Lörrach. Das 22. Stimmenfestival steht in den Startlöchern. Bis auf einzelne Vorgruppen steht das Programm. Zwei Konzerte – Patti Smith und die Hooters – sind bereits ausverkauft. Mit Stimmen-Chef Markus Muffler sprach unsere Redakteurin Gabriele Hauger.
 
Herr Muffler, Sie beklagen die Entwicklung in der Festivallandschaft: Konkurrenz, Kostensteigerung etc. Wie zufrieden sind Sie angesichts dieser Schwierigkeiten mit dem diesjährigen Festivalprogramm?
Ich bin sehr zufrieden mit dem Programm. Angesichts der erforderlichen Wirtschaftlichkeit und künstlerischen Ausgewogenheit ist es für einen Festivalorganisator nun einmal so, dass wir bestimmte Wunschkünstler nicht bekommen können, weil sie entweder nicht auf Tour, zu teuer sind oder von anderen Festivals exklusiv gebucht werden. Da muss man auch mal den einen oder anderen Kompromiss schließen. Es gibt immer Künstler, die wir vielleicht noch lieber gehabt hätten, die allerdings auch ein andermal kommen können. Insgesamt bin ich aber mit dem Ergebnis, wie gesagt, sehr zufrieden. Wir bekommen auch sehr viele positive Rückmeldungen, freuen uns über einen guten Vorverkauf: zwei ganz und bei Bob Dylan ein fast ausverkauftes Konzert, und auch Lionel Richie läuft sehr gut.
 
Dass die Jugend zu kurz kommt, über diese Kritik hat sich schon Ihr Vorgänger Helmut Bürgel geärgert und diese zurückgewiesen. Wie stehen Sie dazu, angesichts von Namen wie Bob Dylan (über 70), Status Quo (angegraut) oder Patti Smith (ebenfalls angegraut)?
Haben diese Künstler denn aufgrund ihres Alters auf den Festivalbühnen nichts mehr zu suchen? Zu alt, zu jung! Was sind das für Kategorien? Ich kann mich Helmuts Kritik an dieser Schablonenhaftigkeit nur anschließen. Wenn ich im Übrigen mit jungen Leuten zwischen 20 und 30 spreche und sie frage, welches Stimmen-Konzert sie besonders interessiert, dann ist es Bob Dylan. Schließlich ist er ein ganz Großer! Es geht doch gar nicht um jung und alt, sondern um Geschmack und Qualität. Außerdem müssen die Künstler ja auch zum Konzept des Festivals passen.
 
Ein weiteres Problem sind die teilweise absurden Exklusivitätsansprüche großer Rock-Festivals wie Southside oder Rock am Ring – durch die Zahlung exorbitanter Gagen gepaart mit Exklusivitätsvereinbarungen wird dort ein Monopol auf neue, coole Bands, wie beispielsweise „Florence and the Machine“, „Bastille“ oder „Casper“ zementiert. Und letztens: Sophie Hunger, Aline Frazao, Nadine Shaw, William Fitzsimmons, Scott Matthew, Slixs, Mick Flannery oder Stimmen on tour sprechen doch eindeutig ein jüngeres Publikum an.
 
Das Sommersound in Schopfheim – ebenfalls atmosphärisch schön auf dem Marktplatz – entwickelt sich zusehends zu einer bekannten Größe und findet zudem parallel zu Stimmen statt. Wächst da zusätzliche Konkurrenz?
Das ist für uns kein Problem. Ich sehe die Konkurrenz eher woanders. Stimmen ist ein dreiwöchiges Konzeptfestival mit der Präsentation von Stimmen in unterschiedlichen Genres aus der ganzen Welt. Wir haben ein klares Konzept mit einer Idee dahinter, mit Begleitveranstaltungen wie die Stimmen-Werkstatt, Aftershow-Konzerten, Stimmen on tour...Das ist bei uns nicht nur: Drei Tage eine Bühne aufstellen, bespaßen und wieder gehen. Konkurrenz ist da eher z.B. das Basel Openair, die machen ein kluges Programm, ebenso „Blue Balls“ in Luzern.
 
Wie wichtig ist Stimmen für die Stadt?
Neben Lörrachs Attraktivität als Einkaufsstadt sind Stimmen und im übrigen auch der Burghof die wesentlichen Magneten für Gäste, die nach Lörrach kommen.
 
Sehen Sie sich in puncto Konzeption in der Tradition des Festivalgründers Bürgel?
Schon, aber natürlich mit eigenen Schwerpunkten. Ich komme ja mehr aus der Soul-, Pop-, Jazz- und Rock-Ecke. Da gibt es mittlerweile so viele interessante Strömungen. Deshalb setze ich beispielsweise bei Musik, die man allgemein als „Weltmusik“ bezeichnet – ich mag diesen Begriff nicht und sage lieber „Roots“ – andere Schwerpunkte: Mir gefallen die Künstler, die Anlehnungen und Inspirationen von überall her nehmen und ihre eigene traditionelle Herkunft damit verfeinern.
 
Wie wichtig sind die Marktplatzkonzerte als Stimmen-Aushängeschild?
Natürlich sehr wichtig, allerdings versuche ich einerseits den Marktplatz nicht zu sehr ins Zentrum zu stellen und andererseits das musikalisch Besondere des Festivals nicht nur in den kleineren Spielorten, sondern auch auf dem Marktplatz zu programmieren, denken Sie an die Skunk Anansie 2013, die Babyshambles im vergangen Jahr oder Sophie Hunger dieses Jahr. Ich möchte das Festival mit seinen verschiedenen Konzertorten stärker zusammenführen, verdichten: Zum Beispiel auch dadurch, dass ich eine Patti Smith im Burghof, The Hooters im Rosenfels oder Sinead O’Connor in Augusta Raurica auftreten lasse. Große Namen also nicht nur auf dem Marktplatz! Das Festival soll und muss als Ganzes betrachtet werden.
 
Was schärft noch das Stimmen-Profil?
Sehr glücklich bin ich inzwischen mit der zeitlichen Dichte des Festivals. Wir konzentrieren uns auf drei Wochen – ganz gezielt. Ich bin zudem ein Fan von Block-Bildung. Da haben wir einen a capella-Teil, einen Crossover-Block, Singer-Song-Writer und die Aftershows im Pop-Bereich. Angesichts der großen Konkurrenz halte ich ein klares Profil für extrem wichtig. Im übrigen mag ich es gerne ein wenig urbaner.
 
Diese Verdichtung zeigt sich auch räumlich. Der weit entfernte Stimmen-Ort Guebwiller wurde beispielsweise aufgegeben.
Mich bewegt die Verbindung zu Frankreich sehr. Ich habe die Sprache studiert, und habe ein Herz für Frankreich. Ich finde es übrigens auch toll, wie man in Frankreich mit seinen Künstlern umgeht: Trotz knapper Kassen werden Künstler dort meinem Eindruck nach weitaus mehr wertgeschätzt als bei uns. Die Franzosen sind stolz auf ihre Künstler und behandeln sie auch so. Deshalb: Frankreich muss dabei sein bei Stimmen!
Guebwiller als Veranstaltungsort war und ist toll. Aber 80 Kilometer entfernt. Mein Traum wäre, in Saint Louis eine vergleichbare Tradition hinzubekommen wie beispielsweise in Augusta Raurica. Eine Partnerschaft, aus der ich gerne mehr entwickeln möchte.
 
Warum glauben Sie, wurde eine solche Partnerschaft nicht schon viel früher angestrebt?
Das liegt oft einfach an den Persönlichkeiten. Mit Jocelyne Straumann-Hummel ist eine sehr nette, interessierte, umtriebige Frau an der Spitze der la Coupole getreten, die etwas bewegen will und an einer Verbindung mit uns sehr interessiert ist. Zwischen uns stimmt die Chemie. Zudem ist das ein tolles Veranstaltungshaus, mit schöner Atmosphäre – also bestens geeignet.
 
Könnte es über diese neue Zusammenarbeit funktionieren, dass Stimmen und der Burghof generell endlich auch mehr Publikum aus Frankreich anziehen?
Durch ein bisschen Werbung, zum Beispiel im L’Alsace, ist schon jetzt etwas Bewegung hineingekommen. Gerade bei Melissa Etheridge oder Lionel Richie ist die Nachfrage aus Frankreich gestiegen. Ich kann Ihnen übrigens verraten, dass in der Saison 2016/17 bezüglich Frankreich etwas sehr Spannendes passieren könnte. Rein verkehrstechnisch kommt als Hemmschuh leider außerdem hinzu, dass es von Saint Louis zu uns keinen öffentlichen Nahverkehr gibt.
 
„Stimmen on tour“ zur Einstimmung aufs Festival hatte letztes Jahr einen erfolgreichen Start. Warum funktioniert das Ihrer Meinung so gut?
Es ist wichtig, dass das Stimmenfestival in dieser großen zersiedelten Region mit einer Agglomeration von über 850 000 Menschen in drei Ländern seine Fühler ausstreckt nach anderen, kleineren aber sehr schönen Veranstaltungsorten. Wie beispielsweise dem Werkraum Schöpflin, dem Rathaushof in Binzen oder dem Kulturhotel Guggenheim in Liestal, Mit „Stimmen on tour“ zeigen wir: Stimmen ist da, wir gehören in die Region, wir sind auf Tour! Und gleichzeitig ist das beste Werbung fürs Festival. Dabei soll ein clubartiger Musikcharakter bewahrt und transportiert werden. Gerade für diese Gastspiele ist die Mitwirkung lokaler Musiker ideal, wie in diesem Jahr die Band „Midnight Story“. In die gleiche Richtung geht übrigens das Angebot der Aftershow-Konzerte.
 
Hand aufs Herz: Finden Sie das neue Plakat wirklich gelungen? Ein Grammophon wirkt doch unglaublich verstaubt.
Mir gefällt’s gut! Jetzt warten Sie mal ab, wie sich das Plakat in den nächsten Jahren noch entwickelt. Wir haben hier drei Symbole und drei Länder: die Lerche für Lörrach, die Muschel für Perlen und Überraschungen und das Grammophon, einem universell verständlichen Symbol für Musik. Ich bin mir sicher, dass das Motiv ein echter Hingucker ist. Und im übrigen freut es mich, wenn darüber diskutiert wird. Genau das wollte ich.
 
Sie sind jetzt das dritte Jahr alleiniger Stimmen-Chef. Steigt Ihr Adrenalin-Spiegel noch, je näher das Festival rückt, oder sind Sie da ganz Routinier?
Meine Seelenlage ist ausgeglichen –noch. Ich hab ein tolles Team und wünsch mir nur, das nichts passiert, dass wir gutes Wetter haben und die Besucher mit einem Lächeln aus den Konzerten gehen. Ändern kann ich sowieso nichts mehr. Mich treibt jetzt schon Stimmen 2016 um. Da bin ich bereits intensiv am Planen. Außerdem bewegt mich natürlich die aktuelle Zuschussdebatte. Und schließlich findet Stimmen nun unter einem neuen Oberbürgermeister statt. Musikalisch liegen wir beide im übrigen schon altersbedingt auf einer Wellenlänge. Ansonsten bin ich noch entspannt, aber so eine Woche vorher, fängt’s dann meist doch an zu kribbeln.
 
Wie groß ist die Gefahr, dass man als Festivalleiter zu sehr nach seinem eigenen Geschmack geht?
Ich habe die Freiheit ein solches Festival zu gestalten muss dabei auf die Wirtschaftlichkeit achten – aber eben nicht nur. Ich bin nicht der Typ, der ein Programm auf die Beine stellt, um sich selbst zu verwirklichen. Ein Festivalmacher ist kein Künstler! Das dürfen wir nie vergessen. Aber: Ich darf behaupten, dass ich mich mit Musik und musikalischen Strömungen fast mein ganzes Leben beschäftigt habe und dabei ein gewisses Gefühl für Musik entwickeln konnte.
 
Sie nannten den Reggae-Abend im Rosenfels als ein persönliches Wunschprogramm. Was hört denn Herr Muffler privat?
Ich höre gerne Indie-Rock, Jazz und Crossover. Reggae finde ich eine ganz wichtige Musikform. Vor allem aber: Wenn es so etwas wie „Roots“ gibt, dann ist Reggae die Urmutter davon. Wir haben zudem mit dem Rosenfelspark einen fantastischen Spielort. Diese Musik, grooven an einem lauen Sommerabend – das ist doch herrlich.
 
Wer wäre Ihr Traumkandidat für Stimmen?
Radiohead – leider unwahrscheinlich–, ansonsten Arcade Fire, Nick Cave, Prince, Elvis Costello, oder natürlich Tom Waits.
 
Und auf was freuen Sie sich jetzt aktuell?
Sophie Hunger halte ich für eine der wichtigsten aktuellen Popmusikerinnen, ihr neues Album ist sensationell. Sie ist sehr talentiert, ihr gehört die Zukunft glaube ich. Sinead O’Connor in Augusta Raurica ist für mich auch top. Und im Rosenfels bin ich neben dem Reggaeabend vor allem auf Nadine Shah und William Fitzsimmons gespannt.

Informationen zum Festival: www.stimmen.com