Lörrach Das allzu Menschliche im Blick

Die Oberbadische
Bildhafte und lebendige Lesung mit (v.l) Alexander Meile, Chantal le Moign und Vincent Leittersdorf Foto: Ursula König Foto: Die Oberbadische

„Wintergäste“: Lion Feuchtwanger auf den Spuren Rousseaus

Von Ursula König

Lörrach. Die „Wintergäste“ waren am Sonntag im Werkraum Schöpflin zu Besuch. „Holdes Land – böse Stadt“: Dieses Thema wird grenzüberschreitend umgesetzt. Polarisierung und Verklärung standen auch im Mittelpunkt der Inszenierung von Eva Tschui Henslova: Profitgier und das wenig zielgerichtete Ausleben von triebgesteuerten Bedürfnissen auf der einen Seite und die Schulung des Geistes andererseits. „Die Menschen sind böse, der Mensch aber ist von Natur aus gut.“ Diese These glaubte der französisch-schweizerische Schriftsteller und Philosoph Jean-Jacques Rousseau nachgewiesen zu haben. In seiner Autobiografie „Die Bekenntnisse“ wollte er der Welt einen Menschen in seiner „Naturwahrheit“ zeigen. Nicht besser, aber anders als andere Menschen.

Rousseau und seine Frau Therese, eine Wäscherin, nahmen 1778 eine Einladung des Marquis de Girardin an, der ihnen ein Nebenhaus auf seinem schlossähnlichen Anwesen zur Verfügung stellte. Dort starb Rousseau im Sommer 1778, möglicherweise an einem Schlaganfall. Diese Zeit auf dem Land in der Nähe von Paris ist Ausgangspunkt des Romans „Narrenweisheit oder Tod und Verklärung des Jean-Jacques Rousseau“ von Lion Feuchtwanger.

Die weitgehend fiktive Geschichte lässt das allzu Menschliche aller Beteiligten aufblitzen. Feuchtwanger verleiht den letzten Wochen des Philosophen mit Fantasie eine dynamische Komplexität und verfällt dabei nicht in allzu ehrfürchtige Hochachtung vor dem großen Denker.

Die Lesung mit Vincent Leittersdorf, Chantal le Moign und Alexander Meile förderte unterhaltsam einige Überraschungen zu Tage, die bildhaft veranschaulichten: So könnte es gewesen sein. Mit einem musikalischen Prolog führten Hristo Kouzmanov (Cello) und Nadia Beelneva (Klavier) in das Geschehen ein. Mit großem Ausdruck und einem sensiblen Gespür für die Feinheiten ihrer Charaktere führten die Rezitatoren in eine Welt, die voller menschlicher Schwächen aber auch von großer Schönheit geprägt ist. Rousseau ist oft in der Natur unterwegs; lässt sich inspirieren und schätzt Gespräche im Dorf. Der große Denker wird dort nicht ernst genommen, weil er mit dem einfachen Volk redet: „Das soll ein großer Herr sein?“ Eine berechnende Schwiegermutter und eine Ehefrau, deren Einfältigkeit nur von ihrer Sinnenfreude übertroffen wird: Feuchtwanger siedelt seine Figuren in einem Klima an, das von einem heilen Landleben weit entfernt ist. Rousseau, den großen Kämpfer für Freiheit, holt er gewitzt von seinem Sockel und portraitiert ihn als Menschen, der versucht, sein Lebensmosaik zusammenzubringen. Doch seine „Bekenntnisse“ schrecken die heimlichen Leser ab und faszinieren zugleich. Diesen Kontrast versteht das Rezitatoren-Team glaubwürdig umzusetzen mit einer lebendigen Skizzierung der Figuren, so dass die inneren Bilder dazu wie von selbst entstehen.

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