Müllheim Zwischen persönlichem Freiraum und Optimierungsdruck

Weiler Zeitung
Am Studientag nahmen die Abiturienten des MGM teil. Fotos: zVg Foto: Weiler Zeitung

Studientag: Professor Ulrich Duchrow referiert vor Abiturienten / „Nur in Beziehungen erfährt das Individuum Glück“

Müllheim (ek). „Immer mehr in kürzerer Zeit mit weniger Leuten produzieren“ – so beschrieb der Schulleiter des Markgräfler Gymnasiums (MGM), Andreas Gorgas, eine Entwicklungstendenz der Moderne.

Welche Auswirkungen der daraus entstehende „Optimierungsdruck“ auf das Individuum in der heutigen Gesellschaft hat und ob es – 500 Jahre nach Luther – Zeit wäre für eine Reformation, damit beschäftigten sich die Abiturienten am MGM im Rahmen ihres Studientags.

„Können und müssen wir uns ändern? Der Mensch zwischen persönlichem Freiraum und gesellschaftlichem Optimierungsdruck“ – so lautete die zentrale Frage. Im Mittelpunkt stand dabei der Vortrag von Professor Ulrich Duchrow, dessen Antwort eindeutig und klar lautete: „Ja, wir müssen uns ändern, denn unsere Produktions-, Konsum- und Lebens- und Denkweise zerstört die Erde.“

Dabei beleuchtete er zunächst die historische Entwicklung hin zum Industrie- und Finanzkapitalismus und dessen zielgerichtete Bedingung: „Kapital muss wachsen. Das erzeugt den Wachstumszwang.“ Wenn der Markt aber nicht reguliert werde, wie zum Beispiel durch eine soziale Marktwirtschaft, werde die „Gier“ nach Geld und (der damit verbundenen) Macht zum alleinigen Hauptzweck und entwickle sich zur Sucht.

„Aber“, so stellt Duchrow klar, „Geld macht nicht glücklich – nur in Beziehungen erfährt das Individuum Glück“, und belegt diese Einsicht mit Beispielen und Forschungsergebnissen der modernen Psychologie und Hirnforschung.

Der Mensch strebe von Natur aus nicht nur nach mehr Reichtum, Ansehen und Macht, wie Hobbes dies für den Menschen postuliert hat, sondern brauche Beziehungen, um zu überleben, was das Beispiel eines Säuglings besonders deutlich vor Augen führt.

Außerdem besitze er, wie die moderne Hirnforschung bestätigt, von Natur aus die Fähigkeit zu Mitgefühl und Solidarität (Spiegelneuronen). Der Mensch ist also ein soziales Wesen, und deshalb müsste das Gemeinwohl immer Vorrang vor dem Wohl Einzelner haben – im Gegensatz zum heutigen liberalisierten Markt, der zu einer „marktkonformen Demokratie“ (hier zitierte Duchrow Bundeskanzlerin Merkel) führte oder, wie der Papst formulierte: „Diese Wirtschaft tötet.“

So liegen Duchrows Schlussfolgerungen nahe: Die Regierungen müssen in den Markt eingreifen und ihn regulieren, damit das Gemeinwohl Priorität erlangt. Eine solche Priorität des Gemeinwohls würde dann notwendigerweise auch zu einem anderen Umgang mit den begrenzten Ressourcen unseres Planeten führen und die Auswirkungen des Klimawandels miteinbeziehen.

Wenn die Politik aber – angesichts der „systemischen Abhängigkeit vom Geld“ – diesen Schritt nicht gehe, muss sich der Einzelne in zivilgesellschaftlichen Gruppen engagieren, um einen Wandel herbeizuführen. Ein solches Engagement sei zugleich eine „Therapie gegen die Machtlosigkeit“ des Einzelnen, die ansonsten zu Resignation und in die neue Volkskrankheit Depression führe.

Wie sehr heutzutage gerade junge Menschen dem „gesellschaftlichen Optimierungsdruck“ ausgesetzt sind, zeigte nicht nur der kürzlich ausgestrahlte „Tatort“ aus Wien.

Auch die Fragen der Abiturienten in den sich anschließenden Diskussionen in kleineren Gruppen und im Abschluss-Plenum machten deutlich, wie leicht der Druck, den erwünschten Studien- und Arbeitsplatz zu ergattern, den Blick auf das größere Ganze in den Hintergrund drängen kann. Aber auch hier zeigte Duchrow alternative Sicht- und Produktionsweisen auf. „Wir können nur Samen streuen“, konstatierten Udo Grotz und Martin Wittenberg, der zusammen mit seinen Kollegen aus den Fächern Ethik und Religion den Studientag am MGM organisierte und leitete.

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