Lörrach Vertrauen: überlebenswichtig für Medien und Gesellschaft

mek

Der gebürtige Lörracher Jens Hirt beschäftigt sicht wissenschaftlich mit der aktuellen Situation der Medien.

Nicht nur die Öffentlich-Rechtlichen Rundfunkanstalten und die großen Tages- und Wochenzeitungen wurden in jüngster Vergangenheit mit der Bezeichnung „Lügenpresse“ beschimpft oder als Teil des Establishments bezeichnet. Auch regionale Zeitungen wie unsere kämpfen mitunter mit solchen Behauptungen. Jens Hirt, Medienwissenschaftler mit Lörracher Wurzeln, hat sich mit dem Thema eingehend beschäftigt. Er beleuchtet in einem  Gastbeitrag für unsere Zeitung diese Entwicklungen. Der Autor lehrt an der Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft in Berlin.

Von Jens Hirt

Berlin/Lörrach. Eine Freundin, die am Flughafen Berlin-Tegel arbeitet, sagte vor einigen Tagen zu mir: „Das darf ich auf Arbeit zwar nicht laut sagen, aber insgeheim freut mich der Wahlsieg von Trump.“ Ich war überrascht. Sie liest regelmäßig Zeitungen und sieht die Nachrichten. Vor allem aber ist sie mit einem Jordanier zusammen „Du als informierte Frau, mit einem Moslem verheiratet, unterstützt Trump?“ Sie schüttelt den Kopf: „Nein, aber mich freut, dass das Establishment wieder eins ausgewischt bekam. Vor allem die Medien.“ Die Medien gehören für meine Freundin also zum Establishment. Sind es nicht eigentlich die Medien, die als Vierte Gewalt die Mächtigen überwachen sollen?

Das war eine ganz andere Antwort als jene, die wir bei Diskussionen an der Uni bekommen. Ich frage mich, ob einige Studenten sich ebenfalls nicht trauen, ihre Meinung zu sagen? Das Phänomen der sozialen Erwünschtheit. Man sagt nur das, wovon man glaubt, dass es dem eigenen Ruf nicht schadet. Ich denke über die Medien und ihre Krise nach. Die verdichtet sich.

Die Probleme der klassischen Massenmedien begannen in den frühen 2000ern mit dem Internet. Viele Anzeigekunden warben lieber im neuen Medium statt in Zeitungen. Die Krise war hier noch eine wirtschaftliche. Ab 2014 zogen Menschen durch deutsche Städte und riefen „Wir sind das Volk“ und „Lügenpresse“. Wer diese beiden Slogans verbindet, meint damit, dass nicht die Medien, sondern sie selbst das Volk repräsentieren. Aus der wirtschaftlichen Krise wurde eine Vertrauenskrise. Das betraf vor allem die überregionalen Zeitungen und die Öffentlich-Rechtlichen Rundfunkanstalten. Allerdings waren die meisten Redaktionen noch der Meinung, die Gesellschaft zu repräsentieren. Zumindest bis auf deren rechten Rand. Die Lügenpresse“-Rufer kamen schließlich von Pegida und AfD.

Brexit und Donald Trump: Wie konnte man so daneben liegen?

Jetzt täuschte man sich innerhalb weniger Wochen im ganz großen Stil: Beim Brexit und bei der US-Wahl. Die deutschen Medien waren klar gegen Brexit und Donald Trump. Folgerichtig sagten sie einen Verbleib der Briten in der EU und einen Sieg Clintons vorher. Fehleinschätzungen die aus der Vertrauenskrise eine Selbst-Vertrauenskrise machen. Bei vielen Journalisten herrscht seitdem große Verunsicherung. Wie konnte man so daneben liegen? Hatte man sich zu weit aus dem Fenster gelehnt, als man den künftigen Präsidenten als gefährlichen Tölpel darstellte? Aber man hatte doch die Fakten berichtet. Oder?

Für diese neue, die Vertrauenskrise, gibt es verschiedene Erklärungen: Meistens wird das Internet verantwortlich gemacht. Hierhin entkamen die Zeitungen der Anzeigenkrise. Auch die Öffentlich-Rechtlichen etablierten sich mit ihren Mediatheken online. Sie sind im Netz aber nicht allein. In Deutschland gibt es hunderttausende Blogs, weltweit hunderte Millionen. Genaue Zahlen gibt es aufgrund der hohen Dynamik nicht. Blogs sind Plattformen für alle vorstellbaren Themen. Von Hundezucht bis Weltuntergang. Und jeder private Beitrag ist eine Konkurrenz zu vergleichbaren Beiträgen professioneller Journalisten. Nur dass Blogger keinem Pressecodex verpflichtet sind und das Handwerk nicht lernen mussten. Am Bildschirm kann kaum ein Leser prüfen, welche Informationen geprüft und welche bloße Behauptungen sind.

Algorithmen sagen vorher, was wir gerne lesen möchten und selektieren den Lesern Informationen vor

Und noch schlimmer: Es entstehen Filterblasen. Algorithmen sagen vorher, was wir gerne lesen möchten und selektieren den Lesern Informationen vor – wie die Buchtipps bei Amazon. Diese Aufgabe, das Agenda-Setting, war lange ein sicheres Monopol der Massenmedien. Die Algorithmen blockieren damit zudem viele Informationen, die zur Meinungsbildung beitragen können. Wenn man also glaubt, Kriegsflüchtlinge nehmen Deutschen die Arbeitsplätze weg, bekommt man vor allem Blogs vorgeschlagen, die ebenfalls diese Meinung vertreten.

Dummerweise kommt das der menschlichen Natur entgegen. Wir lieben es, unsere Meinung bestätigt zu bekommen. Widersprüchliches lehnen wir dagegen ab. „Meine Meinung steht fest. Irritieren Sie mich nicht mit Tatsachen“, soll schon Konrad Adenauer gesagt haben.

Es ist aber auch möglich, dass die Journalisten selbst in einer Filterblase stecken. Westdeutsche Medien verdienten sich ihren guten Ruf als Stütze der Wirtschaftswundergesellschaft. Und sie bekamen ein großes Dankeschön der Öffentlichkeit zurück. Als die CDU-Regierung während der „Spiegel-Affäre“ 1962 Redaktionen schließen und Journalisten verhaften ließ, gingen die Bürger für freie Medien auf die Straße. Seit diesen frühen Jahren sind die meisten Journalisten im politisch linksliberalen Bereich angesiedelt. Leben sie deshalb in einer linken Blase? Hatte man die konservativen ländlichen Wähler von Brexit und Trump deshalb übersehen? Droht uns dasselbe 2017 mit der AfD?

Die mir persönlich bekannten Journalisten, zum Beispiel bei Reuters, sind anständige Leute mit einer professionellen Berufseinstellung. Wenn man an Medienvertreter denkt, hat man allerdings eher jene populären Kollegen vor Augen, die sich gerne bei „Illner“, „Will“ oder „Maischberger“ zu den Themen unserer Zeit äußern. Dabei überschreiten sie eine Grenze: Wenn sich Spitzenjournalisten als Meinungsführer in aktuelle Debatten einschalten, werden sie zu einer Art Ersatz-Politiker. Politiker, die alles besser wissen, ohne dabei Gefahr zu laufen, abgewählt zu werden.

Schon Konrad Adenauer soll gesagt haben: „Meine Meinung steht fest. Irritieren Sie mich nicht mit Tatsachen.“

Dieses Image, statt Kontrollinstanz selbst Teil des Systems zu sein, färbt auf die ganze Branche ab. Es ist Zurückhaltung anzuraten. Vorbild können die Journalisten im Regionalbereich sein. Sie leben den Alltag ihrer Leser, Zuhörer und Zuseher. Daraus ergibt sich ein Vertrauen, das dann auf die Berichterstattung abfärbt. Das ist für Medien überlebenswichtig. Ohne Vertrauen können sie ihre gesellschaftliche Funktion nicht wahrnehmen: Informationsquelle für alle Menschen sein und damit offenen Meinungsaustausch und Demokratie stärken. Denn ohne geteilte vertrauenswürdige Informationen gibt es zwar viele Menschen und viele Meinungen – aber keine Gesellschaft.



Zur Person:
Aufgewachsen in Hauingen, besuchte Jens Hirt nach der Grundschulzeit zuerst das Hebel-Gymnasium und wechselte dann zum Schulzentrum Steinen, wo er im Sommer 1989 die Mittlere Reife ablegte. Anschließend absolvierte er eine Ausbildung zum Werkzeugmechaniker bei A. Raymond  in Weil am Rhein.

Die Allgemeine Hochschulreife erreichte er 1995 an der Beruflichen Oberschule Würzburg. Von 1997 bis 2000 studierte Hirt Deutsch und Geschichte an der  Julius-Maximilians Universität Würzburg, dann wechselte er an die Humboldt-Universität Berlin, wo er 2004 den Magister-Abschluss erwarb. Seit Januar 2011 ist er Doctor philosophiae.

Universitätsengagement: die medienakademie in Berlin und Hamburg. Internationale Hochschule Bahçesehir-University BAU. Hochschule für Medien, Kommunikation und Wirtschaft HMKW Berlin, Macromedia-University Berlin. Fächer: Medien, Kommunikation, Marketing, PR. Berufsengagement: Tätig für mehrere Marketingagenturen.

Umfrage

Bargeld

Die FDP fordert Änderungen beim Bürgergeld. Unter anderem verlangt sie schärfere Sanktionen. Was halten Sie davon?

Ergebnis anzeigen
loading