Lörrach Neue und aufregende Hör-Erfahrungen

Die Oberbadische
Rosen für die Künstler gab es am Ende eines spannenden Zusammentreffens Alter Musik und neuer Seh- und Hörweisen. Foto: Dorothee Philipp Foto: Die Oberbadische

Das Solistenensemble Kaleidoskop und die Komponistin Sarah Nemtsov im Lörracher Burghof

Von Dorothee Philipp

Lörrach. Das Logo spricht Bände: Eine Geige, deren Hals zugleich Lauf einer Pistole ist. Das Solistenensemble Kaleidoskop geht der Alten Musik buchstäblich an die Eingeweide: Im Burghof präsentierten die zwölf Musiker (Streicher und Cembalo) ihre neuste Produktion „4 Rooms“, in der Alte Meister und die Moderne auf den Seziertisch neugierigen Nachforschens, Zerlegens, Übereinanderkopierens und neu Zusammensetzens gelegt wurden.

Die Wahrnehmung nicht nur der Musik, sondern auch der Musiker soll mit dieser Produktion neue Perspektiven erfahren, betonte Daniella Strasfogel, die künstlerische Leiterin des Projekts, im öffentlichen Vorgespräch mit dem Musiker und Universitätslehrer Hans-Georg Hofmann. Aus zehn Kompositionen von Bach, Ligeti, Biber, Muffat und anderen sowie der eigenen Komposition „Briefe für A.G.“ hat die Komponistin Sarah Nemtsov ein abendfüllendes Musikstück arrangiert, in dem zwar viel im Original zitiert wird, die einzelnen Teile aber immer wieder in neue Klangdimensionen gestellt werden, etwa wenn die Musiker sich an vier Plätzen um das Publikum herum verteilen und sich die Motive gegenseitig zureichen. Oder Teile der Stücke gleichzeitig erklingen. Eine raffinierte, äußerst sparsame Lichtregie tut ein Übriges. Da wird beispielsweise nur der bogenführende Arm einer Geigerin beleuchtet, der Schatten bildet sich riesig an Decke und Wänden ab, später schafft ein Lichtstrahl, der durch einen rotierenden Glaskörper fällt auf dem Hintergrund die Assoziation an ein fließendes Gewässer.

Am Boden stehende Scheinwerfer zeichnen übergroße Celli, Stuhllehnen, den Corpus des Cembalo und Notenständer an die Wand, die durch die Überlagerung der Schatten zu einem kubistischen Gemälde mutiert. Das Schreiten als wichtiges Element dieser neuen Zusammenschau manifestiert sich in der bedächtigen Bewegung der Passacaglien von Ligeti, von Biber, Muffat und Barrière, aber auch in physischen Ortswechseln der Ausführenden, die sich mit meditativer Bedächtigkeit durch das Dunkel bewegen.

Zurücklehnen geht nicht bei dieser Art, Musik zu erkunden. Da passiert viel zu viel gleichzeitig und ineinander verwoben und mit unerwarteten Wendungen. Musikalische Bewegungen verselbstständigen sich, brechen aus dem scheinbar vertrauten Schema aus, die Anmut frühbarocker Figuren wird so lange gegen den Strich gebürstet, bis es nur noch nur noch knarzt und klackt, kratzt und schabt. Und sich dann unversehens wieder im lieblich-wohligen Duktus barocker Klangseligkeit findet.

Bevor das Ensemble am Ende mit einem „Concerto Armonico“ von Unico Wilhelm van Wassenaer in fast seichte Klanggefilde einmündet, zelebriert Sarah Nemtsov mit ihren „Briefen an A.G.“ eine akustische Alchimistenküche, in der die Violinsaiten maunzen und klagen, die Bässe brodeln, verborgene Lautsprecher Donnergrollen und Knistern dreinmischen. Man verliert hier buchstäblich die Orientierung, muss sich mitnehmen lassen wie Treibgut auf einem wilden Fluss. Bei den anschließenden Wohlklängen ertappt man sich dann unwillkürlich dabei, bei der einen oder anderen harmlosen Spielfigur auf den jähen Schwenk ins Diabolische zu warten, höchste Aufmerksamkeit bis zum letzten Ton ist garantiert. Ein Abend mit ganz neuen, zum Teil aufregenden Hör-Erfahrungen, kunstvoll und detailfreudig in Szene gesetzt.

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