Drei Jahre reifte die Idee, Bertolt Brecht auf die Bühne des Nellie Nashorn zu bringen. Am Samstagabend war es endlich so weit. Mit „My best of BB“ starteten Gina Pietsch (Gesang) und Christine Reumschüssel (Piano) einen Streifzug durch das umfangreiche Werk des deutschen Dramatikers, der auch nach seinem Tod vor allem eines sein wollte: unbequem. Von Ursula König Lörrach. Dass er den Mut hatte, sich bereits zu Schulzeiten gegen herkömmliche gesellschaftliche Ansichten zu stellen, spiegelte sich in Gina Pietschs 15. Brecht-Abend ebenso wider wie Brechts Einstellung zu Fragen der Moral. „Ich weiß ja nicht, ob Ihnen so was grad gefällt“: Die Brecht-Interpretin Gina Pietsch versteht es, die Gedankenwelt des Lyrikers Brecht wandlungsfähig und hochaktuell einem aufgeschlossenen Publikum nahe zu bringen. Und so zeigte sich der Nellie-Leiter Tim Krause „sehr begeistert“ angesichts der dicht besetzten Stuhlreihen. Allein schon die Frage: „Denn wovon lebt der Mensch“ scheint, gesellschaftlich zeitlos verankert, geeignet, einen großen Teil des Abends auszufüllen. Brecht, der lange Zeit erfolglose Dichter erlangte vor allem mit „Mutter Courage und ihre Kinder“ sowie der „Dreigroschenoper“ Weltberühmtheit. Was manchen Brecht-Interpreten in früheren Zeiten zu gewagt war, gehört längst zu keinen gesellschaftlichen Tabus mehr, wie Piesch humorvoll vor allem beim Thema Erotik verdeutlichte. Mit Brecht das Lebensthema gefunden Die Sängerin und Schauspielerin scheint mit Brecht ihr Lebensthema gefunden zu haben und schöpft aus einem großen Reichtum, der die „Klampfenlieder“ ebenso umfasst wie die Geschichten von Herrn Keuner, die Seeräuberlieder und die poetisch eher zarten Liebeslieder. So umfangreich das Werk des 1898 geborenen und 1956 gestorbenen Schriftstellers ist, so facettenreich zeigt sich die Schauspielkunst der Sängerin, die mit Reumschüssel eine ebenso einfühlsame wie temperamentvolle Instrumentalsolistin fand. Es ist vor allem die Gratwanderung zwischen gefühlvoller Lyrik und frivolem Charme, die das dichte Programm zum Knistern bringt und einiges an Spannung verleiht. An Aktualität scheint Brechts politisches und menschliches Engagement bis dato nichts eingebüßt zu haben. Pietsch vermittelt mit wahrer Leidenschaft ein Plädoyer dafür, den gesunden Menschenverstand einzuschalten und sich nicht manipulieren zu lassen. Und so klingt einer der bekanntesten Sätze Brechts nach wie vor aktuell: „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.“ Deshalb passte auch die „alternative weltoffene Deutschlandhymne“ gut zu einer Würdigung des Menschenfreundes Brecht, der sich gegen „Speichellecker“ immer für Frieden einsetzte. Er war ein politischer Unruhestifter ebenso wie ein Botschafter des Friedens. Und diese Vielfalt verstand Pietsch ebenso sensibel wie humorvoll zu würdigen.