Von Gabriele Hauger Regio. Manchmal braucht es nur ein Dutzend Wörter, um zuzuschlagen. Um ins Schwarze zu treffen, tiefste Wahrheit oder größten Witz zu formulieren. Oder um den Leser nachdenklich zu machen. Vorausgesetzt, diese Worte sind mit Bedacht gewählt, begutacht, ausgelotet und im Sinn machenden Rhythmus angeordnet Nikolaus Cybinskis Aphorismen haben dieses Format. Eine Art „Best of“ davon aus den Jahren 1960-2016 sind nun in einem Buch gesammelt auf den Markt gekommen. „Flüsse, Bahnen, Straßen: Alles begradigt. Nur unsere Wege bleiben krumm“ lautet der Titel des im Verlag Waldemar Lutz erschienenen Bandes. Seit 1975 veröffentlicht der frühere Gymnasiallehrer und freie Kulturkritiker aus Lörrach, der dieses Jahr seinen 80. Geburtstag feierte, Aphorismen: in der Süddeutschen, der Schwäbischen Zeitung oder der Frankfurter Rundschau. Und seit dieser Zeit hat Cybinski in schöner Regelmäßigkeit alle paar Jahre einen neuen Sammelband vorgelegt. Der Autor liebt die Sprache. Er geht sorgsam an jede Zeile heran, wobei die Themenvielfalt üppig ist: Das reicht von der Politik über Seelenzustände bis hin zu sehr persönlichen Gefühlsanalysen. Dabei kann sich Cybinski auch aufregen: über falschen Patriotismus („Nun soll ich wieder stolz auf Deutschland sein. Zu blöd! Gerade hatte ich angefangen, das Land zu lieben.“) ebenso wie über die Verhunzung der Sprache. Oder schweren Gedanken nachhängen: „Es gibt unzählige Menschen, die erblicken bei der Geburt die Finsternis der Welt.“ Oder zubeißen: „Zuletzt wühlte er sozialverträglich in den städtischen Abfalltonnen.“ Der Autor liebt die Sprache In vielen seiner Zeilen erweist sich Cybinski als kluger Moralist, der angenehmerweise die durch seine Zeilen ausgelöste Betroffenheit kurz darauf wieder mit großem Witz auflöst: „In der Jugend wünschte er sich kluge Bücher und eine schöne Frau. Es kam umgekehrt, und er dankte dem Himmel für die launische Verwechslung.“ Auch die großen Themen (Un-)Glaube („Aller Anfang ist schwer, dachte Gott erschöpft am Abend des ersten Tages und beschloss, den Dr. Darwin weitermachen zu lassen“) und Alter bekommen Raum. Der Aphorismus als penibler Bruder der Lyrik, wie der Kulturjournalist René Zipperlen im Vorwort des Buches schreibt, verzeiht keine Schludrigkeit, keine Unbedachtheit. Cybinski, geprägt von ganz Großen wie Hebel oder Heine, behandelt die Sprache wie ein fragiles Gebilde. Und er vermag mit seinen Zeilen stets zu überraschen, formuliert Pointen, die sitzen und sich im Kopf festhaken, egal ob in der analytisch-bewertenden Außenschau oder im teilweise sehr persönlichen Blick in sein Innenleben: „Meist kommt die Altersweisheit zu spät. Die Dummheiten des Lebens sind begangen.“ n Nikolaus Cybinski: „Flüsse, Bahnen, Straßen: Alles begradigt. Nur unsere Wege bleiben krumm“, Aphorismen 1960-2016. Verlag Waldemar Lutz, 144 Seiten. Parallel zum Buch wurde eine Twitter-Aktion gestartet: Unter dem Hashtag „#Cybinski80“ gibt es ein Jahr lang anlässlich des 80. Geburtstags in diesem Jahr immer um 12 Uhr einen Aphorismus. Initiator ist René Zipperlen.