Malsburg-Marzell „Wir weinen, aber lachen auch viel“

Weiler Zeitung

Fünf von den Philippinen stammende Frauen aus dem Kandertal starten Hilfsaktion für Taifunopfer

Von Tim Nagengast

Malsburg-Marzell/Kandern. Fünf seit Jahren im Kandertal lebende, ursprünglich von den Philippinen stammende Frauen versuchen derzeit alles Menschenmögliche, um den Opfern des verheerenden Taifuns „Haiyan“ zu helfen. Unter anderem planen sie Aktionen auf dem Herbstjahrmarkt in Kandern sowie beim Marzeller Adventsmarkt. Unsere Zeitung hat gestern eine der Damen, Rosie Joy Sutter, in Kaltenbach besucht.

Bei Sutters in der Wohnstube duftet es schon adventlich. Grund sind die Apfelstückchen, die Rosie Sutter auf der „Chunscht“ trocknet. „Die verpacken und verkaufen wir“, sagt sie und zeigt ein paar Tüten mit dem selbstgemachten Trockenobst vor. „Wir“, das sind Rolita und Jeanette Dreher, Vanessa Lindemer, Lisa Brendlin und Rosie Joy Sutter, die allesamt von den philippinischen Inseln stammen. Bei Letzterer laufen die Fäden zusammen, „denn ich bin eh immer unterwegs und immer am Organisieren“.

Stand am Kanderner Herbstjahrmarkt und am Adventsmarkt in Marzell

Und es gibt richtig viel zu tun: Trockenobst verpacken und Vorbereitungen treffen für den eigenen Stand am Herbstjahrmarkt am kommenden Dienstag in Kandern zum Beispiel. Dort werden die fünf Damen philippinisches Essen anbieten sowie Kuchen und Trockenobst verkaufen. Der Stand wird vor dem Gasthaus „Brüderlin“ aufgebaut. Die Stadt Kandern habe ihnen kurzfristig und sogar kostenfrei erlaubt, den Stand zu betreiben, sagt Rosie Joy Sutter voller Dankbarkeit.

Während sie erzählt, breitet sie eine große Landkarte der Philippinen auf dem Wohnzimmertisch aus. Mit dem Finger deutet sie die Schneise der Verwüstung an, die der Taifun „Haiyan“ kürzlich durch das Inselreich gezogen hat. Der Finger der Filipina bleibt im Inneren von Roxas Capiz beim Dorf Tapaz stehen. Dort stammt Joy Sutter her, dort leben Verwandte und Freunde. Und zwar alle.

„Ich habe fünf Nächte nicht geschlafen.“

„Erst am Dienstagabend, also fünf Tage später, habe ich von meiner Schwester Corazon eine SMS bekommen, dass meine Familie, dass das ganze Dorf den Taifun überlebt hat“, sagt Sutter mit Erleichterung in der Stimme, „denn die fünf Nächte davor habe ich kein Auge zugetan.“ Im Dorf selbst herrsche vollkommenes Chaos, erzählt die 43-Jährige, die seit 1995 in Deutschland lebt. Es sei ein Wunder, dass niemand zu Tode gekommen sei. Die Einwohner seien nun damit beschäftigt, sich so gut es eben gehe zu organisieren.

Ein Beispiel: Um mit ihrer in Kaltenbach lebenden Schwester telefonieren zu können, muss Corazon über eine Stunde laufen, denn in Tapaz selbst gibt es keinen Strom mehr. „Dort, wo sie hinläuft, geht noch ein Generator, an dem sie ihr Handy laden kann“, sagt Rosie Joy Sutter.

Im Haus, das ihr in Tapaz gehört „und das ziemlich zur Hälfte noch steht“, haben sich mittlerweile zehn Familien einquartiert. „Alle helfen zusammen, das ist unsere Mentalität“, sagt die Filipina. Und wenn sie von „Familie“ und „Dorf“ spricht, merkt man rasch, das beide Begriffe für sie irgendwie identisch sind. „Bei uns ist das so“, sagt sie. Und genau dieser Zusammenhalt, dieses Gemeinschaftsgefühl verpflichte zum Helfen. „Ich habe auch sonst regelmäßig Geld und Bekleidung in meine Heimat geschickt“, sagt sie.

„Lachen befreit und hilft.“

Dieser Tage gab es nun ein Treffen der Philippininnen aus dem Kandertal, um das Organisatorische zu besprechen („mein Stammtisch“). „Und wenn wir uns sehen, dann umarmen wir uns. Wir weinen zusammen, wir sprechen, wir essen und lachen dann.“ Lachen? „Ja, lachen ist sehr wichtig für uns. Es befreit. Es hilft“, sagt die 43-Jährige mit Überzeugung in der Stimme.

Sie freut sich auf den Stand am Kanderner Herbstjahrmarkt und hofft, dass viele, viele Menschen kommen, selbstgemachtes philippinisches Essen probieren und Geld spenden. Gleiches gilt für den Marzeller Adventsmarkt, der am 7. Dezember im „Ecken“ stattfindet, wo die fünf Frauen ebenfalls kochen und den Erlös dann für die Hilfe vor Ort verwenden werden. „Die Marktorganisatorinnen, Kerstin Trefzer und Ronja Weis, haben sofort zugesagt, als ich gefragt habe, ob wir mitmachen dürfen. Ich bin ihnen so dankbar“, sagt Joy Sutter.

Und wird gleich wieder nachdenklich: „Taifune sind wir da unten gewohnt. Das ist fast normal. Aber nicht so einen wie Haiyan. So einen gab es noch nie.“ Immer, wenn ein solcher Sturm im Anmarsch sei, warne der „Capitan“ (eine Art „Bürgermeister“ oder „Dorf-Chef“), die Bevölkerung rechtzeitig, sagt Sutter. „Das läuft immer so. Das geht mit dem Megaphon. Es bringen sich dann alle in Sicherheit. Aber diesmal war eben alles anders.“

Sie habe aus dem Radio von Taifun „Haiyan“ und dessen Auswirkungen erfahren, erzählt Rosie Joy Sutter. Und dann? „Ich bin zur Arbeit gegangen – wie in Trance.“

Hilfe, die vor Ort ankommt

Rasch habe sie beschlossen, das für den geplanten Heimatbesuch vorgesehene Geld nicht für ein Flugticket zu verwenden, sondern zu spenden und die Kräfte zu bündeln. Damit das Geld auch wirklich direkt bei den Hilfsbedürftigen ankommt, nutzen Rosie Joy Sutter und ihre Mitstreiterinnen ihre Netzwerke vor Ort, etwa auf Roxas Capiz oder auf Bohol.

Wenn sie sich gerade nicht um die Familie mit Ehemann Hans Peter und den Kindern Kim, Michelle und Tim sowie um die hilfsbedürftige Schwiegermutter kümmert, arbeitet Rosie Joy Sutter in einer Kanderner Senioreneinrichtung als Altenpflegerin.

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