Lörrach „Zäsur  in  der  politischen  Landschaft“

Die Oberbadische
Auf den letzten Drücker: die letzte Stimmabgabe in der Stadtbibliothek am Sonntag um 17.59 Uhr. Foto: Kristoff Meller Foto: mek

Bundestagswahl: Die Analyse von Lörracher Kommunalpolitikern / Tenor:  Jamaika  besser  als  große Koalition

Die Bundestagswahl 2017 hat die politische Landschaft Deutschlands verändert. Die Regierunsparteien CDU/CSU und SPD haben historische Verluste zu verkraften. Die AfD zieht erstmals ins Parlament ein, die FDP kehrt ebenso selbstbewusst dorthin zurück. Vieles spricht für eine Jamaika-Koalition mit CDU, Liberalen und Grünen. Wie bewerten Lörracher Kommunalpolitiker das Ergebnis? Bernhard Konrad hat nachgefragt.

Oberbürgermeister Jörg Lutz bezeichnet das Ergebnis als „Zäsur in unserer politischen Landschaft“. Die Stärke der AfD spiegele indes eine internationale Normalität wider. Ohne diese Stärke bagatellisieren zu wollen, rät Lörrachs OB von einer der AfD dienenden „Überdramatisierung“ des Resultats ab.

Fast überall auf der Welt werde Deutschland um seine Lebensverhältnisse beneidet – um so bemerkenswerter sei, dass die beiden Regierungsparteien so hart vom Wähler abgestraft wurden. Hierfür macht Lutz zwei Hauptursachen aus. Zum einen die soziale Frage: Offenbar hätten viele Menschen das Gefühl, der Wohlstand komme nicht bei ihnen an. Immer mehr Bürger müssten etwa zwei Berufen nachgehen, um über die Runden zu kommen. Ein weiterer Grund für das Wahlergebnis sei die Flüchtlingspolitik. Auf beiden Feldern könnten Kommunen ihren Teil zur Bewältigung der Probleme beitragen. In der sozialen Frage etwa mit der Bereitstellung von bezahlbarem Wohnraum – im Rahmen ihrer Möglichkeiten. Mit Blick auf die Flüchtlinge seien engagierte Integrationsanstrengungen notwendig. Genauso klar müsse aber sein, was von Flüchtlingen erwartet wird, die hier leben wollen. Lutz: „Es gibt Rechte und Pflichten. Und es geht um Integration, nicht um Assimilation. Wir müssen die Sorgen der Bürger ernst nehmen, ohne in Fremdenfeindlichkeit zu verfallen.“ Wer kein Bleiberecht habe, müsse „zeitnah zurückgeführt werden“.

Die SPD tue gut daran, in die Opposition zu gehen und ihr Profil zu überdenken. Eine große Koalition hätte die Politikverdrossenheit in Deutschland noch erhöht. Die Jamaika-Koalition würde „sehr heterogene Akteure“ an einen Tisch bringen.

Uwe Claassen (Freie Wähler) setzt nach diesem „erwartbaren Ergebnis“ durchaus Hoffnungen auf Jamaika. Er zeigte sich zuversichtlich, dass die FDP „mehr liberales Gedankengut einbringen wird“ – dies in einer Koalition mit „realpolitisch orientierten Grünen“. Die AfD sei ein Sammelsurium für rechte Strömungen bis hin zu NPD. Es sei aber sehr schwer, dies unzufriedenen Bürgern zu vermitteln. Die SPD müsse sich dagegen nun intensiv mit ihrer eigenen Ausrichtung beschäftigen – auch mit Blick auf Gemeinsamkeiten und Abgrenzungen zu den Ideen der Linkspartei.

Ulrich Lusche (CDU) freut sich, dass der Wahlkreis Lörrach-Müllheim mit Armin Schuster abermals einen CDU-Bundestagsabgeordneten nach Berlin entsendet. Am Wahlergebnis sei aber auch festzumachen, dass trotz der insgesamt wirtschaftlich guten Situation in Deutschland eine nennenswerte Anzahl von Bürgern „von Ängsten umgetrieben wird“. Dieser Umstand spiele „den großen Vereinfachern“ in die Hände. Insofern überrasche ihn das Ergebnis der AfD nicht – dies spiegele in Deutschland „ein Stück europäische Normalität wider. Es ist wesentlich schwieriger zu vermitteln, dass wir in Deutschland von einer offenen Gesellschaft profitieren.“

„Jamaika“ sei „keine einfache Konstellation “. Zwar gebe es einige Überschneidungen, aber auch eine Menge „sehr unterschiedlicher Auffassungen.“ Wichtig sei, dass keine „Alles und Nichts-Regierung“ gebildet werde. Dies würde die Akzeptanz der Bürger für die Politik abermals mindern.

Hubert Bernnat (SPD) hatte Verluste der Regierungsparteien erwartet – aber nicht in dieser Höhe. Das Resultat der AfD überrasche nicht, sei aber gleichwohl „erschreckend“. Dass die SPD nun in die Opposition gehe, sei richtig: „Auch die Opposition hat eine wichtige Funktion im Staat.“ Die große Koalition sei klar abgewählt. Nun müssten FDP und Grüne zeigen, dass sie politische Verantwortung in der Jamaika-Koalition übernehmen können.

Kanzlerkandidat Martin Schulz sei für die herbe Niederlage der Sozialdemokraten nicht verantwortlich, betont Bernnat. Er würde es begrüßen, wenn Schulz auch künftig eine wichtige Rolle in der SPD spielen würde. Margarete Kurfeß (Grüne) bewertete sowohl die hohe Wahlbeteiligung, als auch das Abschneiden ihrer Partei positiv. Der stabile Wert der Grünen belege, dass die Partei ihre Wähler erreicht habe. Das Ergebnis der AfD deute zum einen auf Ängste einer wachsenden Anzahl von Bürgern hin. Zum anderen trauten diese Bürger den etablierten Parteien offenbar nicht mehr zu, bestimmte Probleme zu lösen. Hier müsse die Politik konsequent gegensteuern – angefangen in den Kommunen. Integrationsmaßnahmen seien ebenso wichtig wie Aspekte der Sozialpolitik – Stichwort „Wohnungsbau“. Bürger dürften nicht den Eindruck haben, sie seien abgehängt.

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