wichtig, welche die bestmögliche Versorgung der Bevölkerung sichert. Die Patienten erwarten im Krankenhaus Qualität in Medizin und Betreuung. Um beides dauerhaft sicherzustellen, sind wirtschaftliche Umstrukturierungen unausweichlich. Letztlich wird es darauf ankommen, ob bei zwei Standorten unwirtschaftliche Doppelstrukturen vermieden werden können oder ob die bei einem Zentralklinikum zu erwartenden Synergie-Effekte überwiegen. Im Nachbarlandkreis Waldshut ist die Kliniklandschaft ebenso in Bewegung. Ist das ein zeitlicher Zufall oder sehen Sie die Zwänge, die durch den Gesetzgeber vorgegeben sind" Die politischen Entscheidungsträger haben erkannt, dass die Gesundheitskosten im stationären Bereich ohne einen weiteren regulierenden Eingriff explosionsartig immer weiter ansteigen. In der Krankenhauslandschaft gibt es derzeit vor allem Strukturen der Über-, Unter- oder Fehlversorgung. Solche ineffizienten Strukturen fortzuführen und Gelder weiterhin per Gießkanne zu verteilen, kann sich das Gesundheitswesen nicht noch weiter leisten. Die Einführung von Qualitätsstandards und verbindlichen Planungskriterien für Krankenhausstrukturen sind richtig. Unnötige und unwirtschaftliche Doppelstrukturen müssen abgeschafft und Leistungsbereiche konzentriert werden. Vor dieser Entwicklung haben auch die Entscheidungsträger im Landkreis Waldshut die Augen nicht verschlossen. Welche Einflussmöglichkeiten auf die politische Willensbildung hat die heimische AOK, schließlich laden Sie die Abgeordneten extra zu Gesprächen ein" Die AOK will als Gesundheitskasse nicht einfach nur ihre Pflicht erfüllen. Mit Gestaltungswillen wollen wir die Gesundheitsversorgung auch in der Hochrhein-Bodensee-Region nachhaltig auf hohem Qualitätsniveau stabil halten. Wir versuchen, aktiv die vorhandenen Strukturen zu verbessern und weiter zu entwickeln. Dazu helfen diese Gespräche. Gleichzeitig geben sie uns die Möglichkeit, die politischen Entscheidungsträger aus fachlicher Sicht zu beraten. Wir erleben die Runden immer als konstruktiv und angenehm. Ein Grund dafür ist, dass sich die Mandatsträger verantwortlich fühlen und deshalb auch immer sehr gut vorbereitet in die Diskussion einsteigen. Wir können mit Stolz sagen, dass es uns als AOK so gelingt, fachlich richtige Impulse zum Wohle aller Beteiligten einbringen zu können. Die Digitalisierung der Dienstleistungen ist besonders bei Banken zu spüren. Wohin führt der Weg der Krankenkassen" Viele unserer Wettbewerber versuchen hier, aus der Not eine Tugend zu machen. Sie reduzieren betriebsbedingt Personal und ziehen sich aus der Fläche zurück. Vielerorts werden Geschäftsstellen geschlossen. Mit virtuellen Kunden-Centern wird versucht, dies zu kompensieren. Die AOK Baden-Württemberg hat sich hier für einen anderen Weg entschieden. Einerseits arbeiten wir intensiv an der Digitalisierung aller Prozesse im Kundenkontakt. Dabei haben wir aber den Nutzen unserer Kunden im Fokus. Die Digitalisierung soll dabei helfen, unsere Kunden bei der Durchführung ihrer Anliegen zu unterstützen. Das, was online besser und einfacher geht, sollen unsere Kunden auch von zuhause aus machen können. Worin wir uns aber unterscheiden ist unser Anspruch der persönlichen Nähe zu unseren Kunden. Das meinen wir nicht nur geografisch, sondern auch im Sinne von menschlicher Anteilnahme. n  Die Fragen stellte Marco Fraune