Von Sarah Trinler
Lörrach. Immer wieder hört man von Senioren, die sich im Ruhestand einen unerfüllten Traum verwirklichen und studieren gehen. Wie viele Universitäten hat auch die Albert-Ludwigs-Universität Freiburg auf diese Entwicklung reagiert und das „Studium generale“ eingeführt, das Vorträge und Vortragsreihen nicht nur für Studierende und Lehrende, sondern auch für interessierte Bürger anbietet. Im Kleinen findet dies auch  im „Treffpunkt ab 50“ statt.

Die Kursteilnehmer hängen förmlich  an Oskar Kellers Lippen, beeindruckt von seinem umfangreichen Wissen. Ihm gelingt es, das eher trockene Thema Geschichte lebendig und greifbar darzustellen. Keller schöpft aus eigenen Erinnerungen oder aus Erzählungen seiner Eltern und Großeltern. Die Kursteilnehmer haben Respekt vor Oskar Keller und seinem Engagement, denn: mit seinen 87 Jahren ist er der älteste Kursleiter bei „Treffpunkt ab 50“.

„Das ist blutige Arbeit von mehreren Wochen“

Die Geschichts- und Literatur-Treffs von Oskar Keller finden nicht wie die meisten anderen Kurse wöchentlich, sondern lediglich ein oder zwei Mal pro Semester statt. Doch das hat auch seinen Grund: Der frühere Direktor des Hans-Thoma-Gymnasiums in Lörrach bereitet sich akribisch auf die Treffen vor. „Das ist blutige Arbeit von mehreren Wochen“, so Keller.

Beim heutigen Treffen geht es um den Ersten Weltkrieg und seine Entstehung. Gemeinsam mit den Kursteilnehmern erarbeitet er die traurige Wahrheit heraus, dass die Grundursache jeden Krieges der Mensch ist und durch Gefühle wie Neid, Besitzgier und Angst getrieben wird. Wie Keller erklärt, hegte Frankreich kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs einen tiefen Groll gegen Deutschland wegen des Verlusts von Elsass und Lothringen. Großbritannien wiederum, die zu dieser Zeit stärkste Kolonialmacht, sah sich im Konkurrenzkampf zum imperialistischen Deutschland, das die Weltherrschaft anstrebte.

Keller berichtet mit packenden Worten über den Verlauf des Krieges und schildert, die Auswirkungen von neuen Waffen, Kriegslieferungen oder Kriegspropaganda.

„Das ist geistiges Training und hält mich fit“

Im Anschluss macht er eine längere Pause, die nur mit Stille gefüllt ist. Keller greift zu einem Tagebuch, das ihm ein Kursteilnehmer im Vorfeld gegeben hat. Es stammt von dessen Bruder, der im Herbst 1940 eingezogen und im Jahr darauf in Russland gefallen war. Keller ist tief berührt von den Aufzeichnungen: „Sie verdeutlichen die menschliche Verzweiflung und zeigen, wie junge Männer zu Kriegern umfunktioniert wurden“, so der 87-Jährige.

Im Anschluss kommen viele Teilnehmer zu Keller, bedanken sich oder klopfen ihm anerkennend auf die Schulter. Er weiß um die große Bedeutung, die Lernen im hohen Alter hat. Direkt nach dem Krieg haben nur etwa vier Prozent der Bevölkerung die Möglichkeit gehabt, ein Studium aufzunehmen, so Keller. Den anderen blieb eine akademische Ausbildung verwehrt. In den meisten Familien war das Geld nicht vorhanden, eines der Kinder auf die Universität zu schicken. In vielen Städten waren aber auch die Universitäten so stark beschädigt, dass sie erst wieder aufgebaut werden mussten.

Aber auch für den Kursleiter hat der „Treffpunkt ab 50“ eine große Bedeutung. „Ich halte die Kurse nicht ganz uneigennützig“, schmunzelt Keller, „Hier bin ich gezwungen, mich in Themen einzuarbeiten, Gedanken zu finden und Texte zu erstellen – das ist geistiges Training und hält mich fit.“

Den „Treffpunkt ab 50“ gibt es bereits seit 21 Jahren –Keller ist von  Anfang an dabei. Die Themen gehen ihm dennoch nicht aus. Auch im kommenden Semester wird er wieder dabei sein, Themen und Datum stehen schon fest: „Literatur-Treff“ am 7. Oktober um 9.15 Uhr im EG des alten Rathauses zum Thema „Literatur des 20. und 21. Jahrhunderts“ und „Geschichts-Treff“ am  21. Oktober, um 9.15 Uhr im EG des alten Rathauses zum Thema „Wie der Erste Weltkrieg Europa und die Welt veränderte“.


Zur Person:
Oskar Keller, 1927 in Überlingen geboren, hat in Basel und Freiburg Englisch, Deutsch und Geschichte studiert. 1957 wurde er Lehrer und 1978 Direktor des Hans-Thoma-Gymnasiums in Lörrach – und das blieb er auch bis zu seiner Pensionierung 1992.

Unterbrochen war seine Zeit in Lörrach von der Stelle als Direktor des Theodor-Heuss-Gymnasiums in Schopfheim, die er von 1966 bis 1978 innehatte. Heute lebt er mit seiner Ehefrau in Lörrach, hat fünf Enkel und hält sich unter anderem mit der Kursleitung beim „Treffpunkt ab 50“ fit.

Der „Treffpunkt ab 50“ ist eine Einrichtung der Stadt Lörrach, die seit 1999 ein vielseitiges Programm für Senioren anbietet und zum Ziel hat, „Begegnung zu ermöglichen“ – auch, um den Verlust an Kontakten mit zunehmendem Alter auszugleichen.

Inzwischen haben sich im Treffpunkt über 30 Interessengruppen gebildet, die   von über 60 ehrenamtlichen Mitarbeitern geleitet werden. Die Räume für die Veranstaltungen befinden sich im Alten Rathaus (VHS-Gebäude). Der Eintritt in eine Gruppe ist jederzeit möglich.

Das Programmheft erscheint vier Mal jährlich. Das neueste ist am 15. Juli erschienen und liegt in den städtischen Einrichtungen aus oder kann  im Internet unter www.loerrach.de/seniorenarbeit eingesehen werden. Kontakt: Renate Riemensperger, Tel. 07621 / 956 73 50, E-Mail seniorenarbeit@loerrach.de