Lörrach Stimmlicher Alleskönner

Die Oberbadische
Das kongeniale Thomas Quasthoff Quartett Fotos: Kristoff Meller Foto: Die Oberbadische

Stimmen-Festival: „My Favorite Things“: Auftakt im Burghof mit dem Thomas Quasthoff Quartett

Von Gabriele Hauger

Lörrach. Was für ein Typ. Was für eine Stimme. Thomas Quasthoff packt sie alle, all die Zuhörer im nahezu voll besetzten Burghof zum Auftakt des Stimmen-Festivals.

Mit seinen Musikern bot er ein über zweistündiges Konzert, das mit stehenden Ovationen endete.

Dieser Mann, der Skeptiker schnell verstummen ließ, der die Klassik-Welt über Jahrzehnte begeisterte, und dessen Stimm-Potenzial seine Contergan-Behinderung schon beim ersten Ton vergessen lässt, ist ein Phänomen. Munter führt er durch den Abend, mit sichtlicher Lust am hochklassigen Spiel seiner Musikerfreunde: Bassist Dieter Ilg („wir nennen ihn the cook“), einer der begehrtesten Sidemen Europas, der für seine technische Brillanz und Hingabe bekannt ist; Wolfgang Haffner („das personifizierte Lächeln“), taktsicherer Rhythmusgeber, der beim schmachtenden Besenwischen die Hüften gleich mitkreisen lässt; im übrigen spielte er schon in Chaka Khans Band, die ja am 19. Juli bei Stimmen auftritt; schließlich der kongenial-sensible Pianist Frank Chastenier, der auch Till Brönner oder Wolfgang Niedecken begleitet und so wunderbar perlend spielen kann. Und dazu „the voice“, die Stimme: Thomas Quasthoff.

Der Liebe zum Jazz gewidmet

Dass er sich bewusst vom fordernden Klassik-Tour-Stress vor drei Jahren verabschiedet hat und nun seiner Liebe zum Jazz frönt, erweist sich als Coup. Selten hat man einen Sänger so aufgeräumt, gut gelaunt und die Seele der durchweg bekannten Jazz- und Bluessongs so perfekt durchdringend interpretieren gehört.

Enorme Spielfreude des Quartetts

Charakteristikum des gesamten Quartett-Auftritts: enorme Spielfreude und großes Können. Da ist diese bärentiefe Bassbariton-Stimme Quasthoffs. Nehmen wir den Klassiker „Summertime“. Erstmal herrscht Rätselraten im Publikum, wohin denn die unglaublichen, extralangen Bass-Improvisationen Dieter Ilgs hinführen werden. Dann durchfährt einen dieser Bariton mit nur einem, lang gezogenen, ausgekosteten Wort, ganz tief, ganz innig: „Summertime...“, Gershwin. Gänsehaut, ein Raunen geht durch den Saal. Mit geschlossenen Augen schwelgt Quasthoff geradezu in den Worten – von den springenden Fischen, von der Leichtigkeit eines Sommertags. Zarte Piano-Anschläge, schmetterlingsleichte Triller, und plötzlich wechselt er stimmlich vom Keller in die Kopfstimme. Dieses zarte Klang-Gespinst nimmt Fahrt auf, gleitet ins Crescendo, wächst sich zum groovigen Fortissimo aus. Jazz vom Feinsten!

Die Soli seiner Mitstreiter quittiert Quasthoff mit anerkennendem Nicken, sogar ein Luft-Knutsch Richtung Pianist ist dabei. Auf seine drei Kompagnons kann sich der Sänger verlassen. Er hat aber auch nichts dagegen, mal ein minutenlanges Solo auszukosten. Da packt es ihn, er scattet, was das Zeug hält, beatboxt, seine Stimme imitiert eine ganze Band: vom wiederkehrenden Percussion-Rhythmus über den zupfenden Bass bis zum Gesang. Der ganze Körper vibriert, die Mimik spielt mit, und – ups, haben wir da richtig gehört? – präsentiert er inmitten dieser Klang- und Lautkaskade Worte wie SPD, CDU und AFD – letzteres mit einem „Bäh!“ quittiert. Gelächter im Publikum. Quasthoff steigert sich in eine lautmalerische Charakter-Studie hinein: Seine Stimme meckert und wütet, jammert und quengelt. Johlender Beifall für dieses formidable Stimmen-Spiel!

Originelle Ausflüge und Klassiker

Solch originelle Ausflüge machen dann wieder Lust auf die guten alten Klassiker, interpretiert, wie man sie noch nie gehört hat: Joe Cockers „You are so beautiful“, balladenartig dargebracht, kuschelig und schmelzend; oder „Makin’ Whoopee“, bei dem der ganze Zuschauerraum mitschnippt und sich Quasthoff einen kurzen stimmlichen Louis Armstrong-Ausflug gönnt. Nicht zu vergessen des Sängers erhellende Ausführungen über den Inhalt des Songs, der damit endet, dass Er zu Ihr sagt: Schätzelein, bleibst du über Nacht? Was danach passiert, sei „Makin’ Whoopie“, endet die Erklärung verschmitzt.

Bei „Lost my mind“ läuft Quasthoff erneut zur Hochform auf (wenn eine Steigerung überhaupt noch möglich ist), wühlt sich in den Song, lässt kurz seine Opernstimme aufblitzen. Ganz ernst wird er bei seiner Interpretation von John Lennon’s „Imagine“, anrührend, geradezu dramatisch appellativ.

Quasthoff und seinen Mitstreitern macht der Abend sichtlich Spaß. Und Spaß soll auch das Publikum haben. Dabei gibt der Sänger Einblicke in sein Seelenleben, plaudert humorvoll über seine Vita und die Tatsache, dass man es auch mit nur wenigen Fingern zu einer Professur bringen kann. Eine Liebeserklärung an seine Frau, Stieftochter und seinen Hund zeigen einen sensiblen Gefühlsmenschen. Aber wie könnte es auch anders sein bei einem Mann, der so singen kann.

Zugabe und stehende Ovationen

Ohne Zugaben geht es natürlich nicht. Stehende Ovationen und als Zeichen seiner Freundschaft und Wertschätzung eine Verbeugung in Richtung seiner Musiker-Kollegen. Damit endet ein wahrhafter Stimmen-Abend.

Umfrage

Bargeld

Die FDP fordert Änderungen beim Bürgergeld. Unter anderem verlangt sie schärfere Sanktionen. Was halten Sie davon?

Ergebnis anzeigen
loading