Kreis Lörrach Wenn vergeblich auf Hilfe gewartet wird

Michael Werndorff
Das Bundesteilhabegesetz soll die Situation von Menschen mit Behinderung verbessern. Die Behörden können aber viele Leistungen nicht erfüllen. Foto: pixabay

Das Sachgebiet Eingliederungshilfe im Landratsamt meldet Land unter: Immer mehr Bedarfe von Menschen mit Behinderungen können nicht mehr gedeckt werden.

Der allgemeine Fachkräftemangel macht sich auch bei der Eingliederungshilfe im Landkreis Lörrach bemerkbar: Immer mehr Bedarfe von Menschen mit Behinderungen können nicht mehr gedeckt werden, wie Sachgebietsleiterin Brigitte Baumgartner im Rahmen der jüngsten Sitzung des Kreis-Sozialausschusses darlegte. Der gesetzliche Auftrag sei nicht mehr vollumfänglich umsetzbar, lautete ihre Botschaft.

Die ungedeckten Bedarfe in der Eingliederungshilfe sind im Vergleich zum Vorjahr deutlich angestiegen – Waren es beim ambulanten betreuten Wohnen im Vorjahr etwas mehr als zehn Fälle, sind es mittlerweile mehr als 30.

Ohne Versorgung

Der Bedarf kann auch in der Autismustherapie nicht mehr befriedigt werden (rund 20) und bei der Assistenz sind es circa 20 Fälle. Die Menschen seien ohne Versorgung, im ambulanten Wohnen sprach Baumgartner von einer dramatischen Situation. Erschwerend hinzu käme der Mangel an Therapieplätzen, das Fehlen einer wohnortnahen Versorgung. Und: Bei besonderen Wohnformen werde auch keine Warteliste mehr geführt.

Lange Wartezeit

Bei Kindern betrage die Wartezeit für medizinisch-psychiatrische Dienste bis zu 18 Monate, wie weiter zu erfahren war. Der Einstieg in die Förderung werde dadurch hinausgezögert, verwies die Expertin auf negative Folgen.

Zudem würden die Kernfamilien durch fehlende und eine unzureichende Bedarfsdeckung belastet. Dadurch komme es vermehrt zu Inobhutnahmen von Kindern mit Beeinträchtigungen.

Negativ entwickelt sich auch die Kostenseite: Hier würden teils sehr teure Einzellösungen zu Buche schlagen. In einem Fall sprach Baumgartner von 45 000 Euro monatlich. Im Bereich der Erwachsenen müssten Bedarfe zunehmend über private Anbieter gedeckt werden. Oft komme es wegen psychiatrischer Probleme zu einem Drehtüreffekt, weil Kranke nicht wohnortnah in Kliniken versorgt werden könnten. Betroffene würden dann häufig wieder eingewiesen. Kurzum: „Überall fehlt es an Fachkräften“, kommentierte sie den Lagebericht. So sei der gesetzliche Auftrag nicht mehr komplett leistbar und umsetzbar. Mehrere Gründe führten zu dieser Situation: Die Mitarbeiter würden zunehmend reagieren, weniger agieren, das Wunsch- und Wahlrecht Betroffener würde immer weniger berücksichtigt werden. Mittlerweile müssten die Ressourcen stringenter verteilt werden, was eine enorm hohe Kompetenz an Kommunikation sowie Zeitressourcen erfordere. In der Folge könne der Stapel mit offenen Anträgen nicht abgearbeitet werden, machte Baumgartner deutlich „Es besteht ein hoher Druck, Lösungen zu finden, die es im Grunde gar nicht gibt.“ Nicht zuletzt steige das Risiko, dass Mitarbeiter wegen der zunehmenden Belastung kündigen.

Standards absenken

Derweil gibt es Lösungsansätze: Sie reichen von Abstimmungen mit Nachbarlandkreisen über Verschlankung der Arbeitsprozesse in der Behörde bis hin zu Kontaktaufnahme mit dem Sozialpädiatrischen Zentrum zur Klärung von weiteren möglichen gemeinsamen Schritten.

Baumgartner zufolge ist es nötig, Standards bei Leistungsangeboten abzusenken – die Qualität solle darunter nicht leiden. Dass es eine Verstetigung der Fachlichkeit und Betreuung brauche, erklärte Gabriele Weber (SPD) angesichts der steigenden Bedarfe. Das würde den finanziellen und zeitlichen Aufwand der Behörde reduzieren.

Wie stark das Bundesteilhabegesetz, das die Situation von Menschen mit Behinderungen verbessern soll, das Landratsamt belaste, ließ Landrätin Marion Dammann nicht unerwähnt: Dies sei nicht nur ein Verwaltungsmoloch – „von den Anforderungen an das Personal her ist es wahnsinnig.“ Der Bericht zeige die Untiefen des Systems auf. Das Gesetz wecke bei den Bürgern Erwartungen, die nicht erfüllt werden könnten. Dass man mit dieser Situation umgehen müsse, erklärte Margarete Kurfeß (Grüne). So sei es wichtig, neue Wege einzuschlagen, um möglichst vielen Menschen zu helfen. Ein Baustein dabei sei die aufsuchende Beratung.

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