Schliengen (boe). Nach ihrem Abitur 2014 hat es Marie Mastall aus Mauchen in die Ferne gezogen: Ein Jahr lang hat sie in einem Waisenhaus in Namibia gearbeitet und gelebt. Sie hat sich auf eine neue Kultur eingelassen, hat das Land bereist und seine vielfältige Schönheit entdeckt. Vor allem hat sie sich jedoch von der übersprühenden Lebensfreude der Kinder verzaubern lassen. Im Gespräch mit unserer Zeitung blickt sie auf ihre Erlebnisse zurück. Inwieweit hat die Zeit in Namibia Ihr Leben beeinflusst" Das Jahr in Afrika war sehr prägend und hat mich sicher auch verändert. Fasziniert haben mich die Lebensfreude der Menschen und die Lebendigkeit, die ich dort erlebt habe. Das Leben findet in Namibia auf der Straße statt. Dazu gehört etwa, dass man ständig von überall her Musik hört – bei uns wäre das Ruhestörung. Die Menschen leben mehr miteinander, jeder nimmt an allem teil. In Deutschland lebt man viel mehr für sich. Ich nehme aus der Zeit in Afrika auch sehr viel Gelassenheit mit. Denn vieles braucht dort viel mehr Zeit, bis es realisiert werden kann, zum Beispiel wenn man einen Antrag bei einer Behörde stellt. Anders als die Deutschen haben die Namibier auch ein ganz anderes Verhältnis zum Thema Pünktlichkeit. Wenn man sich um 15 Uhr verabredet, kann es sein, dass man um 16 Uhr immer noch wartet. Das ist normal. Sie haben ein Jahr in einem Waisenhaus gearbeitet und gelebt. Was haben Sie dort gemacht" In dem Waisenhaus leben 28 Kinder im Alter von zwei bis 19 Jahren. Darunter waren auch einige Aidswaisen, die selbst mit dem Virus infiziert sind. Namibia hat eine der höchsten HIV-Infektionsraten der Welt. Es gab aber auch viele Halbwaisen, deren Mütter gestorben und deren Väter unbekannt sind. Zudem wurden schwer vernachlässigte Kinder aufgenommen. In dem Waisenhaus haben mit mir insgesamt fünf junge Leute ihren Freiwilligendienst geleistet. Wir haben den Kindern nachmittags Nachhilfe gegeben. Wir haben aber auch mit ihnen gebastelt und gespielt sowie Ausflüge unternommen. Die Arbeit war sehr vielseitig. Wir haben zudem Computerunterricht eingeführt und eine kleine Werkstatt aufgebaut, in der wir den Kindern einfache Handwerksarbeiten gezeigt haben. Ich hatte außerdem noch die Aufgabe, den Leiter der Einrichtung, der blind ist, bei seiner Arbeit zu unterstützen. Kommuniziert wurde auf Englisch. Die Kinder können zudem neben Afrikaans noch zwei, drei Stammessprachen. Wie haben Sie die Kinder erlebt" Was kann man vielleicht von ihnen lernen" Diese Kinder freuen sich über Kleinigkeiten. Sie sammeln Müll, um daraus Spielzeug zu basteln. Da wird aus einem Draht beispielsweise ein Steckenpferd gebastelt. Sehr beeindruckt hat mich auch, dass die Kinder überhaupt kein Besitzdenken haben, nach dem Motto: Das ist meins, das ist deins. Obwohl oder vielleicht gerade, weil sie so wenig haben, hat irgendwie immer alles allen gehört. Was waren die bewegendsten, eindrücklichsten Erlebnisse Ihres Auslandsjahres" Das Schönste war für mich schon die Ankunft im Waisenhaus, wie wir begrüßt wurden. Alle Kinder sind voller Freude auf uns Freiwillige zugerannt, haben unsere Namen gerufen und sind uns auf den Arm gesprungen. Diese Kinder sind sehr herzlich, offen und kennen keine Berührungsängste. Nach einem Jahr von ihnen wieder Abschied nehmen zu müssen, war schrecklich für mich. Traurige Momente" Die Kinder verbrachten ihre Ferien zum Teil bei Verwandten, wo wir sie besuchten. Für mich war es sehr erschütternd, aus welchen Verhältnissen die Kinder eigentlich kommen. Das sind Wellblechhütten in Armenvierteln, in denen sich oft nicht mehr als eine Matratze mit Lumpen als Schlafstätte findet. Im Waisenhaus war auch alles sehr einfach – der Unterschied war trotzdem krass. Was haben Sie von der Landschaft gesehen" Neben meiner Arbeit im Waisenhaus hatte ich Zeit, mit den anderen Freiwilligen durchs ganze Land zu reisen. Die Schönheit der vielfältigen Landschaft hat mich schwer begeistert, unter anderem waren wir in der Namib-Wüste, wir haben aber auch Flusslandschaften mit Palmen erlebt. In Nationalparks trafen wir auf Elefanten- und Zebraherden, Giraffen und Leoparden – das war sehr beeindruckend. Inwieweit sind die Folgen der Apartheid in Namibia zu spüren" Leider noch sehr deutlich. Die Trennung besteht beim Wohnen – Schwarze und Weiße leben in verschiedenen Bereichen –, aber auch im Berufsleben: in der Chefetage sitzen bis heute Weiße. Auch privat findet kaum Interaktion zwischen Schwarzen und Weißen statt. In Namibia habe ich einige Weiße getroffen, die die rassistischsten Menschen waren, denen ich jemals begegnet bin – das war schrecklich. Wie war es, nach einem Jahr in Afrika wieder in Deutschland anzukommen" Seltsam, vor allem die Stille war sehr ungewohnt. Auch habe ich die Häuser als sehr bedrückend empfunden, weil sie so groß sind. Wie sehen Ihre Zukunftspläne aus" Im Moment jobbe ich. Im Dezember geht es noch einmal nach Afrika. Ich werde das Waisenhaus besuchen, außerdem noch in zwei weiteren sozialen Projekten arbeiten. Nach einem Jahr in Namibia will ich auch andere afrikanische Länder bereisen. Im Sommer 2016 werde ich dann nach Deutschland zurückkommen, um zu studieren. Wahrscheinlich Soziale Arbeit. u  Die Fragen stellte Claudia Bötsch