^ Kultur: Nirvana und Purcell - Kultur - Verlagshaus Jaumann

Kultur Nirvana und Purcell

Tonio Paßlick
Christopher Ainslie und das Stuttgarter Kammerorchester Foto: Tonio Paßlick

Junge-Musik mit Kammerorchester? Geht das? Es geht, bewies das Konzert im Burghof.

Kann man „Smells like Teen Spirit“, den epochalen Rocksong von Nirvana mit 16 Streichern und Cembalo nachempfinden? Die Hymne der „Generation X“ und pophistorisch einer der revolutionärsten Titel des 20. Jahrhunderts? Das Crossover-Projekt des Stuttgarter Kammerorchesters verknüpfte am Mittwochabend Werke von Henry Purcell und der Kultband Nirvana zu einem geglückten Klang-Erlebnis.

Der Puls der 90er

Denn das Kammerorchester unter der musikalischen Leitung des ersten Cello-Solisten Nikolaus von Bülow bewies, dass man den Puls der Neunzigerjahre auch mit klassischen Instrumenten ausloten kann. Die raffinierten Crossover-Arrangements des österreichischen Komponisten und Geigers Klemens Bittmann versuchten erst gar nicht, die verzweifelte Grundstimmung der vier Nirvana-Klassiker „Smells like Teen Spirit“, „Something in the way“, „Come as you are“ und „Lithium“ zu imitieren.

Dunkel und punkig

Denn der Sound von Nirvana war dunkel, punkig und versprühte raue Emotionen, Ehrlichkeit, aber auch Schmerz und Desillusionierung. Simplizität, betonte Riffs und sich wiederholende Phrasen mit metaphorisch klingenden Begriffen charakterisierten die Grunge-Musik von Nirvana. Alles wurde ungeschliffener und „heavier” als in der früheren Rock-Musik, was sich auch in der stärkeren Verwendung von Drop Tunings noch verzerrter klang.

Dynamischen Effekte

Das Kammerorchester übernahm dafür die dynamischen Effekte, übersetzte die musikalischen Patterns auf die komplexen technischen Möglichkeiten der Saiten-Instrumente, versprühte bodenlose Einsamkeit in den Pizzicati über dem bedrohlichen Bass-Surfen von drei Celli und einem Kontrabass und imitierte die verzerrten Riffs der Gitarren durch kratzige und perkussiv schleifende Bogen-Schläge, während die Bratschen das Grundgefühl der Songs in wiederkehrenden Loops erzeugten.

Szenenapplaus

Viele der Besucher werden wegen der drei Stücke des bedeutendsten englischen Komponisten Henry Purcell gekommen sein, die von dem renommierten Countertenor Christopher Ainslie mit berückend schöner Intensität gesungen wurden. Obwohl das einstündige Wechselspiel zwischen Nirvana-Songs und Purcell-Stücken als durchgehendes Klang-Projekt gedacht war, gab es dann doch nach „Dido’s Lament“ und vor allem nach dem „Cold Song“ aus „King Arthur“ Szenenapplaus für den Solisten und das Orchester.

Berückende Intensität

Denn durch die geschickte Zusammenstellung ähnlicher Themen in Komposition und Inhalt wurde der Bogen vom 17. ins 20. Jahrhundert geschlagen. Der nahtlose Übergang von der Ouvertüre in g-Moll von Purcell zu „Something in the way“, der trostlosen Nirvana-Hymne an die Einsamkeit, legte auch kompositorische Bezüge bloß: die Dominanz der Bass-Linien, die den sphärischen Puls in beiden musikalischen Ideen ausmachen. Die Wiederholung und Variation der Melodie-Linien.

Der schwedische Komponist Johannes Marmén hatte die Purcell-Stücke so arrangiert, dass durch das Kammerorchester ein transparenter und sphärisch dichter Klang erzeugt wurde.

Einer der schönsten Momente

Die Musik von Purcell war stark von den Bedürfnissen des Theaters geprägt. Das Kammerorchester zeichnete die dramatischen Themen narrativ und mit verzaubernder Plastizität nach. Bei der ursprünglich achtstimmigen Chorhymne „Hear my prayer“ entstand einer der schönsten Momente des Konzerts im über zweiminütigen Crescendo, das durch Sopranstimmen ergänzt über Dissonanzen in einem g-moll-Akkord aufgelöst wurde.

Countertenor gefeiert

Als Höhepunkt wurde jedoch die wunderbar modulierende Stimme des Countertenors gefeiert. Mit zwei Zugaben, dem dramatischen „Cold Song“ von Purcell und dem zeitlosen Nirvana-Hit „Smells Like Teen Spirit“ bedankten sich Orchester und Solist beim euphorisch klatschenden Publikum.

  • Bewertung
    0

Umfrage

Bargeld

Die FDP fordert Änderungen beim Bürgergeld. Unter anderem verlangt sie schärfere Sanktionen. Was halten Sie davon?

Ergebnis anzeigen
loading