Lörrach Stimmen-Vielfalt mit klarer Linie

Die Oberbadische
Der Blick ins Programmheft stimmt ihn heiter: Markus Muffler Foto: Gabriele Hauger Foto: Die Oberbadische

Interview: Der Leiter des Lörracher Stimmen-Festivals Markus Muffler spricht über Stilviefalt, Lieblingsorte und Teamarbeit

Lörrach. Der Prolog „Stimmen on tour“ ist bereits beendet. Am Donnerstag wird mit Weltstar Thomas Quasthoff im Lörracher Burghof offiziell das 24. Stimmen-Festival eröffnen. Über das Programm und die Rahmenbedingungen unterhielt sich Gabriele Hauger mit Festival-Chef Markus Muffler.

Frage: Das unangenehmste Thema gleich zu Beginn: die Sicherheit. Die Kontrollen werden verschärft, das haben wir berichtet. Trotzdem: Ist Ihnen ein wenig mulmig zumute?

Wir haben schon immer beim Festival genau hingeschaut. In bewährter Zusammenarbeit mit den Partnern von der Security-Firma Eloo und der hiesigen Polizei. Aber natürlich rückt die Sicherheit stärker in den Vordergrund, und man schaut automatisch noch genauer hin. Das Thema wurde bei uns intensiv diskutiert, und wir haben uns mit Polizei, DRK und Eloo zusammengesetzt. Das alles aber in einem vernünftigen Rahmen. Mir persönlich ist überhaupt nicht mulmig. 100 prozentige Sicherheit gibt es nicht. Aber was wir können, das tun wir. Mit unseren Maßnahmen, dass beispielsweise nur kleine Taschen auf den Marktplatz mitgenommen werden dürfen, wollen wir den Fokus des Sicherheitspersonals wieder verstärkt darauf legen, die Menschen genau zu beobachten, anstatt nur Rucksäcke zu durchsuchen. Glücklicher- weise gibt es in Lörrachs Zentrum ja auch die Poller, die an den Konzertabenden ab 18 Uhr oben bleiben. Wenn wir Panik hätten, dürften wir gar keine Konzerte veranstalten. Ob generell die Angst überwiegt oder nicht, muss letztlich jeder für sich entscheiden.

Frage: Ein weitaus erfreulicheres Thema: Saint-Louis ist dieses Jahr zwei Mal Konzertort: beim Prolog „Stimmen on tour“ und beim Konzert mit China Moses. Sind Sie – was die Zusammenarbeit mit La Coupole betrifft – auf einem guten Weg?

Eleonora Rossi ist eine sehr gute künstlerische Leiterin für die Coupole, die viel in der Welt herumgekommen ist, mehrere Sprachen spricht. Wir verstehen uns auf unsere kosmopolitische Art sehr gut. Da entsteht eine schöne Verbindung, der Boden ist bereitet. Und aus Frankreich kommt das klare Zeichen: Das Stimmen-Festival wird hier jedes Jahr gastieren. Was sonst noch an Kooperationen entsteht, da müssen Sie sich überraschen lassen. Meiner frankophilen Ader kommt das alles sehr entgegen. Diese Kooperation liegt mir wirklich sehr am Herzen.

Frage: Von Frankreich zur Schweiz: Urgestein Stiller Has muss natürlich bei den Eidgenossen auftreten. Insgesamt ist Ihnen die Harmonie zwischen Musiker und Konzertort sehr wichtig. Nach welchen Kriterien entscheiden Sie, welcher Künstler, wo auftritt?

Das ist eine Mischung aus mehreren Argumenten: aus pragmatischen und inszenatorischen. Pragmatisch ist das Geld. Höhere Gagen, erfordern mehr Publikum. Deshalb präsentieren wir Ute Lemper und Elbow auf dem Domplatz. Gleichzeitig passt das hier atmosphärisch am besten, gerade Lempers Coelho-Programm open air und mit seinen Videoeinspielungen: Bei gutem Wetter ist das nicht zu toppen.

Die zweite Frage ist: Welche Konzertatmosphäre ist kreierbar? Beispiel Rosenfelspark. Hier hat sich herauskristallisiert, dass am besten gute Singer-Songwriter oder Roots funktionieren, auch ein cooler Bluesabend oder Reggae, Musik, die eine gewisse Lässigkeit ausstrahlt. Da passt ein Thomas Quasthoff nicht hin. Wir überlegen uns daher genau, wo, was passen könnte.

Frage: Stichwort Marketing und Neue Medien. Wie wichtig ist inzwischen für Festivalveranstalter das Engagement in den sozialen Netzwerken?

Wahnsinnig wichtig. Die Erreichbarkeit des Publikums hat sich stark verändert. Unsere Tickets bei Stimmen verkaufen wir immer mehr online, obwohl es die persönliche Beratung natürlich auch noch braucht. Aber die Dominanz des Digitalen wird sich meiner Meinung nach in den nächsten Jahren dramatisch verstärken. Wichtig sind natürlich auch die sozialen Medien. Die werden von verschiedenen unserer Mitarbeiter täglich bedient, ebenso unsere Homepage. Wir müssen da am Ball bleiben, ohne den analogen Bereich wie beispielsweise das schön gestaltete Programmheft oder die persönliche Begegnung zu vernachlässigen.

Wir sind an dem Thema dran. Eine der Maßnahmen ist, dass wir dieses Jahr einen Image-Film über das Festival in Trailer-Länge drehen. Bewegte Bilder sind inzwischen extrem wichtig geworden.

Frage: Andererseits gehen Sie ja mit „Stimmen on tour“ auch den klassischen Werbeweg mit kostenlosen Konzert-Appetizern inzwischen sogar bis Freiburg. Zwischen Binzen und Saint Louis wurden Konzerte mit Ala.ni und den Saint Sisters geboten.

So was gehört auch zum Marketing-Aspekt. Es steckt aber in erster Linie ein künstlerischer Sinn dahinter. Das Stimmen-Festival zieht mittlerweile viel Publikum aus der Nordwestschweiz und bis aus der Region um Freiburg an. Das Interesse am Festival ist gerade dort sehr groß, besonders auch an den Rosenfelsparkkonzerten. Außerdem habe ich zu der Kulturkneipe Babeuf in Freiburg eine persönliche Beziehung, sie hat eine sehr schöne Atmosphäre, richtig urig. Mehr Orte als die sechs ausgewählten sollten es beim Stimmen-Prolog aber nicht werden.

Insgesamt arbeiten wir hier mit Partnern zusammen, die als Aufführungsorte ihre Preziosen zur Verfügung stellen. Ich vergleiche das ein bisschen mit einem Pfeifer, der die Menschen aus der Umgebung zum Festival lockt. Das Entdeckerpotenzial ist groß. Die enorme Resonanz hat mich letztes Jahr schon überrascht. Und – in diesem Jahr kamen zu den Konzerten noch mehr Leute.

Frage: Sie sind größtenteils ein eingespieltes Team. Wie stark ist der Einfluss des Teams aufs Programm?

Ich gestalte das Stimmen- und das Burghof-Programm gemeinsam mit Kristina Danwerth, und zwar gleichberechtigt. Wir sprechen alles gemeinsam ab, und ergänzen uns perfekt. Sie hat Musik studiert, kommt von der Klassik, hat ein Faible für neue Popmusik und ist darin sehr beschlagen. Meine Historie ist die schwarze Musik – Jazz, Rock, Pop. Gemeinsam zu arbeiten, das ergänzt sich bestens!

Natürlich trage ich die letztendliche Programmverantwortung. Aber ich mag es, mich mit Menschen zu umgeben, die ihren Job gut machen. Schließlich kann ich nicht alles wissen. Ein gutes Team ist darum essenziell. Ich möchte kein selbstzentriertes Programm machen, aber natürlich werde ich auch nichts ins Programm nehmen, das ich ablehne.

Frage: Zum Auftakt ein jazziger Quasthoff. Ein Herzenswunsch?

Quasthoff war sicherlich einer der brillantesten klassischen Sänger, die es jemals gab. Es war schon lange mein Wunsch, ihn zum Stimmen-Festival zu holen, denn ich finde ihn als Künstler hervorragend. Außerdem bin ich mit dem Bassisten seines Quartetts Dieter Ilg befreundet, der ja regelmäßig bei uns im Burghof auftritt. Jetzt hat’s endlich geklappt.

Frage: Dieses Jahr gibt es länderübergreifende Produktionen mit einheimischen Musikern wie bei „Lure und 100 Stimmen“, es tritt ein hiesiger Kinderchor gemeinsam mit jungen französischen Kindern auf: Dafür haben Sie doch sicher viel positive Resonanz auf lokaler Ebene erhalten?

Wissen Sie, diese früheren Vorwürfe, dass wir zu wenig lokale Musiker bringen oder zu wenig Eigenes auf die Beine stellen, die haben doch mittlerweile so einen Bart. Egal ob im Burghof oder bei Stimmen: Man wird es manchen Leuten nie recht machen.

Um auf Ihr Beispiel zu kommen: Ulrich Winzer von „Lure“ hat ein super Projekt, ist auf uns zugekommen, hat etwas Binationales, Lokales auf die Beine gestellt – das hat mich sofort überzeugt. Ebenso das Projekt mit den Lörracher und Straßburger Kinderchören. Wenn ich so etwas angeboten bekomme, bin ich der letzte, der sich nicht überzeugen lässt. Ich stehe aber dazu: Wir öffnen nicht für jeden die Bühne, nur weil er ein lokaler Künstler ist.

Frage: Die stilistische Bandbreite des verdichteten Festivalprogramms ist dieses Jahr besonders groß: Beatboxen und Schubert, Weltmusik und Jazz, Altrocker und Funk, Kinderchor und Blasmusik, Poesie und Chanson: ein Coup, um wirklich jedem Musikgeschmack etwas anzubieten?

So soll’s sein, so stelle ich es mir vor. Ich möchte das Stimmen-Festival so, dass es die Hauptgenres, die wir präsentieren möchten, beinhaltet. Natürlich kann man immer an den Stellschrauben drehen. Aber vom Künstlerischen her passt alles. In diesem Programm finden wir uns auch konzeptionell wieder. Jetzt muss nur noch das Wetter stimmen.

Frage: Apropos Wetter: Ein wenig Schmunzeln muss man schon, wenn man das Programm des Lieder- und Akkordeon-Abends in der Ottilienkirche liest: Schuberts Winterreise – am 11. Juli!

Das ist doch super! Ich find’s klasse. Was meinen Sie, wie heiß es an diesem Abend wird und wie die Leute froh sind, wenn sie eine musikalische Abkühlung bekommen.

Frage: Lieblingsort Rosenfelspark: Mit seiner enormen stilistischen Vielfalt ist er schon fast ein Mini-Festival in sich. Was spricht Sie am diesjährigen Programm besonders an?

Stimmt. Das ist fast schon ein bisschen wie ein Brennglas. Man kann dort im Rosenfelspark wirklich viel auf die Beine stellen. Zum Beispiel ein Konzert wie der Auftritt von Jacob Collier am 27. Juli. Er ist großartig und passt gagentechnisch dort bestens hin. Bands wie Lambchop zum Finale, die etwas größer sind, passen hier aber auch. Wir suchen ja das ganze Jahr über musikalische Edelsteine – und die kann man im Rosenfelspark sehr gut glänzen lassen. Da kann man sich auch mal auf das Feine konzentrieren. Hier funktioniert einfach enorm viel.

Das Publikum hat sich übrigens inzwischen gewandelt. Es kommen mehr Jazzfans, Leute von weiter her, eine urbane Singer-Songwriter Fangemeinde oder Fans von Scott Matthew, der meiner Meinung nach genau wie der junge David Bowie klingt. Oder die junge Nina Attal mit ihrer Stimme und Bühnenpräsenz, dass man nicht mehr weiß, wo unten und wo oben ist.

Wir finden das Programm in diesem Jahr so gut, die Leute müssen sich unbedingt einen Rosenfels-Pass kaufen.

Frage: Wie wichtig schätzen Sie inzwischen das Drumherum ums Festival ein? Service, Preise, Gastronomie?

Der Fokus, der früher aufs Essen gelegt wurde – gerade auch im Rosenfelspark – den finde ich übertrieben. Für mich steht die Musik klar im Vordergrund. Natürlich muss das gastronomische Angebot qualitativ gut sein – und das wird es auch, dabei aber bleibt es bezahlbar. Aber die Gastronomie darf nicht Zweck des Festivalbesuchs sein.

Frage: Wie stark sind Konkurrenz und finanzieller Erfolgdruck?

Eins möchte ich einmal mehr betonen: Die Festivalpreise bei uns sind nicht zu hoch, wie es gelegentlich heißt. Im Gegenteil. Schauen Sie sich mal um, was Konzertkarten generell inzwischen kosten.

Wichtig für unsere Bilanz ist zunächst mal, dass wir wieder unsere Sponsoreneinnahmen erhöhen konnten. Unser Vorverkauf läuft zudem besser als der im vorigen Jahr zum Vergleichszeitpunkt. Wir haben mit Beginner und ZZ Top schon mal an zwei Abenden auf dem Marktplatz sehr große Zuschauerzahlen, die sich auf jeden Fall rechnen werden. Die drei Säulen – Ticketing, Sponsoring und Zuschüsse – die funktionieren nach derzeitigen Erkenntnissen. Wenn jetzt das Wetter stimmt, der Rosenfels noch mit Kurzentschlossenen zieht, und vielleicht noch ein paar mehr zu Ute Lemper kommen, sollte dieses Jahr gut werden.

Frage: Es ist Ihr fünftes Stimmen-Festival. Prickelt es noch?

Absolut. Ich genieße es immer noch, gestalterisch zu arbeiten, strategische Überlegungen und künstlerische Ambitionen zu verfolgen. Ich habe immer noch viele Ideen, es gibt immer noch Musiker, die auf meiner Liste stehen, die Leidenschaft ist noch immer groß. Allerdings wird ein Großteil meiner Zeit von Management-Aufgaben aufgefressen.

Andererseits muss ich mich nicht mehr so viel ärgern. Weil Burghof und Festival eine klare Linie fahren und einen tollen Zuspruch haben. Wir sind da auf einem guten Weg. Ich gebe alles, dass das so bleibt.

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