Lörrach Lebensbilder aus Zeit des Schreckens

Die Oberbadische
Zahlreiche Zeitzeugen der Naziherrschaft in Lörrach, die Hansjörg Noe (r.) während zwei Jahren interviewt hatte, durften bei der Buchvorstellung die ersten vom Autor signierten Bände in Empfang nehmen. Foto: Walter Bronner Foto: Die Oberbadische

Hansjörg Noes Lörracher Zeitzeugendokumentation zur lokalen Situation im Dritten Reich vorgestellt

Von Walter Bronner

Lörrach. „Es gibt Untaten, über welche kein Gras wächst“, bemerkt Johann Peter Hebel am Schluss seiner Kalendergeschichte „Der Husar in Neisse“. Erneut zitiert wurde dieser „Merke“-Satz am Mittwochabend von Hansjörg Noe am Schluss seiner fesselnden Ausführungen zum soeben erschienen 22. Band der „Lörracher Hefte“.

In diesem lässt Noe Zeitzeugen zum Nationalsozialismus oder deren Nachkommen zu Wort kommen und wertete Tagebücher und andere autobiografische Dokumente, inklusive einem Poesiealbum, aus der Zeit von 1933 bis 1955 aus. Denn erst zehn Jahre nach dem Zusammenbruch des NS-Regimes durften die letzten Kriegsteilnehmer aus sowjetischer Gefangenschaft heimkehren.

31 Schicksale erfasst

Unter ihnen auch Gerhard Moehring, der langjährige Kustos des Dreiländermuseums, das unter seine Ägide als „Museum am Burghof“ seine überregionale Bedeutung erlangte. Moehring, der von den Sowjets als Kriegsverbrecher verurteilt wurde, kämpfte nach der Rückkehr vergeblich um seine Rehabilitation, die ihm bis heute versagt blieb.

Sein Schicksal ist eines von den 31 Lebensbildern, die jetzt in Noes ergreifender Zeitzeugen-Dokumentation „Nun kann ich darüber sprechen…“ auf 176 Seiten erfasst sind.

Es ist der bisher umfangreichste Band der Lörracher Hefte, wie Oberbürgermeister Jörg Lutz bei der Vorstellung im voll besetzten Hebelsaal (und im Beisein zahlreicher von Noe interviewter Zeitzeugen) feststellte und betonte, dass damit eine weitere bedeutsame Dokumentation zur regionalen Geschichte des Dritten Reiches vorgelegt werde, die als „selbstständige Säule“ innerhalb der inzwischen umfangreichen Literatur zu Lörrach im Nationalsozialismus dastehe.

Einigen dieser Lebensbilder sind Aphorismen von Nikolaus Cybinski vorangestellt. Etwa „Er wollte nicht mit dem Strom schwimmen, da schwamm der Strom mit ihm“, passend zum Bekenntnis eines Zeitzeugen, „Ich war dabei, heute schäme ich mich!“ im einleitenden Kapitel.

Es sind mitunter erstaunlich freimütige Bekenntnisse, die dem Autor während seiner zweijährigen ehrenamtlichen Recherchearbeit anvertraut wurden. Etwa über die Ausgrenzung der Lörracher Juden und deren schließliche Deportation unter den Blicken neugieriger Schaulustiger und unfreiwilliger Beobachter. Unter letzteren ein damals siebenjähriges Mädchen, das bis heute immer das Bild vor Augen hat, wie ein Nazischerge einer Jüdin, die sich nach einem Brot bückt, tritt.

Die chronologisch angeordneten Lebensbilder machen beklemmend erfahrbar, wie sich das Regime etablieren konnte, wie die Jugend vereinnahmt wurde, wie Skeptiker und Gegner drangsaliert oder ausgeschaltet wurden, wie Angst und Misstrauen den Alltag und den Umgang mit Nachbarn beherrschten, wie sich Fatalismus und stillschweigende Unrechtsduldung breit machten.

Schilderungen von Gestapo-Terror, Liquidationen von Gefangenen, Schikanen an Zwangsarbeitern und schließlich die von Ängsten und Hoffnungen begleiteten Erlebnisse beim Einmarsch der Sieger fehlen ebenfalls nicht in diesem üppig und mit vielen bisher unveröffentlichten Bildern illustrierten Band. Das Vorwort dazu verfassten Museumsleiter Markus Moehring und Stadtarchivar Andreas Lauble als Herausgeber der vom Waldemar-Lutz-Verlag in gediegener Aufmachung edierten Neuerscheinung.

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