Lörrach. Die erfolgreiche Traditionsreihe „Stimmen im Advent“ mit Gesängen und Geschichten spannt auch in diesem Jahr wieder weite musikalische und literarische Bögen, die in der Stille einer Kirche zum Innehalten und Lauschen verführen sollen. Mit der Dramaturgin der Reihe, Marion Schmidt-Kumke, sprach  Gabriele Hauger.
 
Wie erklären Sie sich das vorweihnachtliche Bedürfnis vieler – auch nicht religiöser Menschen nach emotionalen Konzertereignissen?
 
Nach der Sommerzeit macht sich im Herbst wieder eine Konzentration aufs Haus, auf Drinnen, auf einen selbst bemerkbar. Man verbringt mehr Zeit im Dämmerlicht, besinnt sich mehr auf sich und reflektiert. Aus diesem Gefühl heraus liebt man schützende Räume, gerade von Kirchen, egal ob man ansonsten nach Religion und Kirche lebt oder nicht. Die Tradition der Adventszeit ist einfach in uns, wir lieben diese Zeit der Gemeinschaft, Familie, des Kümmerns. Dazu passen diese Konzerte verwoben mit Literatur bestens.
 
Verorten Sie so auch die erfolgreiche Reihe „Stimmen im Advent“?
 
Ja. Sie ermöglicht den Zuhörern, über Musik und Literatur zu einem Erlebnis zu kommen, das quasi über zwei Kanäle funktioniert. Denn die Musik geht ja ganz andere Wege, erschließt einem andere Empfindungen, als ein Text. Die gelesenen Geschichten richten sich eher nach innen, widmen sich einem bestimmten Zustand. Das können Märchen oder philosophisch angehauchte Texte sein, oder einfach gute Geschichten, die schön erzählt werden. Da ist im Winter irgendwie mehr Zeit dafür. Die Konzertreihe ist aber auch ein kleiner Ableger von den Sommer-Stimmen. Auch jetzt geht es um außergewöhnliche Gesangsstimmen.
 
Zum Auftakt tritt der Motettenchor am Samstag auf, wegen der Orgel und der Akustik in der Fridolinkirche. Wie korrespondiert Dvoraks Messe mit ihrem weihnachtlichen Charakter und Brahms mit Kafkas existentiellen Texten?
 
Die Sänger werden bei der Messe oben bei der Orgel stehen, unten sitzt alleine Peter Schröder und liest die Texte, da wird schon ein Kontrast deutlich. Kafkas Werk umkreist den Menschen, auch dessen teilweise eingeschränkte Möglichkeiten, Grenzen. Seine Erzählungen sind sehr dicht und vielschichtig. Bei meiner Auswahl stehen Einsamkeit, Ängste, das Verlorensein und Scheitern im Mittelpunkt. Seine Figuren suchen nach Halt und Geborgenheit, die sie in sich nicht immer finden. Themen, die uns in der Kälte vielleicht mehr beschäftigen als in der hellen, wärmenden Sonne. Dvoraks Gottesverehrung, sein Reichtum an Melodien und Klängen, stehen dem gegenüber. Trost lässt sich ja vielleicht auch in der Musik finden? Das Beides erlebt man beim Konzert im Wechsel, und ich stelle es den Zuhörern zur Disposition, was sie dabei empfinden.
 
Beim zweiten Konzert liest Doris Wolters Texte von Robert Louis Stevenson. Den kennt man eigentlich hauptsächlich als Autor der Schatzinsel?
 
Stevenson war ein Reisender, wogegen die Figur der gelesenen Geschichte, Will von der Mühle, immer nur an einem Ort lebte und die Welt aus dieser Perspektive erzählt. Diesen Kontrast fand ich spannend. Dazu die keltische Musik von Julie Fowlis, die ebenfalls aus Schottland stammt, von den Äußeren Hebriden, einer eher abgeschlossenen Welt, wo jedes Tal, jeder Hügel seine eigene Geschichte hat. Die Kombination passt einfach.
 
Beim dritten Konzert tritt die Ukrainerin Mariana Sadovska mit alten ukrainischen Liebesliedern auf, gelesen wird der politische Gegenwartsautor Juri Andruchowytsch. Wird das ein politischer Abend?
 
Eine gewisse Brisanz hat das angesichts der aktuellen Lage natürlich schon. Es ist aber keine politische Veranstaltung. Die Sängerin hat einfach eine so ausdrucksstarke, schöne Stimme. Sie hat sich für die Auswahl der Lieder auf Spurensuche in ihrem Heimatland begeben, das kulturell stark von Russland beeinflusst ist. Der Autor wiederum schreibt viel über aktuelle Themen. Die Erzählung „Sieben rauhe Februartage oder die Rolle des Kontrabasses in der Revolution“, ist eine Geschichte, die im Hier und Jetzt der ukrainischen Revolution spielt. Er äußert sich darin über die Lage in seinem Land. Es macht Sinn, auch einmal so jemanden zu hören, zu erleben, wie unmittelbar Literatur entsteht und beeinflusst wird.

White Raven zum Abschluss am 22. Dezember, ein Selbstläufer ? Warum eigentlich?
 
Weil sie einfach sehr, sehr gut zusammen singen. Es gibt schon viele Stammhörer, die sagen: Weihnachten ohne White Raven geht gar nicht. Das Irisch-gälische, dieser himmelsgleiche schöne dreistimmige Gesang mit den wunderbaren Arrangements – das ist immer wieder umwerfend.
 
Stimmen im Advent in Lörrach:
29. November, 20 Uhr, St. Fridolin, Stetten: Motettenchor und Peter Schröder; 7. Dezember, 17.30 Uhr Stadtkirche: Julie Fowles und Doris Wolters; 14. Dezember, 17.30 Uhr, Stadtkirche: Mariana Sadovska und Christian Heller; 22. Dezember, 17.30 Uhr,  Stadtkirche: White Raven und Chantal le Moign