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Lörrach Ein Spiel mit Erwartungen

Die Oberbadische
Fast schon ein Kammerspiel: Die theatralisch inszenierte Lesung mit dem großen Wintergäste-Ensemble. Foto: Jürgen Scharf Foto: Die Oberbadische

Lesung: „Wintergäste“ im Ackermansshof Basel mit „Die Wiedervereinigung der beiden Koreas“

Von Jürgen Scharf

Lörrach-Brombach. Liebe hat immer Potenzial in alle Richtungen. Bei den diesjährigen Wintergästen hat man schon die unmögliche und unglückliche Liebe kennengelernt (Dostojewski); jetzt die Liebe, die fehlt und die Liebe, die nicht genügt.

Der französische Theaterautor Joël Pommerat hat das Thema Liebe in eine ganze Reihe von Szenen verpackt, die in keinem Zusammenhang stehen. Wie die Liebe im gesellschaftlichen Kontext funktioniert, zeigt sein Theaterstück „Die Wiedervereinigung der beiden Koreas“, das mit dem großen Wintergäste-Ensemble – sieben Darsteller! – am Sonntag in Auszügen auf die Bühne im rappelvollen Werkraum Schöpflin in Brombach kam.

In eigentlich über 20 szenischen Fragmenten spricht der Autor viele Aspekte des Lebens und der Beziehungen an. Einige charakteristische Situationen und Momente aus diesem rollen- und darstellerreichen Stück hat die Dramaturgin Marion Schmidt-Kumke ausgewählt. Ein dankbarer Stoff! Sehr anregend. Auch viel Stoff zum Nachdenken und Diskutieren. Nicht nur, dass man mit Perspektiven von Wahrheit konfrontiert wird, es ist ein Spiel mit Erwartungen, der Wahrnehmung und dem Imaginierten, mit einer hohen Ambivalenz über Reaktion und Psychosen.

Jede der Szenen an sich ist schon skurril, erinnert teilweise an Sartre, aber natürlich nimmt der französische Dramatiker (ein unglaublich toller Autor, der seinen Weg nach oben machen wird) Anregungen von Yasmina Reza auf – auch wenn die Erfolgsautorin etwas weicher und boulevardesker erscheint als Pommerat.

In der Zuspitzung ergeben sich ziemlich irreale Bilder. Etwa die mit der Babysitterin. Eine Frau und ein Mann engagieren für den Abend eine Babysitterin für die beiden Kinder, doch die gibt es gar nicht. Das Ganze wird zu einem Albtraum. Was ist hier eigentlich vorgefallen? Wer ist hier geisteskrank? Wie sieht es mit den Identitäten aus?

Oder die Geschichte mit der Frau, die ihren Mann verlassen will. Nicht, weil er sie nicht liebt, aber „Liebe allein reicht nicht“, sagt sie. „Es ist schrecklich“. Oder da ist die nicht sehr alte demente Frau, die im Krankenhaus von ihrem Ehemann besucht wird: eine vielleicht nicht ganz realistische Szene mit vielen Geistesblitzen, die aber in ihrer reduzierten Form – ohne störendes Bühnenbild oder Kostüme – zum Zuhören zwingt und zeigt, dass auch diese Menschen ganz normale Bedürfnisse haben (darüber redet man nicht gern!).

Das Stück mit dem etwas irreführenden Titel, der in dieser Demenz-Szene zitiert wird und symbolisch als Erklärung für Liebe erscheint, schlägt harsche aktuelle gesellschaftspolitische Töne an. Zu einer Ausweitung der Kampfzone kommt es in der Szene über Liebe zu Kindern in der Gesellschaft, in der liebesunfähige Eltern dem Lehrer („Ich liebe Ihren Sohn Antoine“) den „Prozess machen“. Nicht zuletzt vor dem ganzen Pädophilie-Hintergrund ist dies eine brisante Szene.

Liebe im Krieg, eine (Pseudo?)-Vergewaltigung im Hotelzimmer, eine Frau beim Psychotherapeuten, Trennungsgespräche, eine (sehr komische) Szene vor der Hochzeit im Flur des Standesamts – ein ganzes Kaleidoskop an Szenen, die nicht nur gelesen, sondern schon als Kammerschauspiel mit viel Dialogischem aufgeführt wurden.

Die Inszenierung wurde dem Anspruch einer szenischen Lesung mehr als gerecht, zumal die Schauspieler Angela Buddecke, Emilia Haag, Christian Heller, Chantal Le Moign, Sibylle Mummenthaler, Stefan Saborowski und Doris Wolters in verteilten Rollen sehr differenziert agieren und der Zuschauer in einen Sog hineingezogen wurde.

Man wünschte sich mehr solcher theatralisch-szenischer Wintergäste-Lesungen!

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