Jugendliche Flüchtlinge gibt es in Lörrach mittlerweile einige. Sie werden in speziellen Vorbereitungsklassen für den Unterricht geschult. Majed Jebrini aus Syrien besucht hingegen seit zwei Wochen die zehnte Klasse des Hans-Thoma-Gymnasiums. Sein Ziel: Erst Abitur machen und dann Zahnmedizin studieren.
 
Von Kristoff Meller
Lörrach. In Aleppo im Norden Syriens herrscht seit mehr als viereinhalb Jahren Bürgerkrieg. Viele Zivilisten sind gestorben, Zehntausende sind aus der umkämpften Rebellenhochburg geflohen. Darunter auch Majed, sein 19-jähriger Bruder und seine Eltern. Dennoch ist Majed kein typischer Flüchtling. Er musste weder in einem Schlauchboot das Mittelmeer überqueren, noch die Strapazen der  Balkanroute auf sich nehmen, um   sein „Wunschland“ Deutschland zu erreichen.
 
„Mein Vater war in Aleppo  als Architekt tätig und meine Mutter als Büroangestellte, darum konnten wir es uns leisten, dass mein Bruder und ich auf eine gute Privatschule gehen“, erzählt Majed in fließendem Englisch.

Als es für die Familie in Aleppo zu gefährlich wurde, flohen die Eltern mit ihren Söhnen in die Türkei und setzten sie dort  ins Flugzeug nach Deutschland. Nach einer Woche in  Düsseldorf landete der junge Syrer in Aitern am Fuße des Belchens. Seit April 2014 dient dort ein Gasthaus als Unterkunft für sogenannte „Unbegleitete minderjährigen Flüchtlinge“. Sein Bruder, der  in Aleppo bereits studierte, kam unterdessen zunächst in Hamburg unter.
 
Eine Lehrerin in der Vorbereitungsklasse erkennt sein Potenzial
 
Wie seine Mitbewohner besuchte Majed eine Vorbereitungsklasse in  Schopfheim.  Das Bildungsniveau  der Gruppe war jedoch sehr unterschiedlich: „Manche konnten nicht einmal schreiben, wir kamen nur sehr langsam voran, und ich habe viel Zeit verloren, um Deutsch zu lernen“, beklagt Majed. Seiner Lehrerin, die das Potenzial des 16-Jährigen schnell erkannte, und deren Verbindungen zum Hans-Thoma-Gymnasium (HTG) war es zu verdanken, dass er letztlich am Campus Rosenfels landete. Nachdem eine  Familie im Kandertal gefunden wurde, die ihn und seinen älteren Bruder aufnahm, ermöglichte Schulleiter Frank Braun den Besuch des Gymnasiums.

Dort unterrichtet seit zwei Jahren eine spezielle Lehrkraft das Fach „Deutsch als Fremdsprache“. Seit rund eineinhalb Jahren nutzen laut Frank Braun  auch syrische Jugendliche aus Schönau  dieses Angebot. Bislang kamen die Teilnehmer dafür mehrmals in der Woche an den Campus.  Majed ist hingegen der erste Gymnasiast, der für den Förderunterricht    in seinen Hohl- und weiteren Einzelstunden nur über den Flur laufen muss.

Ansonsten besucht er den regulären Unterricht. Das ausgiebige „Sprachbad“ in der Klasse ist laut Braun sehr wichtig, um schnell Deutsch zu lernen. Wenngleich Majed in vielen Fächern aufgrund der Sprachbarriere natürlich derzeit noch überfordert sei: „Da sitzt er einfach nur drin – Punkt.“ Für die Lehrer sei ein ausländischer Schüler ohne gute Deutschkentnisse in der Klasse aber „nicht außergewöhnlich“. Jedes Jahr gebe es mindestens einen oder zwei Austauschschüler, die für ein Jahr am HTG zu Gast seien.

Klausuren nach Schonzeit

Allerdings mit dem kleinen Unterschied, dass diese nicht wie Majed das Abitur machen möchten. Nach einer „gewissen Schonzeit“ müsse der Neuzugang  darum auch die Klausuren mitschreiben, sagt Braun. Bislang mache das  nur in Englisch und Französisch Sinn. „Die  Lehrerkollegen und er bekommen so eine Rückmeldung über den aktuellen Leistungsstand“, erklärt der Schulleiter.
In seiner Klasse ist Majed trotz der kurzen Zeit schon  gut integriert: „Alle sind sehr nett und hilfsbereit. Wenn ich etwas nicht verstehe, kann ich meinen Sitznachbarn fragen und er erklärt es mir dann.“ Der Unterricht an sich und die Klassengröße unterscheide sich auch nicht sonderlich von dem an  der Privatschule in Aleppo.
 
Am Wochenende trifft sich Majed mit seinen Klassenkameraden zum Fußball spielen oder war auch schon mit ihnen auf Partys. Seine Erfahrungen dabei waren stets positiv: „Die Menschen hier sind so außergewöhnlich und hilfsbereit“, schwärmt Majed. „Nach Deutschland zu kommen, war mein Traum. Nun hoffe ich, die zehnte Klasse schon dieses Schuljahr zu schaffen. Nach dem Abitur möchte ich dann Zahnmedizin studieren.“

Damit dieser Traum wahr wird, braucht der junge Flüchtling aber zunächst einen deutschen Pass beziehungsweise eine dauerhafte Aufenthaltsgenehmigung. Erst dann können laut Majed  auch seine Eltern nachkommen, die  bereits einen Deutschkurs in der Türkei absolvieren.

„Majed  ist hoch motiviert. Ich habe den Eindruck, dass er es schaffen kann. Notfalls muss er noch ein Jahr länger bleiben“, gibt sich  Frank Braun optimistisch. Wenngleich Majed natürlich   ein Ausnahmefall sei, da er in seiner Heimat durch die Privatschule  eine „besondere Bildung“ genossen habe, doch  für Schüler wie ihn sei diese Variante eine Chance, trotz des Heimatverlusts einen guten Schulabschluss zu machen. „Und mit dem Abitur in der Tasche stehen ihm alle Türen offen.“