Lörrach. Architekt Gerhard Zickenheiner wird voraussichtlich auf den Grundstücken zweier abbruchreifer Häuser in der Teichstraße das höchste Holzhochhaus Baden-Württembergs bauen (wir berichteten). Das Projekt möchte auf engstem Raum ökologisches Bauen, ein modernes Mobilitätskonzept und ansprechende Gestaltung miteinander verbinden. Im Gespräch mit unserer Zeitung erläuterte Zickenheiner das Vorhaben.
 
Herr Zickenheiner, wie kamen Sie auf die Idee, an diesem innerstädtischen Standort ein Holzhochhaus zu bauen?
Die Fahrt des Ausschusses für Umwelt und Technik nach Vorarlberg vor zwei  Jahren hat gezeigt, welche Möglichkeiten das Bauen mit Holz bietet. Danach leitete ich eine Workshopgruppe im TRUZ bei einer Veranstaltung zum Thema Biodiversität in der Stadt. Die vielen Ideen, die sich dabei ansammelten, zusammen mit Gedanken zur Mobilität und zum verdichteten Wohnen mitten in der Stadt, haben  genau zu dem Grundstück und dem Ausschreibungszielen der Stadt gepasst, die an der Stelle eine besondere Qualität sichern wollten. Das Projekt möchte abbilden, wie heute auf ökologische und nachhaltige Weise in der Stadt gebaut und gelebt werden kann.
 
Holzhäuser in der Innenstadt: Kann das gestalterisch funktionieren?
Wir machen da ja kein Blockhaus. Geplant ist ein Sockel mit einem Laden aus Sichtbeton, auf dem werden sich übereinander vier  Wohnungen mit einer Putzfassade befinden, die mit wildem Wein bewachsen ist. Die stehen auf einem Doppelgeschoss aus Sichtbeton. Verwendet wird in erster Linie Fichte aus hiesigem Forst. Das Konzept wird in Zusammenarbeit mit einem regionalen Holzbau-Spezialisten entwickelt.
 
Sie bezeichnen das Objekt auch als „Living Lab“, quasi als „Lebendiges Labor“. Nur zur Info für künftige Bewohner: Wie experimentell ist denn das Projekt?
(lacht) Der experimentelle Charakter ergibt sich aus dem Zusammenspiel  jüngerer Erkenntnisse, gebündelt in einem Objekt, aber wir machen nichts, was nicht erprobt und technisch über gute Erfahrungswerte abgesichert ist. Insbesondere bei Fragen wie Brandschutz oder Statik können Sie davon ausgehen, dass es nicht experimentell ist! Natürlich ist der Brandschutz bei einer Holzkonstruktion ein vergleichsweise schwieriges  Thema, aber wir arbeiten mit erfahrenen Fachingenieuren. Die Stabilität wird durch den Betonsockel gewährleistet, und mit Blick auf die Erdbebengefahr ist eine Holzkonstruktion mit ihrem geringen Gewicht gegenüber Beton eher im Vorteil.
 
Auch bei der Langlebigkeit der Fassade haben Sie keine Bedenken? Was die künftige Anzahl ihrer Bewohner angeht muten Sie dieser ja mit geschätzten 2000 viel zu.
Wenn Sie ein Häuschen mit Garten haben, dann leben im Idealfall alle möglichen Insekten und Kriechtiere unmittelbar zu Ihren Füßen. Eine grüne Fassade dreht das ja nur in die Vertikale. Wir werden nicht so viele haben, wie in einem Garten leben können, aber klar: Die Anzahl der Fassadenbewohner wird die der Hausbewohner deutlich übertreffen. Holzbau und Biodiversität sollen hier zusammengeführt werden. Parasitenschutz muss ebenso gewährleistet sein wie Artenvielfalt. Fassadenbegrünung, etwa mit wildem Wein, ist ja nichts Neues. Es gibt Gebäude, deren Fassaden über viele Jahrzehnte hinweg begrünt sind. Zudem arbeiten wir mit einer Fachfirma für Putze zusammen, die sich speziell mit diesem Thema beschäftigt.
Das Leben ums Haus wird gezielt gefördert, etwa mit Nistmöglichkeiten, auch für Fledermäuse. Das Haus richtet sich natürlich auch an eine Zielgruppe, die so was mag und leben will. Ich sehe zum einen den Gewinn für die Biodiversität in der Innenstadt, und zum anderen wird sich die Begrünung günstig auf das Mikroklima im und ums Haus auswirken.
 
Und auf dem Dach wird gegärtnert?
So ist es, wenn auch in kleinem Rahmen. Jede Wohnung wird eine kleine   Permakultur-Fläche zur Bepflanzung mit Kräutern, Pflücksalat oder anderen, flach wurzelnden Gewächsen bekommen.
 
Wie viele Wohnungen sind geplant und wie viel Platz bieten sie?
Neben dem Ladengeschäft im Erdgeschoss sind vier Mietwohnungen mit rund 75 Quadratmetern Größe vorgesehen und eine Wohnungserweiterung auf dem Dach.
 
Ist das Wohnen in einem Holzhaus günstiger?
Die Miete muss sich im gehobenen Segment bewegen. Das ergibt sich zum einen aus der Zentralität des Standorts, zum anderen stecken in dem innovativen Projekt auch hohe Investitionen, obwohl es im Vergleich zu einem „klassischen“ Gebäude viel schneller gebaut werden kann – was für ein innerstädtisches Bauvorhaben ja auch von Bedeutung ist. Aber die Miete refinanziert sich ein Stück weit: In dieser Lage und bei dieser Anbindung an öffentliche Verkehrsmittel braucht man nicht zwingend ein Auto. Darüber hinaus hat man alles, was man im Alltag normalerweise benötigt, mehr oder weniger vor der Wohnungstür. Zudem wird das Haus so konstruiert, dass der Energieverbrauch durch die hocheffiziente Wärmedämmung gering sein wird.
Ich behaupte: wer mitten in Lörrach lebt, hat alles, was es zum guten Leben braucht, inklusive einem lebenswerten öffentlichen Raum,   und kommt mit wenig Wohnraum aus: Und schon relativiert sich der Preis. Wie bei Vielem an diesem Projekt steckt also auch hier die Aussage drin: Weniger kann mehr sein, Ökologie und Ökonomie ohne mahnenden Fingerzeig.
 
Sie sehen keinen Nachteil darin, dass keine Stellplätze für die teuren Mietwohnungen vorhanden sind?
Es werden sich Bürger finden, die sich darauf einlassen. Unabhängig davon ist ein Mobilitätskonzept Teil des Ganzen. Über ICal kann sich jeder Hausbewohner den hauseigenen E-Smart für zwei, drei Stunden buchen. Betrieben wird der Wagen über die Photovoltaikanlage des Gebäudes. Ungenutzter Strom fließt bis auf 50 Prozent Restladung wieder ins Haus zurück E-Bikes werden ebenfalls mit Solarstrom versorgt. Auch der größte Teil des Warmwasserbedarfs wird durch Solarenergie erzeugt.
 
Inwieweit kann Ihr Projekt ein Impuls für die Weiterentwicklung des Riesgäßchen-Quartiers sein? Bislang scheiterte das Vorhaben dem Vernehmen nach, weil eine Erschließung über die Spitalstraße nicht auf den Weg gebracht werden kann.
Vielleicht kann Bauweise und Mobilitätskonzept die ein  oder andere Idee in das Quartier hineintragen, und vielleicht lässt sich damit auch das ein- oder andere Problem bei der Quartiersentwicklung lösen. Ich kann mir ein  lebendiges durchgrüntes Quartier mir kleinteiliger und dichter Wohnnutzung, vielleicht einem Cafe und ein paar kleinen Läden sehr gut vorstellen. Wenn wir das an ein progressives Quartiers-Mobilitätskonzept koppeln, gelingt das sicher auch mit einer überschaubaren Verkehrsbelastung im Quartier. Im Grunde bin ich nur jemand, der an dieser Stelle ein Haus bauen möchte. Aber vielleicht kann sich durch den integrativen Planungsprozess und die Einbindung unterschiedlicher Disziplinen und Experten etwas darüber hinaus entwickeln. Etwas, das tatsächlich auch Modellcharakter haben könnte. Entscheidungen hierzu obliegen natürlich der Stadtverwaltung, dem Gemeinderat und den Anliegern. Ich halte das Areal für hochinteressant und eine wunderbare Ergänzungsoption für Lörrachs Innenstadt.
 
Die Fragen stellte Bernhard Konrad