Von Beginn an – seit 22 Jahren – begleitet  unsere Redaktion  das Stimmenfestival mit Texten und Fotos. Es gab viele eindrucksvolle und einige enttäuschende, sehr heiße und extrem nasse Konzerte. Zahlreiche große Namen waren auf dem Alten Marktplatz zu hören, aber auch manch unbekannter Künstler sang sich in unser Gedächtnis. In einer kleinen Serie möchten wir im Verlauf des diesjährigen Festivals unter dem Motto „Stimmenmomente“ besondere Erlebnisse der vergangenen Jahre Revue passieren lassen.

Von Guido Neidinger
Lörrach. Die Idee vom Stimmen-Festival hatte Helmut Bürgel bereits im Gepäck, als er nach Lörrach kam. Es war erst ein paar Tage her, seit der Gemeinderat den neuen Kulturreferenten der Stadt bestellt hatte, da konkretisierte Bürgel seine Pläne, wohin die kulturelle Reise Lörrachs mit ihm gehen sollte. In seiner ersten Pressekonferenz sprach er von einem Festival, das er mit „Stimmen der Welt“ umriss. Was auch immer das sein mochte.

Dass daraus schon bald ein anerkanntes internationales Musik-Festival werden sollte, ahnte niemand. Im kulturell eher verschlafenen Lörrach war das in diesen Jahren auch kein Wunder. An so mancher Wand in der Stadt konnte man den eilig dahingepinselten Satz „Lörrach ist tote Hose“ lesen. So recht widersprechen mochte dem niemand. Die alte Stadthalle fristete ein eher klägliches Dasein und war denkbar ungeeignet für große Kulturevents. Und den Burghof gab es noch nicht.

Doch Helmut Bürgel sollte das nicht aufhalten, auf seinem Weg, Lörrach kulturell gründlich umzukrempeln. Dass er den Stadträten mit seiner verrückten Idee von einem international besetzten Musikfestival gar nicht erst zu kommen brauchte, ohne Argumente in Form von Barem in der Hand zu haben, ahnte er wohl. Also suchte Bürgel zunächst einmal Mitstreiter. Und so klopfte er bei einem an die Tür, der verrückte Ideen mag – Bernd Pauls, damals Chef der Sparkasse Lörrach-Rheinfelden. Es ist nicht zu hoch gegriffen, wenn man im Rückblick behauptet, ohne Pauls gäbe es das Stimmen-Festival heute möglicherweise gar nicht. Die Sparkasse engagierte sich vom Start weg nicht nur finanziell bei „Stimmen“, Pauls war auch Türöffner für weitere Sponsoren.

Derart gerüstet, stieß Bürgel dann auch beim Gemeinderat nicht auf taube Ohren. In den Köpfen der Lörracher war das Festival aber immer noch nicht recht angekommen, auch wenn die Vorbereitungen bereits auf vollen Touren liefen. Selbst bei uns Journalisten nicht. Dass wir uns akkreditieren mussten wie bei großen Konzerten in Metropolen, das wurde uns ziemlich spät bewusst. Die Dimension des Festivals erkannten viele erst, als in der gerade fertiggestellten Fußgängerzone auf dem Alten Markt eine für Lörracher Verhältnisse riesige Bühne aufgebaut wurde.

Auch ein Blick auf die Stimmen-Plakate von 1994 macht deutlich: Lörrach stand vor einer kulturellen Zeitenwende. Nun gut, Patricia Kaas, die aus dem saarländisch-lothringischen Grenzgebiet stammende Sängerin, war 1994 trotz ihrer Erfolge noch eine aufstrebende Künstlerin. Nur, wer sich etwas besser auskannte im Musikgeschäft, traute ihr zu, einmal in die großen Fußstapfen einer Edith Piaf zu treten. Aber nicht wirklich viele in Lörrach kannten sich gut aus im internationalen Musikgeschäft. Das musste man auch nicht, um eine andere Sängerin gut zu kennen, die ganz vorne stand auf dem Premierenplakat: Joan Baez. Die damals 53-Jährige war ein Weltstar. Ihr Engagement gegen den Vietnam-Krieg und gegen Rassentrennung waren legendär. Bereits drei Jahrzehnte Jahre vor ihrem Konzert in Lörrach hatte sie ihr berühmtes „We Shall Overcome“ gesungen, das zu ihrem Markenzeichen wurde und Joan Baez zum Gewissen ihrer Generation machte.

Dass diese Künstlerin an jenem 3. August des Jahres 1994 in Lörrach als erste Künstlerin auf der Stimmen-Bühne stand, einen Tag vor Patricia Kaas, erfüllte viele Lörracher mit Stolz. Und Joan Baez hielt, was die Menschen im Dreiländereck sich von ihr versprachen. Sie gab sich volksnah und ohne Allüren. Joan Baez verzog sich nicht wie viele Stars und Sternchen, die ihr in den vergangenen 21 Jahren bei „Stimmen“ folgten, in ein Basler Luxus-Hotel, um sich am Abend von dort direkt zur Bühne chauffieren zu lassen.

Nein, die Folk-Ikone radelte am Nachmittag gemütlich durch Lörrach. Am Abend, während ihres Auftritts, fuhren Mauersegler mit ihren schrillen Schreien der Künstlerin immer wieder in die Parade. Doch die störte das nicht. Im Gegenteil: „It’s the real concert“ (Das ist das echte Konzert), deutete Joan Baez auf die Vögel über dem Alten Markt und freute sich über die musikalische Konkurrenz.

Es war brütend heiß an jenem ersten Stimmen-Abend – so wie in diesem Sommer. Und als das bewegende Konzert zu Ende war, als die letzte Zugabe dieser sympathischen Künstlerin verklungen war, auch da wurde deutlich, dass sich Joan Baez nicht hatte verbiegen lassen. Weil ihr während des Konzerts zu warm geworden war, stieg sie kurzerhand in den Brunnen auf dem Alten Markt und kühlte sich die Füße. Wahrhaft eine Künstlerin von Weltformat, die ihre Bodenhaftung nie verloren hat.