Von Dorothee Philipp
Lörrach. 40 Jahre alt das Album, 69 die Sängerin: Der bisher heißeste Gig des Lörracher Stimmenfestivals war mit dem Auftritt von Patti Smith ein Trip in eine längst vergangene Ära. Eine Ära, in der Rebellion, Aufbegehren gegen Konventionen, Experimentieren mit Grenzerfahrungen und neuen Musikstilen das tägliche Brot der Künstler waren. Eine Ära, die unsterbliche Namen und Musik hervorgebracht hat, aus der die heutigen Epigonen immer noch Kraft saugen.
 
Ihr Haar ist grau geworden, und auch ihr langjähriger Bandpartner Lenny Kaye schüttelt eine wallende Silbermähne. Doch ihre Stimme ist nicht gealtert, sie hat in all den Jahren noch zugelegt an Volumen, Stärke und Schärfe: Wenn Patti Smith ihren Zorn auf die Ungerechtigkeiten dieser Welt wie glühende Kohlen von der Bühne schleudert, hat das etwas von einem Naturereignis. Und sie geht gleich in die Vollen mit »Gloria«, dem ersten Song der legendären Platte »Horses«, die es auf Platz 44 der wichtigsten Alben aller Zeiten geschafft hat.
 
»Redondo Beach«, das extrem lange »Birdland«, zu dessen Deklaration sie ein Textblatt zur Hand nimmt und eine Brille aufsetzt und das noch längere »Land Lyrics« mit seinen finsteren Allegorien – all die Kultsongs einer aufbegehrenden Generation erleben an diesem Abend ein Comeback – und was für eins!
 
Die Band agiert, als gehe es bei jedem Ton ums Überleben, Patti Smith röhrt und raunzt ins Mikro, wirbelt auf der Bühne umher, dass die Roadies alle Mühe haben, die Kabel wieder zu richten und die umgetretenen Mikroständer aufzustellen, die Energie knistert und lodert.
 
Gitarrensaiten einzeln herausgerissen
 
Die »Godmother of Punk« verweist mit ihrer enormen Präsenz alle auf die Plätze, die versucht haben, sie nachzuahmen. Schon vor der Blütezeit des Rap hat sie den intensiven Sprechgesang in ihre Musik eingebettet, die Texte und ihre Botschaften sind bei ihr von fundamentaler Bedeutung, sie hämmert sie dem Publikum förmlich in die Ohren.
 
»Free Money« entfesselt einen wahren Hexenkessel, der Burghof stampft und schlingert wie ein Schiff im Sturm. »Jetzt drehen wir die Platte um, setzen die Nadel auf und spielen die B-Seite«, meint sie launig. Ach ja, stimmt: Die lauten, wüsten, alten Zeiten hatten auch Seiten, die heute nostalgische Gefühle wecken wie das ständige Wechseln und Wenden der Platten auf dem Teller. »Kimberley« ist darüber hinaus retromäßig in Orgelklänge gekleidet, der gute alte schepprige Rocksound hätte etwas Gemütliches, wenn da nicht diese aufwühlende Stimme und der aufmüpfige Gestus wären. Patti Smith benutzt in ihren knappen Moderationen auch hin und wieder das »F«-Wort und spuckt auf die Bühne. Ihr betont lässiges maskulines Outfit mit Jeans, Jackett, XXL-Weste und schlabbrigem T-Shirt vermittelt, dass sie sich um Äußerlichkeiten wenig schert. Ganz am Ende reißt sie der E-Gitarre, auf der sie gerade gewütet hat, die Saiten einzeln raus, was allerdings ein bisschen gewollt rüberkommt.
 
Doch bis es so weit ist, hat sich der Saal fast heiser geschrien, hier sind Aufforderungen zum Mitsingen und entsprechende gemeinschaftliche Übungen so unnötig, wie mit der Gießkanne Wasser ins Meer zu tragen. Die Frau ist auch mit 69 immer noch der reinste Brandsatz. Ein fulminantes Konzert.
 
Mit von der Partie sind Schlagzeuger Jay Lee Daugherty, ebenfalls ein Mitglied der 1975 gegründeten Patti Smith Group, dazu Bassist Tony Shanahan und Gitarrist Jack Petruzzeli.

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