Sie haben als Oberbürgermeisterin von Lörrach das Thema Bürgerbeteiligung gefördert. Wie sehen Sie diese enorme Bereitschaft der Bürger, bei der Bewältigung der Flüchtlingsfrage zu helfen?
Ich war und bin noch immer unglaublich beeindruckt, mit welchem Engagement sich die Menschen mit diesem Thema auseinandersetzen. Für mich ist das mit der größte Gewinn, den wir als ganzes Land aus dieser Herausforderung ziehen: Dass Menschen aus allen Ecken der Gesellschaft an einen Tisch kommen, gemeinsam an einem Thema arbeiten – tendenziell Links orientierte, aus christlichen Motiven heraus motivierte Bürger, Mitglieder von Menschenrechtsorganisationen, Vereine und Leute, die bisher überhaupt nicht politisch engagiert waren, und zwar im Grunde über alle Altersgruppen hinweg. Ich behaupte, dass dieses Miteinander den gesamten Staat gesellschaftlich weiterbringt – und zwar auch auf lange Sicht.
Das treibt auch mich an, mehr zu tun, als das, was ich tun müsste, um der klassischen Aufgabe des Städtetags gerecht zu werden.
Die Städte verzeichnen kontinuierlich Zuzug, die Wohnungsknappheit verschärft sich mancherorts empfindlich. Die Einwohnerzahlen im ländlichen Raum gehen in Baden-Württemberg mancherorts zurück. Was bedeutet das für die künftige Stadt-Land-Beziehung?
Das ist ein spannendes Entwicklungsfeld, das in der Tat nicht auseinanderdriften darf. Tatsächlich gibt es im östlichen Teil des Bundeslandes auch Regionen, die schrumpfen. Städte und Gemeinden sehen in der proportionalen Verteilung der Flüchtlinge die Möglichkeit, um damit das Entwicklungspotenzial kleinerer Kommunen zu verbessern. Unterdessen sind die großen Städte froh, wenn sie nicht alle Flüchtlinge aufnehmen müssen, weil das deren Systeme überfordern würde.
Wie können Städte mit dem Wohnungsdruck umgehen?
Wenn wir das Ziel nicht aufgeben wollen, Fläche und Natur für unsere Nachkommen zu erhalten, müssen wir verdichtet bauen und zwar auch in kleineren Orten. Dieser Erkenntnisprozess ist durchaus schmerzhaft, sowohl für Kommunen als auch für eine nennenswerte Anzahl von Bürgern. Man darf nicht vergessen, dass mit der Akzeptanz dieser Tatsache ein Stückweit für viele auch die Aufgabe eines Traums verbunden ist. Das frei stehende Einfamilienhaus mit Garten, das Statussymbol der Elterngeneration, ist heute für eine Menge Menschen vor allem im urbanen Raum nur noch schwer zu finanzieren.
Andererseits suchen immer mehr Menschen die Vorteile der Städte: kurze Wege, Kinderbetreuung, kulturelles Angebot. Und sie sind bereit, hierfür auf Raum zu verzichten. Die Zuzugsdynamik hat in Lörrach nicht allein durch den Basler Arbeitsmarkt, sondern auch durch solche Angebote Fahrt aufgenommen. Natürlich muss das Verdichten mit Qualität einhergehen. Dennoch: Wir werden zusätzliche Flächen brauchen, unter Wahrung der Naturschutzflächen und anderer Schutzgebiete. Darin sind wir uns mit dem Land im Prinzip auch einig.
Ohne den Wert der Naturschutzgebiete schmälern zu wollen: Sobald Bauland als Habitat bestimmter Tierarten gilt, wird’s mit dem Bauen schon schwieriger. Angesichts der Wohnungsnot im urbanen Raum sind diese Konsequenzen wohnungssuchenden Menschen nicht ohne weiteres zu vermitteln.
Naturschutzfragen sind mir sehr wichtig, aber ich sehe – übrigens im Einverständnis mit Bürgermeistern eher „grün“ orientierter Städte – dass wir diese Debatte offen und ehrlich führen müssen. Wenn wir eine starke Siedlungsentwicklung brauchen, um Menschen ein Dach über den Kopf zu geben – und das war in den vergangen Jahren noch nicht so vordringlich – muss man Abwägungsprozesse bei Naturschutzthemen in die Debatte einbinden und ergebnisoffen diskutieren.