^ Schopfheim: „1000 müßigen Händen Fleiß geschenkt“ - Schopfheim - Verlagshaus Jaumann

Schopfheim „1000 müßigen Händen Fleiß geschenkt“

Markgräfler Tagblatt

Jubiläum: Die Gewerbeschule Schopfheim, älteste Berufsschule im Landkreis, feiert 150-jähriges Bestehen

Von Petra Martin

Sie ist die tragende Säule des dualen Ausbildungssystems, eine gesellschaftliche Stütze - besonders im ländlichen Raum - und die Institution für Industrie und Handwerk, wenn es um den Fachkräftenachwuchs geht: die Gewerbeschule Schopfheim, die 2016 ihr 150-jähriges Bestehen feiert.

Schopfheim. Einst im Gebäude der Johann-Peter-Hebelschule beheimatet, ist die Gewerbeschule an ihrem heutigen Standort in der Bannmattstraße ein innovatives Kompetenzzentrum mit Global Playern als Partnern - so skizziert Schulleiter Ralf Dierenbach die Entwicklung der Schule, die noch eine weitere Besonderheit ausweist: „Die Gewerbeschule Schopfheim ist die älteste Berufsschule im Landkreis Lörrach“, so der Oberstudiendirektor, der gestern bei einem Pressegespräch den Bezug von den Anfängen zum aktuellen Geschehen herstellte - das Jubiläum soll 2016 mit Veranstaltungen das ganze Jahr über entsprechend gewürdigt werden.

Die Gewerbeschule wurde zwar schon 1864, also vor 152 Jahren, als Schule für Fabrikarbeiter gegründet, doch der Unterricht startete erst am 1. Januar 1866, da vorher kein geeigneter Kandidat als Gewerbeschullehrer zur Verfügung stand. Erster Gewerbelehrer war dann Friedrich Rücklin.

Von 1869 an wurde mit der Einführung der Gewerbeordnung auch Jugendlichen unter 18 Jahren Bildung in Form von Lesen, Schreiben

Die Sonntagsschule als eine der Wurzeln der Gewerbeschule

und Rechnen zuteil. 1872 wurde der „Schülerzwang“ eingeführt, der Unterricht fand wochentags von 5 bis 7 Uhr und von 17 bis 19 Uhr statt - dazwischen wurde gearbeitet - sowie sonntags von 6 bis 10 Uhr, im Winter auch von 13 bis 15 Uhr - die Sonntagsschule als eine der Wurzeln der Berufsschule.

Die Verknüpfung zwischen der Gewerbeschule, bei der bis 1920 auch die Kaufleute angesiedelt waren, und den einzelnen Firmen sei zunächst im Textil-, später auch im wichtigen Metallbereich entstanden, sagte Schulleiter Dierenbach. Die Gewerbe-

Einzugsbereich vom Feldberg bis Schaffhausen

schule habe für viele Berufe einen sehr großen Einzugsbereich vom Feldberg bis Schaffhausen. Zwar habe die Zahl der Berufe im Textilsektor abgenommen, „dafür sind wir Landesfachschule“, so Dierenbach. „Alle Auszubildenden im Textilbereich aus Baden-Württemberg kommen hierher.“

„Die Schule hat einen exzellenten Ruf“, betont Historiker Heiner A. Baur, Mitautor der Chronik, die fürs Jubiläumsjahr erstellt wird. Baur zeigte weitere Wurzeln der heutigen Berufsschule auf, die sich nur gründen konnte, weil die Macht der Zünfte, die die Lehrlinge mit ihrer allumfassenden Lebensordnung unterwarfen, unter dem Einfluss des Wirtschaftsliberalismus und aufgrund der zunehmenden Industrialisierung zusammenbrach.

Nach der Auflösung der Zünfte trat indes die Ausbeutung im Zuge der Industrialisierung hervor, die Ausbildung steckte in einer Krise. Liberale Bürger setzen sich schließlich für mehr Bildung der ärmeren Schichten ein - um Revolutionen zu vermeiden. Heiner A. Baur zitierte den Schopfheimer Stadtpfarrer August Eberlin, der als Chronist anerkennend festhielt, die Berufsschule habe „tausend müßigen Händen Fleiß geschenkt“. Baden sei indes das erste Land in Deutschland gewesen, das die Berufsschulpflicht eingeführt habe, so Heiner A. Baur.

Seit 1968 ist die Gewerbeschule an ihrem heutigen Sitz zentral beim Bahnhof beheimatet. Schon oft in ihrer Geschichte freilich habe die Ge-

Der Kampf um Geld und Anerkennung besteht nicht erst seit heute

werbeschule um Gelder kämpfen müssen, wie Heiner A. Baur berichtet. So habe etwa in den 1960er Jahren Stadtrat Schneegaß in einem Schreiben an den damaligen Bürgermeister Vetter Investitionen angemahnt.

Wie Ralf Dierenbach würdigte auch Heiner A. Baur das duale System als „Ausbildungspfeiler“, auf dem viele Karrieren gründen, denn durch das Einbringen praktischer Fähigkeiten ermögliche es auch schwächeren Schülern ein erfolgreiches Berufsleben.

„Diese Schulart ist das Fundament unserer Ausbildung. Es kann nicht sein, dass die Schopfheimer Gewerbeschule den Metall-Zweig verliert, hier muss es ein politisches Aufbegehren geben“, schlug Baur den Bogen zur aktuellen Entwicklung - die 150 Jahre alte Gewerbeschule befürchtet nun ein „Sterben auf Raten“. Bürgermeister Nitz liege mit seiner „Zyankali-Kapsel“-Bemerkung nicht ganz falsch, sagte Baur. „Das System muss im Sinne einer ganzheitlichen Bildung ausgebaut, nicht beschränkt werden.“

„Das duale System muss ausgebaut, nicht beschränkt werden“

Fachlehrer Wilfried Decker von der Organisationsgruppe hob die Rolle der Abiturienten beruflicher Gymnasien hervor, deren Anteil bei 55 Prozent liege. Ausbildungsleiter Peter Zwickel sagte, der Weg für den Broterwerb werde angesichts des Fachkräftemangels nicht mehr über die Gymnasien laufen. „Künftig wird ein Facharbeiter mehr verdienen als ein Ingenieur.“

Eine Organisationsgruppe unter der Leitung der Lehrer Cäcilia Heinrich und Wilfried Decker hat das Jahresprogramm im Jubiläumsjahr zusammengestellt: 11. Januar: Auftaktveranstaltung mit den aktuell 350 Gewerbeschülern. Als Imbiss gibt es die übliche Mahlzeit früherer Zeiten (Marmeladenbrot) und den Snack von heute (Burger).

8./9. März: Viertklässler aus der Umgebung besuchen die Gewerbeschule und lernen die vier Berufsfelder Bau, Farbe, Holz und Metall kennen. 16. April: „Tag der offenen Tür“ mit Ausbildungsbörse. Mai / Juni: Aussprache zwischen Ausbildern (Handwerk, Industrie) und Lehrern. 8. Juli: Festakt. Oktober / November: Austausch überregionaler berufspädagogischer Ausbildungskonzepte.

Zudem wird es in den örtlichen Banken Ausstellungen geben. Wer noch Fotos oder alte Berichtshefte hat, kann sich bei der Gewerbeschule melden, Tel.: 07622/682 163. E-Mail: decker@gewerbeschule-schopfheim.de und heinrich@gewerbeschule-schopfheim.de. Homepage: www.gewerbeschule-schopfheim.de

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