Maulburg Als Fremde zurück im eigenen Land

Markgräfler Tagblatt

Lucia Engombe berichtet im Maulburger Dorfstübli von ihrer deutsch-afrikanischen Odyssee

Lucia Engombe war zwei Jahre alt, als die Familie von Ovamboland (Namibia) nach Angola flüchten musste, weil ihr Vater, ein Lehrer, die südafrikanische Apartheidpolitik kritisiert hatte. Nach einer Odyssee durch angolanische Flüchtlingslager kam sie sie im Alter von sieben Jahren gemeinsam mit anderen Ovambokindern in die ehemalige DDR. Elf Jahre lebte sie dort, um als zukünftige kommunistische Elite der marxistisch orientierten Befreiungsbewegung SWAPO ausgebildet zu werden. Nach dem Fall der Mauer wurden die Jugendlichen über Nacht zurückgebracht nach Ovamboland, es war eine Heimkehr in die Fremde. An der Deutschen Schule in Windhoek machte Lucia Engombe ihren Schulabschluss und studierte anschließend Journalistik. Heute arbeitet sie in der deutschen Redaktion des namibischen Rundfunksen NBC. Über ihr Flüchtlingsschicksal schrieb sie das Buch „Kind Nr. 95“.

Von Harald Pflüger

Maulburg. Von Trennungserfahrungen und Kulturschocks ihres 23-jährigen Flüchtlingslebens berichtet die namibische Rundfunkjournalistin Lucia Engombe bei verschiedenen Veranstaltungen in der Südwestecke. Am Mittwoch sprach sie im Dorfstübli.

Das Kinderlied, das Lucia Engombe mit glockenklarer Stimme auf Oshivambo sang, hatte bei den mehr als 30 Besuchern im Dorfstübli einen hohen Wiedererkennungswert. Kommt ein Vogel geflogen, heißt es auf deutsch.

Mit einem „großen Vogel“ kam Lucia Engombe auf  Einladung der evangelischen Landeskirche in Baden aus dem Südwesten Afrikas  in den Südwesten Deutschlands. Hier berichtet sie von ihren Erfahrungen als Flüchtlingskind in der DDR und besucht Flüchtlingseinrichtungen wie die in Rheinfelden. Ihr Schicksal steht stellvertretend für viele Flüchtlinge, die bis heute nach Deutschland kommen.

Auffallend viele junge Besucher waren unter den Gästen, die Hausherrin Annemarie Weber in der Begegnungsstätte für Kinder, Jugendliche und Erwachsene begrüßen konnte, und denen am Schluss vom Mädchentreff Gebäck gereicht wurde.

Ruhestandpfarrer Karlfrieder Walz, der Lucia Engombe auf  ihrer Reise durch den Südwesten begleitet, ging kurz auf die Geschichte der einstigen Kolonie Deutsch-Südwestafrika ein, ehe Lucia Engombe aus ihrem bewegten Leben erzählte (wir berichteten ausführlich in unserer Mittwochsausgabe).

Karlfrieder Walz lernte die Rundfunkjournalistin während seiner Vertretungstätigkeit in Namibia kennen und war bei der ersten Begegnung erstaunt über ihr perfektes Deutsch. Sie erzählt ihm von ihrer Kindheit und Jugend in der damaligen DDR, die in ihrem Buch „Kind Nr. 95“ nachzulesen ist.

Bei ihrer Lesung im Dorfstübli berichtete sie von den Hungerjahren im Flüchtlingslager, während denen es viel zu wenig zu essen gab und der Magen oft „auf die Probe gestellt wurde“, und ihre anschließende Reise in die Fremde.

„Endlich durfte ich auch mal fort aus Nyango. Weg von einem Ort, an dem ich stets Hunger und oft Angst hatte.“ So erinnert sich Lucia Engombe an den Tag, der ihr Leben veränderte. In der DDR sollte Lucia Engombe mit anderen Kindern zur neuen Elite der marxistisch orientierten SWAPO ausgebildet werden. Doch dann kam die Wende und damit das Aus für Abitur und Medizinstudium.

Mit einem Koffer in der Hand ging es zurück nach Namibia - als Fremde kam Lucia Engombe ins eigene Land. „Wir wurden auf unsere Rückkehr nicht vorbereitet“, sagt Lucia Engombe. Alles war anders als in der DDR: das Essen, die Haushaltsführung und die Kultur. Eltern verstanden ihre Kinder nicht mehr und Kinder ihre Eltern nicht. „Wir sind anders aufgewachsen“, sagt Lucia  Engombe über ihre Zeit in der DDR, „wir haben unsere Meinung gesagt.“

Wenn heute von Flucht und Vertreibung die Rede ist, weiß Lucia Engombe aus eigener Erfahrung, was gemeint ist. Als Kind habe sie erleben müssen, was es heißt, um sein Leben zu  rennen, als südafrikanische Flugzeuge Mai 1978 über Kassinga, einem namibisches Flüchtlingscamp, ihre tödliche Fracht abwarfen. 600 Namibier, vorwiegend Frauen und Kinder, kamen dabei ums Leben. „Das Wichtigste, was man Flüchtlingen bieten kann, ist Liebe und Verständnis“, sagt die Journalistin. Ein Zuhause haben sie nicht mehr, weil ihr Haus, wie etwa in Syrien, weggebombt wurde.

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