Lörrach Liebliche Sirenengesänge im Inferno

Die Oberbadische

„Stimmen“: Die britische Sängerin Anna Calvi und Lasse Matthiessen begeistern im Lörracher Burghof

Von Dorothee Philipp

Lörrach. Eine Frau wie ein Orkan, die Stimme wie Donnerhall, mächtig, mit unglaublichem Umfang, die Action explosiv, die Gitarrenriffs an der Schmerzgrenze: Anna Calvi, die britische Sängerin und Gitarristin mit italienischen Wurzeln zeigte beim Stimmen-Festival am Montag im Burghof, was auf der Skala von Temperament und Action nach oben alles möglich ist.

„Suzanne and I“ und „Eliza“ geben gleich am Anfang die Richtung vor, das Hintergrundbild mit den Sommerwölkchen wird vom Bühnennebel verdüstert, der Sound gemahnt an berstendes Eisen. Die Frau geht ansatzlos zur Sache, verführerisches Outfit mit neckischen Accessoires? Bis auf atemberaubend hohe Absätze und einen Glitzergürtel Fehlanzeige. Ihre Schönheit kommt von ganz tief innen, die tiefliegenden Augen mit dem pechschwarzen üppigen Mascara scheinen Blitze zu schleudern.

Anna Calvi hat nicht nur eine Ausnahmestimme, die mitten im Inferno auf einmal liebliche Sirenengesänge anstimmen kann, wie bei „Rider“, sie ist auch eine ausgezeichnete Gitarristin, fingerfertig, schlagkräftig und in der Soundgestaltung kompromisslos. Viele verschiedene Gitarren lässt sie sich im Verlauf des Abends zureichen, manchmal scheint es, sie wolle in die Fußstapfen von Pete Townsend treten, der seine Instrumente auf der Bühne regelmäßig zu Kleinholz verarbeitet hat.

Im Hintergrund rackert Drummer Alex Thomas und werkelt der Keyboarder Glenn Callaghan, es geht kernig, ultrahart und ultralaut zur Sache. Außergewöhnliche und filigrane Soundeffekte liefern die „diversen Instrumente“ von Mally Harpaz, die wie eine Alchimistin in ihrem Labor die Zutaten mischt: Glockenspiel, ein spiralförmig geformtes Schlagwerk, eine Art Ziehorgel und das Xylophon, das in „Carry me over“ ein magisches sechstöniges Ostinato in Endlosschleife unter den verführerischen Gesang legt und auch dann noch gut durchkommt, als aus dem Nichts Schlagzeug und Gitarre losbrechen.

„Blackout“, „I’ll be you man“, „Desire“ – der atemlose, wie wahnsinnige Parforceritt geht fast nahtlos von einem Stück zum nächsten, für hübsche Artigkeiten wie „Nett, in Lörrach zu sein“, ist hier kein Platz. Im Telegrammstil stellt Anna Calvi kurz ihre Band vor, bevor sie sich in den nächsten Sound-Tsunami stürzt. Die Lightshow ist differenziert, von hinten unten strahlende Scheinwerfer werfen ein dramatisches Licht auf ihre Silhouette mit den wilden Locken. Stille Momente, jedoch auch mit schwülen Untiefen – „the desire is so strong“ –, gibt es in der ersten Zugabe „First we kiss“, bevor mit „Jezebel“ noch einmal der Sturm losbricht. „Thank you – good night“, und weg ist sie.

Zur Einstimmung des Abends durfte sich das Publikum zuvor zu den wohlig schönen Songs des wuschelköpfigen Dänen Lasse Matthiessen tiefenentspannen. Der sensible Barde aus Dänemark war für die kurzfristig verhinderte Norwegerin Thea Hjelmeland eingesprungen.

Tiefenentspannung bei wohlig schönen Songs

Eine sympathische Stimme und das schöne Saitenspiel der Gitarre sind das ganze Equipment dieser Show. Matthiessen selbst steht still am Mikro, als wolle er ein Ständchen bringen, kostet die Melodien aus, berichtet von verschneiten Hütten im schwedischen Süden, von Dreiecksgeschichten, Reisen, von „Wasser und Salz“ und gegenseitigem In-die-Arme-Fallen, von den „Cinderellas“ in der Stadt und fragt Ulysses, wie es ihm gelang, den Sirenen zu entkommen.

Schöne Musik mit Tiefgang, selbstbewusst und schlicht vorgetragen, in der selbst Melancholie und Verzweiflung etwas Genussvolles haben. Größer konnten die Kontraste an diesem Abend nicht sein. Für aufregende Konstellationen ist das Stimmen-Festival allemal gut.

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