Von Jürgen Scharf Lörrach. Helmut Lachenmanns einziges Musiktheaterwerk „Das Mädchen mit den Schwefelhölzern“ ist eher bekannt als die Vertonung, die man am Mittwoch beim Stimmenfestival hörte: „The Little Match Girl Passion“ des amerikanischen Komponisten David Lang. Dessen Musik in Bildern ist keine musikdramatische Märchenvertonung nach Hans Christian Andersen, sondern eine moderne Form der Passion. Auch in diesem Vokalwerk, das durch glockenartiges Schlagwerk akzentuiert wird, erfriert ein Mädchen in der kalten Winternacht, während es Streichhölzer verkaufen will. Lang verbindet Andersens Märchen mit dem Passionsgedanken und der Thematik „Hoffnung durch Leiden“. Der Komponist bekam dafür den Pulitzerpreis. Das erstmals bei „Stimmen“ gastierende Ensemble Corund, Luzerns professioneller Chor, sorgte unter Leitung seines Leiters Stephen Smith in der Stadtkirche für ein faszinierendes Hörerlebnis. Corund hat die Schweizer Erstaufführung dieses Werks gemacht, und auch in Lörrach ging die Behandlung von Text, Rhythmus und Geschichte dem Zuhörer sehr nahe. Ein Höhepunkt ist Nr. 13 („Wenn ich einmal soll scheiden“), ein Text aus Bachs Matthäuspassion, aber musikalisch kein Rückgriff, sondern alles gehalten in der Einfachheit eines Morton Feldman. Berührend war hier der Schlottergesang des frierenden Mädchens – die solistische Glanzleistung einer Sängerin, die bibbernd, wimmernd, in einer Art menschlicher Flatterzunge eine Vokalimprovisation ähnlich dem Scat-Gesang im Jazz abliefert: stimmtechnisch jedenfalls hervorragend, wie diese besonderen Klangfiguren gestaltet waren. Überhaupt entwickelt David Langs Musik ihre Magie im Leisen und Langsamen. Und der Luzerner Chor überzeugt in jeder Nuance dieser zwischen Stille und lichter Präsenz changierenden modernen Passionsmusik des Mädchens aus Andersens Märchen durch ein ausdrucksreiches Singen. Das Werk, das jeder Stimme ihre individuelle Entfaltung gibt, ist notationstechnisch bei aller kompositorischen Schlichtheit doch kompliziert. Die Intonation ist schwierig, umso mehr verblüffte die mit Intonationsreinheit gesegnete Schweizer Vokalgruppe. Gesprochene Passagen und Klangeffekte durch eingesetzte Schellenglocken, Röhrenglocken, Glockenspiel und Crotales bis hin zu dumpfen Trommelschlägen – einmal wird sogar mit einer Bremstrommel gekratzt – unterstreichen noch die beklemmende Stimmung. Das Programm in der ersten Hälfte dieses Konzertabends war konträr in der Zeit und etwas ganz Anderes. Während sich das kleine Mädchen mit den Schwefelhölzern mit einem Leben nach dem Tod begnügen muss, ist die Grundstimmung in den Bußpsalmen von Orlando di Lasso Reue und Zerknirschung, Trost und Zuversicht. Auch in diesen geistlichen Gesängen zeigt das Ensemble Corund seine Kompetenz in Sachen homogenen Ensembleklangs: Intonationsreinheit, Klarheit in der Artikulation. Die konzentrierte Ästhetik dieser Renaissancemusik wird mit Leben erfüllt, und die gesangstechnische Verwirklichung, bis hin zu subjektivem Ausdruck, ist tadellos. Dass aber die Querverbindungen zur zeitgenössischen Musik an diesem Abend stärker nachhallten, hängt sicher damit zusammen, dass David Langs moderne Sprachdeklamation uns doch näher liegt als Lassos frühe und durchaus affektgeladene Vokalpolyphonie.