Schopfheim Auf dass die Schriftsprache nicht Einzug hält

Markgräfler Tagblatt
Nahmen an der Mundart-Literaturwerkstatt teil: Andreas Kohm, Pius Jauch, Yves Bisch, Ruth Lewinsky, Markus Manfred Jung, Wolfgang Kühn und Volker Habermaier (von links). Foto: Jürgen Scharf Foto: Markgräfler Tagblatt

Wo an Texten ausgiebig gefeilt wird: In der Mundart-Literatur-Werkstatt tüfteln Autoren um jede Formulierung

Von Jürgen Scharf

Schopfheim. In einer rechten Werkstatt wird gehobelt, gehämmert, gebohrt und gefeilt. Der Begriff Werkstatt impliziert auch, dass es einen Meister gibt (in unserem Fall: Markus Manfred Jung), einen Gesellen (Moderator Volker Habermaier) und Lehrlinge (die teilnehmenden Autoren). Denn bei besagter Werkstatt geht es um die Schopfheimer Mund-Art-Literatur-Werkstatt.

Dort wird an Prosatexten, Gedichten, einzelnen Strophen gefeilt, werden Worthülsen beanstandet, ganze Absätze umgestellt. Echt spannend also, einmal in einer solchen Werkstatt „Mäuschen“ zu spielen und Autoren beim Arbeitsgespräch zu belauschen.

Da sitzen sie in der Stadtbibliothek Schopfheim, einer liest den vorbereiteten Werkstatt-Text vor, die anderen denken darüber nach. Verbesserungsvorschläge sind gefragt. Man spricht über Zeilen, die Form, über Begriffe. Habermaier fragt: „Ist euch der Text klar, sind die Vokabeln klar?“ Es geht um den Text selber und seine sprachliche Logik. Stimmen die Bilder? Sind die Vergleiche schief? Wie sehr ist der Dialekt modernisiert, wirkt er altertümlich oder klingt er – und auch das kommt einmal vor - zu sehr nach Schriftdeutsch?

Eine Diskussion entbrennt beispielsweise über den langen Text „Muddersproch“ von Andreas Kohm, der vor Worten wie „Babylon“ nicht zurückscheut oder so moderne Begriffe wie „Atmosphäre“ bringt. Dürfen in einem Dialekttext solche Formulierungen auftauchen, fragen sich die Mundartautoren. Oder ist das schon eine schleichende Übernahme durch die Schriftsprache?

Manchmal geht es nur um kleine Formulierungsvorschläge, oder man macht sich über die Reihenfolge der Strophen Gedanken. Jung und Habermaier ticken sehr ähnlich, spielen ab und zu „Schulmeister“, werfen sich die Bälle zu. M.M. Jung, der fast alle Teilnehmer persönlich kennt, hinterfragt gern bestimmte Textpassagen. Der im Kleinen Wiesental lebende Lyriker hat ja auch einen guten Ruf als Lektor, doch nicht immer fügt sich jeder der Kollegen gern den Vorstellungen des „Meisters“. Manche Autoren wollen sich partout nichts sagen lassen oder argumentieren schlicht anders. Das weiß der Organisator der Mundartwerkstatt, der die Texte immer ernst nimmt, aber auch erkannt hat: „Distanz zum Text ist für gute Schriftsteller wichtig“. Und so ringen sie am Vormittag und nach der Mittagspause um Sprache. Die Werkstatt ist ein Vorspiel, ein Einstimmen auf die abendliche öffentliche Lesung. Das Forum gibt einen Einblick, wie Schriftsteller die Welt erfahren, sie zu erschließen versuchen, Einsicht gewinnen. Die meisten sind dankbar für die kritischen Anmerkungen aus der Kollegenrunde und sagen das auch, andere wiederum verteidigen ihren Text mit Zähnen und Klauen und stellen sich der Meinung.

Jeder der sechs Autoren, inklusive des schwäbischen Liedermachers Pius Jauch (er singt „Hardcore-Schwäbisch“) haben Texte eingereicht zum diesjährigen Thema „Mundart zwischen Herz und Hirn“. Mehr oder weniger fertige, unbearbeitete, in der Schublade liegengebliebene. Da kommt die Einladung zur Literatur-Werkstatt oft gerade recht: Die mitgebrachten Werkstücke landen auf dem Tisch der Werkstatt, werden hier frisch überarbeitet, bisweilen entsteht sogar ein neuer Text. Andreas Kohm beispielsweise bekennt, dass er als Autor selbst seinen Text noch nicht so ganz kennt, und er ist unzufrieden mit der Überschrift. Da geht es also um das Selbstverständnis des Gedichtschreibens, um poetologische Reflexionen über das Sich-Begreifen als Mundartautor. Öfter ist die Rede von Dialekt als unmittelbarer Form von Denken und Reden. Manchen Text müsse man nicht unbedingt intellektuell begreifen, wirft Pius Jauch ein, sondern auf sich wirken lassen.

Vieles kann man sich imaginieren. Etwa das Gedicht von „Auf der Blutwiese“ des Österreichers Wolfgang Kühn, der einen fast schon dadaistisch gesetzten Supertext über eine Messerstecherei verfasst hat. Dessen brutales Schriftbild – alles wird senkrecht untereinander geschrieben, die Worte sind quasi im freien Fall, vielleicht ein Sinnbild für das fallende Messer – wird, wie Jung bewundernd anmerkt, konterkariert durch die wunderbar rhythmisierte Form. Bei diesem nicht unbedingt papiersparendem Gedicht diskutieren die Autoren über eine Kurz- oder Langversion; bei der Lesung in St. Agathe in Fahrnau entscheidet sich Kühn für die einstrophige Kurzversion (die Eindruck macht und der man mit großem Vergnügen zuhört).

Überhaupt haben sich die meisten Autoren dafür entschieden, ihre bearbeiteten Werkstatttexte abends vorzutragen. Das ist jedem selber überlassen.

Den Mut dazu haben auch der Elsässer Yves Bisch, die Zürcherin Ruth Lewinsky und Markus Manfred Jung mit einem biografisch inspirierten Gedicht, das er bei der Lesung ausprobieren wollte (Bericht zur Lesung auf der Seite „Schopfheim“).

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